Der eindimensionale Blick auf die Welt

Über John Grays Buch „Von Menschen und anderen Tieren“

Von Eckart LöhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eckart Löhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Zuge des Erfolges des 2009 erschienenen Buches „Politik der Apokalypse“ hat sich der Klett-Cotta Verlag nun entschieden, John Grays wohl bekanntestes Werk „Straw Dogs – Thoughts on Humans and Other Animals“ aus dem Jahr 2003 ins Deutsche zu übersetzen und unter dem Titel „Von Menschen und anderen Tieren– Abschied vom Humanismus“ zu veröffentlichen. Der 1948 geborene Autor war Professor für Ideengeschichte an der London School of Economics und schreibt regelmäßig für diverse Zeitungen, unter anderem für den „Guardian“.

Zu Beginn seiner Ausführungen zitiert Gray den französischen Biologen Jacques Monod: „Alle Religionen, fast alle Philosophien und zum Teil sogar die Wissenschaft zeugen von der unermüdlichen, heroischen Anstrengung der Menschheit, verzweifelt ihre eigene Zufälligkeit zu verleugnen.“ Schon hier ahnt man bereit auf welchem geistigen Grund sich Gray bewegt. Monod, der enttäuschte Kommunist, hatte in seinem Buch „Zufall und Notwendigkeit“ aus dem Jahr 1970 eine sinnlose Welt beschrieben und einen Menschen gezeigt, der in der „teilnahmslosen Unermeßlichkeit des Universums allein ist, aus dem er zufällig hervortrat.“ Wir wissen heute, dass das Universum alles andere als teilnahmslos ist und vieles spricht gegen die Zufälligkeit der Entwicklung von Leben.

Gray geht in seinem Buch von zwei Thesen aus. Zum einen, das verrät schon der Titel, ist er der Meinung, der Mensch sei nichts anderes als ein Tier auf zwei Beinen. Zum anderen hält er den Anspruch des Humanismus. den Menschen verbessern zu können, für einen der größten Irrtümer des Abendlandes.

Gray zeigt, dass der Humanismus eine säkulare Variante des Christentums und keine Wissenschaft ist. „Er ist ein postchristlicher Glaube daran, dass wir eine Welt aufbauen können, die besser ist als jede, in der Menschen bislang gelebt haben.“ Was den Humanismus auszeichnet, ist sein tiefer Glaube an die diesseitige Erlösung des Menschen am Ende einer linear fortschreitenden geschichtlichen Entwicklung. Der Humanismus ist somit im Kern eschatologisch, und das ist natürlich eine genuin christliche Vorstellung.

In der tiefen Überzeugung, die Menschheit zu verbessern, hat der Mensch, so Gray, im Laufe der Geschichte immer wieder die schlimmsten Gewalttaten und Völkermorde begangen. Der Autor glaubt nicht an die Sinnhaftigkeit der Geschichte und schreibt: „Wenn wir uns vom Christentum wirklich lösen wollen, müssen wir die Vorstellung aufgeben, dass die menschliche Geschichte einen allumfassenden Sinn hat. Die Idee, die Geschichte müsse einen Sinn ergeben, ist nur eine christliche Einbildung.“

Nach Gray ist der Mensch gar nicht in der Lage, größeren Einfluss auf die historische Entwicklung zu nehmen und so stehen den Humanisten „die wenigen Weitsichtigen gegenüber, die erkennen, dass der Mensch sein Schicksal ebenso wenig selbst steuern kann wie irgendein anderes Tier.“ Gray dürfte sich in aller Bescheidenheit zu den „wenigen Weitsichtigen“ zählen.

Die nicht gerade originelle These Grays, dass der Mensch ein Tier ist, wird hier nicht nur vertreten, sie wird dem Leser praktisch eingehämmert und in immer neuen Varianten präsentiert. Ein Beispiel von vielen soll hier genügen: „Andere Tiere suchen nach Nahrung, pflanzen sich fort und sterben irgendwann. Das ist alles. Wir Menschen aber – so bilden wir uns ein – sind anders: Wir sind Subjekte, deren Handlungen auf ihren eigenen Entscheidungen beruht. Andere Tiere verbringen ihr Leben, ohne sich ihrer selbst gewahr zu sein, wohingegen wir mit Bewusstsein begabt sind. Das Bild, das wir von uns selbst haben, gründet in der eingefleischten Überzeugung, Bewusstsein, Subjektivität und freier Wille seien besondere Merkmale des menschlichen Wesens und zeichneten uns vor allen anderen Lebewesen aus.“

Natürlich ist die Gleichsetzung des Menschen mit dem Tier aus mehreren Gründen absurd. Selbst Charles Darwin – der an einer anderen Stelle von Gray bemüht wird – hätte das so mit Sicherheit nicht unterschrieben. Das wohl gravierendste Differenzkriterium ist, dass das Tier etwas weiß, aber der Mensch weiß, dass er weiß. Das mag auf den ersten Blick ein feiner Unterschied sein, auf den zweiten Blick entpuppt er sich als der Unterschied schlechthin.

