Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus

Gregor Mayer/Bernhard Odehnal skizzieren in ihrem Buch „Aufmarsch“ die rechte Gefahr aus Osteuropa

Von Andreas KorpásRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Korpás

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die politische Landschaft Osteuropas befindet sich derzeit im Umbruch. Die Wirtschaftskrise hat die „kleinen Tiger“ hart getroffen, ein neuer Nationalismus erscheint als Folge nicht begonnener oder nicht zu Ende geführter Reformen nach 1989. Dieser Nationalismus tritt in vielen Fällen in Einheit mit einem Erstarken rechtsextremer Parteien und Bewegungen auf.

Die Autoren Gregor Mayer und Bernhard Odehnal sind langjährige Beobachter der rechten Szene in Osteuropa. Ihr Buch „Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa“ bringt dem deutschsprachigen Leser zur richtigen Zeit einen faktenreichen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Entwicklung in Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Kroatien, Serbien und Bulgarien; nicht, weil es in den anderen Ländern keine rechtsradikalen Erscheinungen gäbe, sondern weil sie diese Länder durch ihre bisherige Arbeit am besten kennen.

Das Buch gewinnt seine besondere Aktualität durch die Tatsache, dass nach den Wahlen am 11. bzw. 25. April 2010 mit der Jobbik eine offen rechtsradikale Partei mit 47 Sitzen ins ungarische Parlament einzog, die damit nur unwesentlich schwächer vertreten ist, als die bisherige sozialistische Regierungspartei MSZP. Hätte die Jobbik ihr Ergebnis der Wahlen zum Europaparlament 2009 wiederholen können, wäre der Unterschied noch geringer ausgefallen (0,45%).

Das politische Fazit ist eindeutig – achtzig Prozent (!) der Wahlberechtigten haben bei den Parlamentswahlen für eine rechtspopulistische oder rechtsextreme Partei votiert. Rechtsnationales und rechtsextremes Gedankengut bewegt sich nicht mehr am Rande der Gesellschaft, sondern ist im gegenwärtigen Ungarn zum politischen Mainstream geworden.

Der Name der neuen Rechtsaußenpartei – Jobbik – ist ein geschicktes Wortspiel, denn es bedeutet zugleich die „Rechteren“ und die „Besseren“. Ihre Programmatik besteht vordergründig in der Revision der Trianon-Verträge, in einer Gesetzgebung, die gegen die Minderheit der Roma gerichtet, ist und im Austritt aus der NATO und der EU. Dabei steht der Feind nicht nur in den Reihen der Liberalen, der Kommunisten und der Sozialdemokraten, sondern auch im rechtskonservativen Lager. Unlängst hat der Jobbik-Vorsitzende Gábor Vona angekündigt, binnen vier Jahren die politische Macht im Lande übernehmen zu wollen.

Diese Entwicklung zeigt sehr deutlich, wie anfällig noch nicht gefestigte demokratische Strukturen sind, wenn die versprochene Verbesserung der Lebenssituation ausbleibt, wenn sich stattdessen die ökonomische Grundlage einer Bevölkerungsmehrheit stetig verschlechtert und sich diese einer Politikerelite gegenübersieht, die in der Postwendezeit auf zum Teil ungeklärte Weise zu riesigen Vermögen gekommen ist. So glaubt heute die Mehrheit der Ungarn in der sozialistischen Kadár-Ära ein besseres Leben geführt zu haben und viele, auch der Jüngeren, die diese Zeit gar nicht miterlebten, sehnen sich nach dieser vergangenen Epoche zurück. In einer solchen Situation hat der politische Populismus ein leichtes Spiel und gerade im Osten Europas ist dabei bisweilen eine Übernahme linker Programmatik durch rechte Parteien zu beobachten.

Nicht nur in Ungarn marschiert die rechtsextreme (Neue) Ungarische Garde. Auch in Tschechien organisiert die rechtsradikale „Arbeiterpartei“ Märsche durch hauptsächlich von Roma bewohnte Stadtviertel, etwa am 17. November 2008 durch den Stadtteil Janov, am Rande der kleinen Stadt Litvínov im Erzgebirge, bei dem es zu Ausschreitungen und einer teilweisen Solidarisierung der Bevölkerung mit den Rechtsradikalen kam. Aber anders als in Ungarn scheint es, dass in Tschechien kein Konsens in der Mehrheit der Bevölkerung für rechtsnationales und rechtsradikales Gedankengut besteht.

