Die Kunst der Verdrängung

Marcel Möring bildet in „Eine Frau“ die Tragödie eines Lebens ab

Von Susan MahmodyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susan Mahmody

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Laura ist um die sechzig, alleinstehend und Chefin eines gut gehenden Gourmetrestaurants mit anschließendem kleinem Hotel an der niederländischen Küste. Sie hat sich selbst und ihre Angestellten gut im Griff – aber nur scheinbar. Als es zwischen ihrem Chefkoch und dem Maître zum handfesten Streit kommt, trifft dies Laura wie ein Schlag. Plötzlich wird ihr bewusst, dass sie nahezu automatisch zu funktionieren scheint, ohne die Geschehnisse um sich mitzubekommen und ohne dass ihre Umgebung Kenntnis von ihrem eigenen Befinden zu nehmen scheint. Laura wacht im wahrsten Sinne des Wortes aus einem mehr als 25 Jahre andauernden Schlaf auf und muss sich schmerzhaften Erinnerungen an die Vergangenheit, in der die große Tragödie ihres Lebens stattgefunden hat, sowie der Bewältigung ihres Gefühlchaos’ stellen.

In seinem Roman „Eine Frau“ behandelt der niederländische Autor Marcel Möring ein Frauenschicksal, das sich am Ende als mehr als tragisch entpuppt. Der Leser wird mit dem Streit zwischen dem Chefkoch und dem Maître mitten im Geschehen platziert – in eine Szene, die scheinbar nichts mit dem weiteren Verlauf der Erzählung zu tun hat, sich jedoch als ausschlaggebend herausstellt. Dieser ‚banale‘ Einstieg erweist sich als sehr effektiv, setzt er doch bei Laura eine Art Umdenken in Gang. Die selbstbewusste, unabhängige, bestimmte Frau, die mitten im Leben steht und plötzlich aus eben diesem gerissen wird, ist nun gezwungen, sich mit verdrängten Ereignissen aus der Vergangenheit auseinanderzusetzen und sich einzugestehen, dass sie nur dann weiterleben kann, wenn sie diese Hürde zu überwinden weiß.

Die Suche Lauras nach ihrem Selbst zeichnet Möring in mehreren Ereignissträngen nach, die sich auf verschiedene Episoden und Perioden in ihrem Leben beziehen und einige Überraschungen parat halten. Wir erfahren alles aus Lauras Perspektive, die uns als Ich-Erzählerin durch ihr Leben führt. Die Vorgeschichte sowie die Tragödie ihres Lebens wird uns direkt, aber sehr einfühlsam und behutsam näher gebracht. Beinahe psychologisch ist das Bild, das der Autor von seiner Protagonistin zeichnet. Nicht mehr tough und selbstbestimmt erscheint Laura hier, sondern naiv, abhängig und schwach einerseits und jung, spontan und lebenshungrig andererseits. Möring verzichtet auf allzu lange erzählende Passagen, sondern lässt das Geschehen eher durch viele schnelle Dialoge wiedergeben. Auch unnötige Hintergrundinformationen, Nebenhandlungen und Details lässt er aus, so dass die Handlung auf das Wesentliche reduziert wird, was dem Lesevergnügen aber keineswegs Abbruch tut. Im Gegenteil: Es ist diese kompakte Erzählweise und Direktheit Mörings, die einen Teil der Qualität des Buches ausmacht.

Titelbild

Marcel Möring: Eine Frau. Novelle.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen.
Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
89 Seiten, 7,00 EUR.
ISBN-13: 9783630621616

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