Geschlechterverhältnisse

Bettina Roß' "Politische Utopien"

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Welche Funktionen können Utopien heue noch erfüllen? Welche politischen Utopien gab es und welche gesellschaftlichen Missstände kritisierten sie? Diesen Fragen geht Bettina Roß über 500 Jahre hinweg nach. Dabei gibt sie nicht nur einen Überblick über die Geschichte literarischer politischer Utopien, sondern wendet sich vor allem der Frage nach den in ihnen beschriebenen Geschlechterverhältnissen zu.

Sie füllt mit ihrer Dissertation eine Lücke in der bisherigen Utopienforschung. Dort ist meist nur von den Entwürfen idealer Gesellschaften der Männer die Rede. Diejenigen von Frauen werden allenfalls anerkannt, wenn sie im Kontext der Neuen Frauenbewegung stehen, die in den 70-er und 80-er Jahren einen Boom an komplexen Utopien hervorgebracht hat. Während andere AutorInnen bestenfalls Charlotte Gilmans "Herland" (1915) nennen, untersucht Roß neun Utopien von Frauen, u.a. Christine de Pizans "Das Buch von der Stadt der Frauen" (1405), Mary Shelleys "Frankenstein" (1818) und Karin Boyes "Kallocain" (1940). Dabei gelingt es ihr nicht nur, "Vergessenes" zu Tage zu fördern, sondern auch überraschende Unterschiede zwischen den idealen Gesellschaftsmodellen von Frauen und Männern aufzuzeigen. Denn, so die Autorin, es mache unter den gegebenen patriarchalen Verhältnissen einen wesentlichen Unterschied, ob eine Frau oder ein Mann eine literarische Utopie entwirft. Bettina Roß nimmt die bestehende Geschlechterdichotomie in ihrer Untersuchung ernst, klagt die Kategorie "Geschlecht" für die Beschäftigung mit Utopien ein und verbindet damit zugleich Ansätze einer dekonstruktivistischen Sicht auf die Geschlechter.

Titelbild

Bettina Roß: Politische Utopien von Frauen. Von Christine de Pizan bis Karin Boye. Diss..
ebersbach & simon, 1999.
248 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3931782956

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch