„Wer war Hans Globke wirklich?“

Jurist des „Dritten Reiches“ und Staatssekretär Adenauers

Von Kurt SchildeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kurt Schilde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans Globke (1898-1973) ist eine der umstrittensten Figuren der deutschen Zeitgeschichte. Der in der NS-Zeit im Reichsinnenministerium tätige Jurist kommentiert 1935 die antisemitischen Nürnberger Gesetze. Nach 1945 agiert er als engster Mitarbeiter von Bundeskanzler Konrad Adenauer und ist 1953 schließlich als Staatssekretär Leiter des Bundeskanzleramtes, aus dem er mit seinen Chef 1963 ausschied. In diesem Jahr haben die Angriffe aus der DDR mit einem Schauprozess ihren Höhepunkt erreicht. Schließlich wirkt er bis zu seinem Tod als gefragter „Befehlsnotstandszeuge“ (Bevers) in NS-Strafprozessen und politischer Ratgeber. Wer war dieser Anstoß erregende Mann? Welche Bedeutung hatte er nach 1945 in den beiden Deutschlands? Diesen Fragen gehen eine eher anklagende und eine eher verteidigende Publikation nach.

Als sein „Verteidiger“ fungiert der Historiker Erik Lommatzsch, der sich fast zehn Jahre lang mit dessen Leben beschäftigt hat: In seiner 2000 abgeschlossenen Magisterarbeit – finanziert mit einem Stipendium der „CDU-nahen“ Konrad-Adenauer-Stiftung – widmete er sich „Hans Globke im Dritten Reich“. Die mit einem Promotionsstipendium der „CSU-nahen“ Hanns-Seidel-Stiftung erarbeitete geschichtswissenschaftliche Dissertation dreht sich um das politische Wirken und Handeln Globkes. Der Betreuer der an der Universität Leipzig angesiedelten Promotion Ulrich von Hehl – dieser hat bereits früher einschlägig publiziert – ist offensichtlich Anreger des Forschungsprojektes.

Wohl zum ersten Mal überhaupt hat der Doktorrand Zugang zu dem im Archiv für Christlich-Demokratische Politik aufbewahrten Nachlass erhalten. Allerdings stellen diese Unterlagen ein großes Problem dar, denn es gibt „kein vor 1945 entstandenes Material“. Von dieser misslichen Quellenlage ausgehend hat sich Lommatzsch vermutlich in seiner Dissertation – anders als der Titel für den Druck überarbeiteten Urfassung vermuten ließe – weniger mit Globkes Wirken vor, sondern hauptsächlich mit seiner Tätigkeit nach 1945 beschäftigt.

Diese Schwerpunktsetzung trifft auch für die zuvor entstanden journalistische Darstellung von Jürgen Bevers zu. Sie geht auf eine Fernsehdokumentation zurück, die er mit einem Partner 2008 realisierte. Da dafür nur ein Teil der umfangreichen Recherchen verwendet werden konnte, entstand die Idee zu diesem Buch. Der Globke-Nachlass war nicht zur Einsicht freigegeben: „Bei den Recherchen zu unserem Film wurde uns beispielsweise der Herausgabe mehrerer Ordner mit Dokumenten verweigert.“ Leider wird verschwiegen, mit welcher Begründung. So bleibt die Frage unbeantwortet, warum das CDU-Archiv dem Historiker den Zugang gewährt hat und dem Journalisten nicht?

Bevers Buch kann, soll und will „eine immer noch ausstehende kritische wissenschaftliche Beschäftigung“ mit Globke nicht ersetzen. Dies will, aber kann auch das Lommatzsch-Werk nicht. Die Lektüre beider Bände lohnt sich trotzdem, weil eine Fülle an Material präsentiert wird.

Die Stationen von Globkes Lebensweg sind schnell erzählt: 1898 in Düsseldorf geboren wächst er in Aachen auf, ist im Ersten Weltkrieg Soldat und studiert in Bonn und Köln Rechtswissenschaften. Er gehört dem Cartellverband der katholischen Studentenverbindungen und der katholischen Zentrumspartei an. 1922 promoviert er in Gießen und geht in die Verwaltungslaufbahn: 1925 wird er Vertreter des Aachener Polizeipräsidenten, 1929 Regierungsrat im Preußischen Ministerium des Innern, 1932 dort Referent für Verfassungs- und Staatsrecht. Er formuliert hier und später im Reichsinnenministerium wichtige Gesetze mit und kommentiert sie, darunter die Nürnberger Gesetze. Insbesondere dieser Kommentar wird nach 1945 wiederholt skandalisiert.

Er verteidigt sich wiederholt mit dem Argument, dass er zu schützenden Tendenzen beigetragen habe. So erwähnt Lommatzsch etwa, dass durch Globke viele als Juden Verfolgte der Deportation entgangen sein sollen. Leider ist keine fundierte Auseinandersetzung mit den Nürnberger Gesetzen erfolgt. So kann die von Globke beanspruchte Milderungsargumentation nicht ernsthaft geprüft werden. Abgelehnt hat sie schon 1950 der SPD-Bundestagsabgeordnete Adolf Arndt – von Haus aus Jurist und von 1933-45 als Rechtsanwalt in Berlin tätig. Offen bleibt, warum dessen Kritik nicht ernst genommen wird. Sie kam auch aus den eigenen Reihen: Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Jurist Franz Böhm spricht 1961 von Globke als Kommentator, der sich die „blödesten Hoffnungen“ gemacht habe, „mit irgendeinem Kommentar noch jemanden zu helfen“.

