Autsch, denkt die Leserin

Über Anne Webers Roman „Luft und Liebe“

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie rezensiert man einen Roman, der vielversprechend ist, aber nicht hält was er verspricht? Immerhin lässt sich über Geschmack bekanntlich streiten und jeder, der es einmal selbst versucht hat, weiß, dass es nicht einfach ist, ein gutes Buch zu schreiben. Darüber hinaus spielen bei der Beurteilung eines Romans immer auch die Erwartungen, mit denen wir die erste Seite aufschlagen, eine Rolle: Hohe Erwartungen und schon erscheint dem Leser ein mittelmäßiger Roman als ein schlechtes Machwerk. Niedrige Erwartungen bei Beginn der Lektüre hingegen lassen die Bewertung oft ungerechtfertigt über das Mittelmaß der Publikation hinwegtäuschen.

Bevor „Luft und Liebe“ von Anne Weber also zu negativ besprochen wird, muss dem Buch zugestanden werden, dass es zumindest nach dem Studium des Klappentextes durchaus der ersten Kategorie zuzuordnen ist. „Anne Webers Literatur ist ein Ereignis“, wird dort Stephan Lebert vom Tagesspiegel zitiert. Auch die Kurzbiografie der Autorin, die in Frankreich lebt und nicht nur eigene Romane schreibt, sondern auch Werke von Wilhelm Genazino und Pierre Michon übersetzt, klingt vielversprechend. Gleiches gilt für den Kurzinhalt: „Alle sprechen von Liebe. Aber wer weiß eigentlich, was das genau ist? Im Hintergrund Paris, die Stadt der Liebe. Sie, nicht mehr ganz jung, trifft einen, der das Zeug zum Märchenprinzen hat. Sie verlieben sich ineinander, schmieden Zukunftspläne, träumen vom gemeinsamen Glück. Aber als die Träume Realität werden sollen, löst sich die Liebe schlagartig in Luft auf. Mit großer Leichtigkeit und literarischer Eleganz erzählt Anne Weber von den Abgründen jener Illusion, die wir Liebe nennen.“

Tatsächlich aber ist von der literarischen Eleganz und Leichtigkeit, zu der die Autorin, soviel merkt man den Sätzen durchaus an, sicher fähig ist, nicht viel zu merken, denn dank eines gleichermaßen merkwürdigen wie unnötigen Kunstgriffes wirkt die Geschichte gestelzt und angestrengt.

„Luft und Liebe“ beginnt damit, dass die Ich-Erzählerin, die die Handlung, die sie erzählen möchte selbst erlebt hat, im Rückblick berichtet wie sie versuchte, sich selbst in Distanz zu den Ereignissen zu bringen, indem sie ihre Erfahrungen wie ein Kleidungsstück einer fiktiven Figur namens Leá übergestreift hat. Um Leá ordnete sie dann ihre Vergangenheit an, bis am Ende ein schlechter Roman dabei herauskam, den die Ich-Erzählerin in den Papierkorb warf. Nach dieser Einführung wagt sie sich nun an ein eine zweite Version, in der Leá nicht mehr vorkommt, stattdessen aber der Ich-Erzählerin als fiktive Figur bei der Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten, die sich im Verlauf des Romanschreibens ergeben, als „Sparringspartnerin“ dienen muss.

Wenn aber die eigentliche Romanhandlung unentwegt durch die Reflexionen der Autorin – oder besser der schreibenden Ich-Erzählerin – durchbrochen wird, dann bedarf es schon eines außergewöhnlichen Talents um den Leser bei der Stange, oder besser bei der Geschichte zu halten. Genau hier aber scheitert Anne Weber – ihre Ambition, einen doppelbödigen Roman zu schreiben, misslingt. Das wiederum zerstört ihre „sprachliche Brillanz“ und „die Fähigkeit auf leichte Art ernst zu werden“, die Jochen Jung von der Zeit ihr zu Recht zuspricht. Dabei wäre die Handlung – über Träume von einem gemeinsamen Leben, Hochzeit und Kind, die zerplatzen wie eine Seifenblase – in der Tat leicht und ironisch erzählt, durchaus in der Lage gewesen, die Leser in ihren Bann zu ziehen. Zahlreiche Einsprengsel der folgenden Art, mit denen Weber im Verlauf des Romans alles andere als sparsam umgeht, reißen einen dann aber doch immer wieder unnötig aus der Geschichte heraus: „Und wenn ich stattdessen doch eher jene ganz und gar zurückgezogen lebende, tagelang nicht vor die Tür gehende, auf ihre Freundin Léa und deren bewegtes Gefühlsleben ein wenig neidische Schriftstellerin wäre, deren Rolle ich mir in dem verworfenen Manuskript zugedacht hatte?“, „Die Geschichte freute sich über das Unglück der Prinzessin“, „Die Geschichte aber freut sich doppelt: Es scheint sie sei am Ende angelangt, aber sie ist es noch nicht, sie hat noch etwas in der Hand, wovon gleich noch die Rede sein wird.“ „Hab Einsicht Geschichte, und gib zu, daß Du unmögliches von mir verlangst. Wie soll man von einem Unglück erzählen, dass einem selbst widerfahren ist?“

Leider haben weder die Geschichte noch Anne Weber Einsicht, und so schwankt ihre Erzählung zwischen romantischem Pathos, Reflexionen über das Schriftstellerdaseins und Abhandlungen über künstliche Befruchtungen, denen sich eine Frau jenseits der vierzig unterziehen muss. Auch der ständige Namenswechsel von Orten und Personen, der dazu dient, die Fiktivität der ganzen Geschichte zu betonen, ist eher ermüdend. Die Protagonistin, alias Leá, alias die Rächerin, will von ihrem Ritter, alias falschem Ritter, alias Enguerrand zu allem Übel auch noch ein Kind. „Da ist einerseits die Peinlichkeit des Geständnisses, eine Frau, ja, das ist man, das kann man nicht leugnen, und ein bestimmtes Alter und einen Eisprung hat man auch, hat man noch, ogottogott, und dann der Plastikbecher, die Küchenszene, der dicke Bauch. Über all das muss man sich hinwegsetzen und so tun, als habe man keinerlei Schamgefühl, oder sich gleich jeglicher Scham als einer ganz und gar anachronistischen Regung entledigen, weg mit dir, jetzt lassen wir die Eier springen, und wem oder was würde man lieber sein Schamgefühl opfern als der Literatur.“

Autsch, denkt die Leserin und wünscht beim umblättern, Anne Weber hätte ihr Schamgefühl, oder das Schamgefühl ihrer fiktiven Figuren, besser für sich behalten. Dass der Roman nicht fesselt, liegt letztendlich daran dass die Episode über künstliche Befruchtung auch einem „Brigitte“-Dossier entspringen könnte und der abschließende Rachefeldzug gegen den einst geliebten Hochstapler nicht unbedingt dem Frauenbild des 21. Jahrhunderts entspricht – sondern daran, dass sich das Gefühl einstellt, Anne Webers Ich-Erzählerin habe mit ihrem Roman auf Kosten des Lesers eine gründliche Selbsttherapie unternommen.

Titelbild

Anne Weber: Luft und Liebe. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
190 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783100910462

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