Auf der Suche nach dem „Haus des Friedens“

Nuruddin Farahs Roman „Netze“ thematisiert die Rückkehr einer Somalierin in ihr von Bürgerkrieg und Zerfall gezeichnetes Heimatland

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Somalia war 2009 immer wieder in den Schlagzeilen. Insbesondere die vor dem Horn von Afrika aktiven Piraten, die Jagd auf westliche Schiffe und Crewmitglieder machten, um möglichst hohe Summen für deren Herausgabe zu erpressen, boten den Medien weltweit viel Stoff. Die Bedrohung der internationalen Schifffahrt und des Seehandels durch die Ostafrikaner war daraufhin für westliche Staaten ein Grund, sich stärker als bisher mit eigenen maritimen Kampfverbänden vor der Küste Somalias und im Arabischen Meer zu engagieren und dem lukrativen Geschäft mit dem Kidnapping Einhalt zu gebieten.

Die Ursachen dieser modernen Art der Piraterie wurden damit jedoch nicht behoben. Sie bleiben daher auch zukünftig eine wesentliche Sorge für die Staatengemeinschaft. Die Gründe für diesen „Trend“, auf Schiffe und Menschen Fang zu machen und diese nur für viel Geld wieder frei zu lassen, liegen in der politischen Entwicklung Somalias begründet, das seit dem Sturz des viele Jahre herrschenden Diktators Siad Barre (1919-1995) im Jahre 1991 nicht mehr zur Ruhe gekommen ist. Verschiedene Rebellengruppen, die die Macht seitdem für sich beanspruchen, haben das afrikanische Land in einen Bürgerkrieg gestürzt, der es an den Rand des Zusammenbruchs geführt hat. Somalia gilt als einer der „zerfallenen Staaten“, in dem statt einer stabilen (Zentral-)Regierung viele miteinander verfeindete Clans und Warlords herrschen. Schließlich haben die Islamisten in den letzten Jahren aufgrund der langwierigen inneren Stagnation als eine weitere politische Kraft an Bedeutung gewonnen.

In diese Atmosphäre von Angst und Unsicherheit, Instabilität und Auflösung hat der 1945 im somalischen Baidoa geborene Dramatiker und Schriftsteller Nuruddin Farah seinen neuesten, 2007 veröffentlichten Roman „Knots“, der erstmals 2009 unter dem Titel „Netze“ auch auf Deutsch erschienen ist, angesiedelt. Darin versucht der 1998 mit dem Neustadt-Literaturpreis ausgezeichnete und nach einer langen Odyssee mittlerweile in Südafrika lebende Autor die derzeitige Situation in seinem Heimatland mit all ihren Ursachen und Auswirkungen darzustellen und verständlich zu machen. Er zeigt aber auch die Möglichkeiten auf, wie der politischen und wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Krise in Somalia auf künstlerische Art und Weise begegnet werden kann.

Im Mittelpunkt des Romans steht Cambara, eine charismatische und impulsive Frau um die Dreißig, die nach vielen Jahren in der kanadischen Emigration den Entschluss fasst, in die frühere Heimat zurückzukehren, um ein altes Anwesen ihrer Eltern, die sie als Kind einst mit nach Nordamerika nahmen, aus den Händen eines „mittleren“ Warlords zu reißen und wieder in den Familienbesitz zu überführen. Der wahre Grund, ihr westlich geführtes Leben in Toronto aufzugeben, ist aber der Tod ihres neunjährigen Sohnes Dalmar, der aufgrund der Unachtsamkeit seines Vaters ertrunken ist und der einzige Kitt für ihre ansonsten gescheiterte Beziehung zu ihrem Ehemann Wardi war.

Das Mogadischu, das Cambara betritt, stellt eine Welt für sich dar. Sie hat nur noch wenig mit der Stadt gemein, die die Protagonistin als Kind noch gekannt hat. Das öffentliche Leben wird bestimmt von Männern und jugendlichen Rebellen, die schwer bewaffnet in den Straßen patrouillieren, die aufgeteilt sind in Einflusszonen von Clans und Warlords. Die faktische Nichtexistenz des Staates hat zu solch anarchischen Verhältnissen geführt, dass alles auf ein Minimales zurückgefahren ist. Unterhaltungsmöglichkeiten gibt es keine. Im Gegenteil hat das Erstarken der religiösen Fundamentalisten zu einer Islamisierung geführt, nach der Alkoholkonsum verboten ist und Frauen zum Tragen eines Schleiers verpflichtet sind. Farah zeichnet eine Gesellschaft, die zwischen Tradition und Moderne, der Wahrung eigener und fremder, primär westlicher Normen und Werte hin- und hergerissen ist. Dabei erfährt diese Entwicklung durch den Umstand des langjährigen Bürgerkriegs noch eine zusätzliche Verschärfung.

