Das Ende des Herzogtums Mecklenburg-Strelitz
Frank Pergandes historischer Kriminalroman „Mitten ins Herz“
Von Lutz Hagestedt
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Sagen Sie mir, wie er gestorben ist.“ – „Durch einen Pistolenschuss. Mitten ins Herz. Oder genauer: Er streifte das Herz. Seine Hoheit war offenbar nicht sofort tot. Er fiel in einen Kanal, seine Lungen waren voll Wasser. Er ist sozusagen ertrunken.“
Der seltsame Tod des letzten Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz, Adolf Friedrich VI., ist niemals ganz aufgeklärt worden. Als seine Leiche am Nachmittag des 24. Februar 1918 mit tödlicher Schussverletzung im Kammerkanal bei Neustrelitz aufgefunden, als Todesursache jedoch „Ertrinken“ festgestellt wurde, schossen die Gerüchte ins Kraut. War Eifersucht das Motiv? Zahlreiche Affären wurden Adolf unterstellt, und seine Liebe zur Opernsängerin Mafalda Salvatini, der er die morganatische Ehe versprach, gilt als verbürgt.
Geschickt nutzt Frank Pergande (Jahrgang 1958) das historische Sujet, um den rätselhaften Tod des Regenten weiter zu verrätseln. Auf Adolfs Tod folgen die Morde am wahnsinnigen Maler Schwarzlose und am neugierigen Redakteur Buchholz, und alle drei werden offenbar mit derselben Waffe getötet. Die meisten Rätsel freilich gibt Adolf Friedrichs Leiche auf: Die Schmauchspuren am Einschussloch in Herznähe, der Krater im Rücken, dort, wo das Projektil ausgetreten sein muss, deuten eher auf eine Hinrichtung als auf ein Duell. Zugleich erscheint rätselhaft, dass mindestens zwei Schüsse abgegeben worden sind, und zwar in verschiedene Richtungen. Also doch ein Ehrenhandel?
Da der Regent ein Schürzenjäger war, ist der Täterkreis entsprechend groß, denn selbst die Frau des Eisenbahnschaffners ist nicht nur wesentlich jünger als ihr Mann, sie hat auch bemerkenswert schöne Beine – ein Umstand, der Durchlaucht nicht verborgen geblieben sein dürfte. Und begehrenswert ist auch Irene von Yorry, die Frau des Hofmarschalls, genau wie Corinna Lindström, die Lieblingszofe Seiner Hoheit. „Man hätte ihm die Eier absäbeln sollen“, so die Kummer gewöhnte Großherzoginmutter.
Da der Kaiserliche Kommissar Gräning unmöglich in drei Mordfällen gleichzeitig ermitteln kann, bekommt er vom Autor einen zweiten ‚Poirot‘ an die Seite gestellt: Hofarzt Storbeck hat schon die Großmutter und den Vater des Herzogs unter die Erde gebracht und kennt Land und Leute genau. Er weiß um den Vorwurf, der Fürst habe mit Daisy von Pless poussiert und Spionage für England betrieben. Er hält es aber auch für möglich, dass die Mordserie auf das Konto einer eifersüchtigen Furie gehen könnte.
Lokalkolorit und Weltpolitik bilden die Zutaten des Romans. Ein gewisser Lenin will Sowjetrussland, die aufstrebende Macht im Osten, aus dem „Weltkrieg“, wie es damals, in Ermangelung eines zweiten noch heißt, zurückziehen. Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk verändert die Koordinaten zwischen den Mittelmächten und ihren Verbündeten auf der einen, der Entente auf der anderen Seite. Würde ein „Russe“ jetzt Nachfolger des Großherzogs auf dem Thron von Mecklenburg-Strelitz werden?
Die unbeantwortete Strelitzer Thronfolgefrage deutet bereits auf das Heraufdämmern einer neuen Weltordnung hin, ebenso wie das private Gebaren der herzoglichen Familie auf den Untergang der alten: Während man nach außen hin mühsam den Schein zu wahren sucht, ist die Dynastie nach innen längst korrumpiert. Und alle teilen sich in dieselben Nöte und Ängste, die infolge des Weltkrieges über Stadt und Land hereingebrochen sind: Der alte Killedat (als Gärtner potentiell immer für die Mörderrolle gut) ebenso wie Joremey Seifert, der Schuhmacher aus Mirow, der fünf hungrige Blagen durchzufüttern hat. Letzterer macht zu Geld, was seine Kinder ihm anbringen und wird dafür auch noch erpresst.
Mit Komik und Herzblut erzählt Frank Pergande aus diesen Tagen historischer Depression, als Fürst Adolf sein eigenes Grabmahl entwarf – mit abgebrochener Säule und gewundener Schlange als „Zeichen des Unvollendeten“. Auf dem Titel des Buches aber prangt ein Amor, der gerade seinen Pfeil abschießt, und so wird nicht nur dem „schlichten Motiv Eifersucht“, sondern auch der Liebe Genüge getan. Der kriegsversehrte Kommissar Gräning, der eine englische Fürstin vor den Paparazzi zu schützen weiß (was, im Unterschied zu Lady Di, glimpflich ausgeht), erhält ebenso seinen späten Lohn wie der Hofarzt, der sich schon halb auf dem Altenteil gesehen hatte. In einem guten Krimi bekommt jeder, was er verdient.
Der Roman mit Lokalkolorit hat Sinn für das authentische Detail und kann auf diverse literarische Vorbilder bauen. Die überaus ängstliche Bulldogge Seiner Hoheit beispielsweise heißt „Dörchläuchting“ nach einem Roman von Fritz Reuter (1866). Das Haus, das Storbeck bewohnt, bekam eine Jugendstilfassade. Ein Gemälde namens „Morgens“, 1900 von Lovis Corinth geschaffen, lässt die Männerherzen höher schlagen. Und das Parkhaus ist noch ein Haus im Park, kein Funktionsbau, um „Automobile“ in sich aufzunehmen. Schließlich glaubt man sich, als Kommissar Gräning, der Monokelträger, alle Verdächtigen zur Auflösung des Falles ins „Gewitterzimmer“ bittet, an Sherlock Holmes und Arthur C. Doyle oder an Miss Marple und Agatha Christie erinnert. Das hat Witz und Niveau.
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