Hätte der Autor das bereits erwähnte Buch Monods zu Ende gelesen, wäre er noch auf diesen Satz gestoßen: „Das intelligente Tier besitzt kein Mittel, sein, Bewußtsein zu befreien’, höchstens, daß es annähernd zeigt, in welcher Richtung seine Phantasie spielt. Der Mensch dagegen kann von seinen subjektiven Erfahrungen sprechen.“

Der Mensch verfügt demnach über Sprache, die ihm nicht nur bildliches, sondern auch begriffliches, abstraktes Denken ermöglicht; er ist sich seiner selbst bewusst und somit in der Lage, sich zu sich selbst zu verhalten. Das Wesen des Menschen ist somit – das wusste schon der große Existenzphilosoph und Tiefenpsychologe Sören Kierkegaard und hat es in seinem Buch „die Krankheit zum Tode“ eindrucksvoll beschrieben – von Grund aus instabil und somit gefährdet.

Aber gerade diese Instabilität ist der Grund aller menschlichen Kreativität und natürlich, das ist die andere Seite der Medaille, der Grund all seiner Verzweiflung, seiner Verirrungen – seine Tragik und seine Größe zugleich. Der Mensch kann sich und der Welt immer beides sein – Himmel und Hölle. Was man dem Autor deshalb bereits an dieser Stelle vorwerfen muss ist, dass sein Blick nur die dunkle Seite des Menschen erfasst und dabei die ebenso vorhandenen Eigenschaften des Menschen, wie seine Fähigkeit zur Empathie, zur Liebe, zu altruistischem Verhalten und zur Zusammenarbeit, völlig ignoriert. Eigenschaften übrigens – und hier hätte der Autor mit seiner Gleichsetzung von Mensch und Tier Recht gehabt –, die auch Tiere besitzen.

Im Gegensatz zum Menschen, wundert sich der Autor allerdings irgendwann, „streben andere Tiere nicht nach Erlösung vom Leiden.“ Spätestens an dieser Stelle hätte er erkennen können, dass die Ursache dafür darin liegt, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier seine Zukunft antizipieren kann; und natürlich ist es nicht nur das „Verstreichen der Zeit“, was den Menschen, nach Gray, umtreibt, sondern das tiefe Wissen um seine eigene Sterblichkeit, das was Martin Heidegger das „Vorlaufen zum Tod“ nannte.

Richtiggehend befremdlich wird es allerdings am Ende seiner Ausführungen. Die Gleichsetzung von Mensch und Tier scheint dem Autor irgendwann nicht mehr weit genug zu gehen und so müssen jetzt die Maschinen daran glauben. „Falls Maschinen irgendwann der Kontrolle durch den Menschen entgleiten, werden sie nicht nur ein Bewusstsein entwickeln. Sie werden auch zu beseelten Wesen werden, deren Innenleben sich genauso wenig in bewussten Denkvorgängen erschöpft wie das unsere.“ Julien-Offray de la Mettrie und sein 1747 erschienenes Buch „L´homme machine“ lassen grüßen und spätestens hier sollte man sich ernsthafte Sorgen um John Grays „bewusste Denkvorgänge“ machen und zu einem anderen Buch greifen.

Liest man dennoch weiter, so stößt man unter der Überschrift „Der Trost des Tätigseins“ noch auf Folgendes: „Menschen, die sich für eine bessere Welt engagieren, sehen sich selbst als heldenhafte, möglicherweise auch tragische Gestalten. Doch die meisten von ihnen rebellieren in Wirklichkeit nicht gegen die Ordnung der Dinge. Sie suchen Trost angesichts einer Wahrheit, die sie nicht ertragen können. Da sie glauben, die Welt könne durch menschliche Willenskraft verwandelt werden, leugnen sie im Grunde genommen die eigene Sterblichkeit.“ Etwas Unwahreres hat man selten gelesen und mit dieser Haltung kann man sich getrost zurücklehnen und dem Lauf der Dinge selbstzufrieden zusehen. Der oder die eine oder andere erinnert sich an dieser Stelle vielleicht an einen Satz des „Cap Anamur“-Gründers Rupert Neudeck, der einmal sinngemäß gesagt hat, dass er mit gewissen Intellektuellen nichts mehr zu tun haben will, da sie immer einen Grund dafür finden, Dinge nicht zu tun.

Nachdem der Autor so über 200 Seiten ein Bild des Menschen gezeichnet hat, das an Düsterheit kaum mehr zu überbieten ist, lautet am Ende sein Fazit, das an Schlichtheit kaum mehr zu unterbieten ist so: „Andere Tiere brauchen kein Lebensziel. Das Tier Mensch kommt, da es im Widerstreit mit dem eigenen Wesen lebt, nicht ohne ein solches Ziel aus. Könnte es nicht darin bestehen, einfach zu sehen, was ist?“ – Ein wahrlich beeindruckender Vorschlag, der die Welt mit Sicherheit sofort zu einem Ort des Friedens und der Freiheit werden lässt.

Dieses Buch ist aus mehreren Gründen ärgerlich. Es geht zum einen von falschen, wenig originellen und zum Teil hoffnungslos überholten Thesen aus und somit werden alle daraus gezogenen Schlüsse falsch, zum andern ist es populistisch, oberflächlich und stellenweise dumm. Der Autor mag Professor für Ideengeschichte gewesen sein, seine eigenen sind –zumindest was dieses Buch betrifft – wenig überzeugend.

Titelbild

John Gray: Von Menschen und anderen Tieren. Abschied vom Humanismus.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010.
240 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783608946109

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