Was während der Lektüre von „Netze“ besonders auffällt, ist die Gegensätzlichkeit in der Darstellung und Vorgehensweise der männlichen und weiblichen Figuren. Während die allermeisten der Männer entweder dem bewaffneten Kampf oder dem Kauen von Khatblättern verfallen sind (meistens beiden zusammen), einen insgesamt recht heruntergekommenen und vernachlässigten Eindruck machen, von der Entwicklung müde und enttäuscht sind und damit gewissermaßen ein Sinnbild für den Zusammenbruch des Landes abgeben. So erscheinen die Frauen dagegen gesund, gepflegt und sehr auf ihr Äußeres bedacht. Sie wirken tapfer und furchtlos und sind engagierte und begeisterungsfähige Aktivisten für den Wiederaufbau ihres Landes. Vertreten werden diese beiden unterschiedlichen Typen durch Zaak und Cambara. Ihren Cousin, dem sie einst half, das Land zu verlassen, indem sie ihn heiratete, trifft die Protagonistin immer wieder in ihrem Leben. Dabei versucht sie aber, sich von ihm – als ihrem negativen Gegenbild – zu distanzieren und zu emanzipieren.

Zuletzt tut sie dies nach ihrer Rückkehr nach Mogadischu, wo sie seine Wohnung schon nach kurzer Zeit verlässt, um mit Hilfe des Netzwerks „Frauen für den Frieden“ sowohl ein früheres Grundstück ihrer Familie zurück zu bekommen als auch dort ein Theaterstück, das sie selbst geschrieben hat, von Einheimischen uraufführen zu lassen. Es sind hier wiederum die weibliche Hauptfigur und eine Reihe von anderen Frauen, Freundinnen und Bekannte, die es mit ihren Aktivitäten für Cambaras „gesellschaftliches Dreigestirn“, nämlich „Arbeit, ehrliches Leben und Frieden“, schaffen, zumindest die Männer in ihrer Umgebung für ihre Ziele zu gewinnen. So gelingt es ihnen, jene davon zu überzeugen, dass es neben Waffengewalt, Fatalismus und Drogenkonsum auch noch andere, und zwar produktive Möglichkeiten gebe, mit den gegebenen Verhältnissen in Somalia umzugehen. Cambaras Theaterstück ist als Kunst eine solche Strategie, mit der versucht werden könne, die für viele traumatischen Erlebnisse im eigenen Leben wie auch in der Entwicklung der Heimat zu verarbeiten.

Als „Stück im Stück“ in Farahs Roman dient die Inszenierung dazu zu zeigen, dass die künstlerische Beschäftigung mit Krieg, die Weigerung, Gewalt mit neuer Gewalt zu beantworten, stattdessen der Wunsch, sich auf friedlichem Wege mit anderen auseinanderzusetzen, der erste Schritt sein kann, aus dem Teufelskreis von Bürgerkrieg, Niedergang und Zerfall auszubrechen. So traurig und dramatisch schließlich auch die Umstände sind, in denen sich die männlichen wie weiblichen Figuren in dem neuesten Roman von Nuruddin Farah befinden – „Netze“ zeigt auf, dass es für sie im Grunde keine Alternative dazu gibt, die Ursachen und Auswirkungen der chaotischen Verhältnisse in Somalia seit dem Sturz der Barre-Diktator anders zu bewältigen als durch Friedensarbeit. Und das geschieht bei Farah in Form von Kunst. Dabei dienen ihm die weiblichen Figuren – auch aufgrund ihrer Rolle als Ehefrauen, Mütter und letztlich auch als Angehörige einer bevormundeten Gruppe – als Motoren und Garanten einer stillen, aber umso wirkungsvolleren, friedlichen Umwälzung innerhalb der somalischen Gesellschaft.

Titelbild

Nuruddin Farah: Netze. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Reinhild und Gunter Böhnke.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
484 Seiten, 28,80 EUR.
ISBN-13: 9783518421031

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