Nach 1945 hat Globke wiederholt behauptet, Widerstandskämpfer gewesen zu sein beziehungsweise Kontakte zu solchen Personen gehabt zu haben. Tatsächlich konnte er mehrere prominente Zeugen finden, die ihm als „Persilscheine“ bezeichnete Entlastungsschreiben ausstellten. Auch er selbst hat weit über 50 solcher Bescheinigungen für andere verfasst. Er konnte kein „Parteigenosse“ werden, so dass Lommatzsch herausstellt: „Bormann hat Globke einen großen Gefallen getan, als er dessen Aufnahmegesuch in die NSDAP ablehnte.“ Dies war 1940 – so die Datierung von Lommatzsch, Bevers nennt das Jahr 1941.

1945 geht er in die CDU, bei der er laut Lommatzsch „niemals offiziell ein Parteiamt innehatte“. Dieser Aussage auf Seite 335 steht aber die Seite 216 entgegen: „Als einziges Parteiamt, welches Globke in der CDU übernahm, ließ sich die Mitgliedschaft im Hauptausschuss seiner Heimatstadt ermitteln.“ Was denn nun? Hier wie an einigen anderen Stellen ist kritisch anzumerken, dass Lommatzsch trotz wiederholt konstatierter unbefriedigender Quellenlage seine Darstellung für „eindeutig beweisbar“ hält. Es bleibt der Verdacht, dass er nach dem Motto schreibt: „Im Zweifel für den Angeklagten“. Aber Zweifel bleiben bestehen und werden nicht durch gebetsmühlenartige Relativierungen und Wiederholungen – „Fest steht, dass Hans Globke einer großen Zahl von Menschen […] geholfen hat …“ – ausgeräumt. Zumal die Aussagen nur auf „Persilscheinen“ beruhen.

Trotz aller Kritik: Der große Gewinn der Arbeit von Lommatzsch ist die sehr breite – manchmal zu detaillierte – Darstellung der Tätigkeit von Globke als Adenauers Staatsekretär. Es kann nachvollzogen werden, dass und wie Globke politisch gestaltet hat. Er sammelte Informationen, pflegte Kontakte und agierte – wenn der Chef weg war – als Adenauers Stellvertreter. Die Darstellungen belegen auch, dass und wie Globke Parteipolitik betrieben hat. Da mutet es befremdlich an, wenn Lommatzsch wiederholt bemüht ist, die Bedeutung der „Empfehlungen Globkes“ für den Bundeskanzler wie für den CDU-Parteivorsitzenden herunterzuspielen.

Es mag dahin gestellt sein, ob – mit Bevers gesprochen – Globke tatsächlich im Schatten Adenauers der zweitmächtigste Mann der (westdeutschen) Bundesrepublik gewesen ist. Dieser Journalist bemüht sich auf völlig andere Weise als der Historiker Lommatzsch herauszufinden: „Wer war Hans Maria Globke wirklich?“ Mit seinem journalistisch-recherchierenden Vorgehen ist es im Unterschied zum wissenschaftlichen Zugang offenbar eher möglich, Problemfelder – wenn nicht Skandale – deutlich zu benennen: Ob es um die Verquickung von katholischer Sexualmoral und NS-Rassenpolitik oder Globkes Zeugenschaft in den Nürnberger Prozessen, die Frage der deutschen Hauptstadt 1949 – Bonn oder Frankfurt am Main – oder seinen Antikommunismus geht. Globke hat vor und während seiner Zeit als Staatssekretär durch personalpolitische Vorschläge vielen NS-belasteten ehemaligen Kollegen Arbeitsmöglichkeiten verschafft. Es bleibt der Verdacht, dass das gegenseitige Geben und Nehmen von „Persilscheine“ eine wichtige Rolle gespielt hat. Nicht zu vergessen sind Globkes offizielle wie geheime Kontakte zu deutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten.

Die journalistische Darstellung richtet sich an ein breites und wenig informiertes Publikum. Allerdings haben die ausführlichen gesellschaftlichen Bezüge und die häufige Breite der Darstellung oft zur Folge, dass das Thema aus den Augen verloren wird. Die Breite der Darstellung trägt andererseits dazu bei, am Beispiel von Globke die Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik vermittelt zu bekommen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden: Sowohl die geschichtswissenschaftliche Studie wie das Ergebnis journalistischer Recherche sind beachtenswerte Beiträge zur Erforschung der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beide Schriften enthalten Personenregister, was das Arbeiten mit ihnen erleichtert.

Titelbild

Jürgen Bevers: Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur grauen Eminenz der Bonner Republik.
Ch. Links Verlag, Berlin 2009.
240 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783861535188

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Titelbild

Erik Lommatzsch: Hans Globke. (1898 - 1973) ; Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
444 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783593390352

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