Erzähler und Zuhörer

Zum 70. Geburtstag des Schriftstellers Uwe Timm

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich bin nicht nur ein Erzähler, ich höre auch sehr gern zu“, hatte Uwe Timm vor einigen Jahren in einem Interview erklärt. Tatsächlich wirken die meisten seiner Bücher so, als seien sie direkt dem Leben abgelauscht. Seine größten Erfolge feierte Uwe Timm, der am 30. März 1940 in Hamburg als Sohn eines Kürschners geboren wurde, Anfang der 1990er-Jahre mit der Verfilmung seines Kinderbuchbestsellers „Rennschwein Rudi Rüssel“ und dem Roman „Die Entdeckung der Currywurst“, der in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde und zu dessen Erscheinen in Fernost Uwe Timm im Herbst 2003 eine große Lesereise durch Japan und China machte.

Zunächst deutete in Timms Leben nichts darauf hin, dass er Schriftsteller werden würde, denn einer Kürschnerlehre folgte das Abitur erst auf dem zweiten Bildungsweg, dann in den unruhigen 1968er-Jahren ein Studium der Germanistik und Philosophie in München und Paris, das er 1971 mit einer Promotion über Albert Camus abschloss. Erst mit 31 Jahren veröffentlichte er sein erstes Buch, den Lyrikband „Widersprüche“ mit politischen Gedichten, die unter deutlichem Einfluss der Studentenbewegung standen.

Ein wiederkehrendes Thema, dem er sich nicht nur in seinem ersten Roman „Heißer Sommer“ (1974), sondern auch in „Kerbels Flucht“ (1980) und noch einmal in seinem Roman „Rot“ (2001) widmete. Timm, der sich einst aktiv im SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) engagierte, hat im Laufe der Jahre ein immer distanzierteres Verhältnis zur Studentenbewegung und den „linken Romantikern“ entwickelt. Auch das Verhältnis zu seinen oft scheiternden Protagonisten wurde im Laufe der Jahre von einer immer stärker werdenden Ironie geprägt. Schon seine Hauptfigur Christian Kerbel verspürte im Blick zurück „das Gefühl, Zeit vertan zu haben.“

„Die gesellschaftlichen Probleme sollen anschaulich und unterhaltsam dargestellt werden“, lautete in den frühen 1970er-Jahren die verlegerische Leitlinie der von Timm federführend betriebenen Autoren-Edition. Eine Maxime, die für die meisten seiner eigenen Werke bis heute zutrifft.

Neben den vielen gescheiterten Existenzen aus der 1968er-Generation tauchen als weitere literarische Sujets auch wiederholt die „Dritte Welt“ (in den Romanen „Morenga“, 1978, und „Der Schlangenbaum, 1986) sowie die Metropole Berlin („Johannisnacht“, 1996, und „Rot“, 2001) auf. Auch Timms letzter, etwas aus der Art geschlagene Roman „Halbschatten“ spielt zumindest teilweise in Berlin – auf dem Invalidenfriedhof. Verstorbene Figuren und der Lebensweg der Flugpionierin Marga von Etzdorf werden in diesem polyphonen Erzählwerk nebeneinander gestellt, und es entsteht eine sonderbare Mixtur aus tragischer Liebesgeschichte, historischem Puzzle und assoziativem Essay.

Längere Auslandsaufenthalte (unter anderem in Rom), Gastdozenturen und viele Literaturpreise (zuletzt den Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln) zeigen: Timm ist in der Eliteliga der deutschen Schriftsteller angekommen und dabei angenehm bescheiden geblieben.

Pünktlich zum 70. Geburtstag ist unter dem Titel „Am Beispiel eines Lebens“ eine Sonderausgabe seiner autobiografischen Schriften erschienen. Darin enthalten ist auch die berührende Erzählung „Am Beispiel meines Bruders“, in der Timm der schmerzlichen Frage nachgeht, was seinen 16 Jahre älteren Bruder Karl-Heinz dazu brachte, in der Waffen-SS zu dienen.

Titelbild

Uwe Timm: Am Beispiel eines Lebens.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010.
496 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783462042207

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