In der Slowakei ist die nationalistische Stimmung derzeit weitaus stärker als in Tschechien und derjenigen in Ungarn durchaus vergleichbar. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Beziehungen zwischen Ungarn und der Slowakei durch die Ankündigung des Staatsbürgerschaftsrechtes für alle Auslandsungarn – gemeint sind in erster Linie die ethnischen ungarischen Minderheiten in Rumänien, der Slowakei, Serbien und der Ukraine – besonders angespannt. Als politischen Erfolg verbucht es die Jobbik, dass der 4. Juni zum nationalen Gedenktag erklärt werden soll – der Tag der Unterzeichnung der Trianon-Verträge!

Die stärkste rechtsextreme Gruppierung in der Slowakei ist die „Slowakische Gemeinschaft“ von Márian Kotleba. Auch sie spricht von der „Roma-Kriminalität“ (im ungarischen rechten Jargon – „Zigeunerkriminalität“), gegen die man sich zu schützen habe.

Die Stärke des Buches liegt darin, dass nicht nur nackte Zahlen herangezogen werden, sondern, dass in guter journalistischer Manier Ereignisse beschrieben werden, welche die politischen Tendenzen untermauern. Diese Ereignisse werden in einen historischen Rahmen eingebettet und durch Interviews mit führenden Köpfen der jeweiligen rechten Szene ergänzt.

Gregor Mayer und Bernhard Odehnal zeigen, dass das rechtsextreme Gedankengut in den untersuchten Ländern häufig eine Kontinuität besitzt, die bis in die erste Hälfte des 20.Jahrhunderts und die Zeit des Zweiten Weltkrieges zurückreicht. Für Kroatien konstatieren die Autoren ebenfalls ein Erstarken des Rechtsextremismus. Am Beispiel des Sängers Marko Petrovic, der den Künstlernamen Thompson trägt, zeigen die Autoren, wie unhinterfragt das rechtsnationale Gedankengut auf weite Lebensbereiche Einfluss nimmt. Interessant hieran ist, dass dieser zuweilen offen rassistische Sänger bis 2007 von der Hypo-Alpe-Adria Landesbank, die damals dem Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider unterstellt war, gesponsert wurde. Das kroatische Fernsehen übertrug Thompson-Konzerte live und dabei konnten niemandem die Hitler – beziehungsweise Ustascha-Grüße in den ersten Reihen entgehen. In Kroatien geht heute die Saat des „Tudjmanismus“, der verquasten Ideologie des ehemaligen Staatspräsidenten und Hobbyphilosophen auf, der sich selbst als Bewunderer Francos bezeichnete. Der Rechtsradikalismus in Kroatien ist, wie in Serbien, vor allem auch in den großen Fußballstadien zu finden.

Mit Fußball beziehungsweise Gewalt von Hooligans hat auch das Kapitel über Serbien zu tun. Der Tod des Fußballfans Brice Taton, der zu einem Spiel des FC Toulouse nach Belgrad gekommen war, erschütterte 2009 die serbische Öffentlichkeit. Fans des Fußballclubs Partizan Belgrad hatten ihm am helllichten Tag vor einem Café in der Innenstadt Verletzungen zugefügt, an denen er daraufhin verstarb. In Serbien wird der Rechtsnationalismus, so Mayer und Odehnal, heute hauptsächlich von der serbisch-orthodoxen Kirche gestützt. Als eines der größten Feindbilder habe sie Homosexuelle ausgemacht, die laut einer Befragung immerhin 70 Prozent der Bevölkerung als krank betrachten. So unterstützen auch viele Studenten die klerikalen Jugendorganisationen „Obraz“ und „1389“, denen die Bewahrung der nationalen Werte besonders am Herzen liegt. Vertreter der serbischen Orthodoxie engagieren sich heute um die Heiligsprechung des Klerikers Velimirovic, der während der deutschen Besatzungszeit mit seiner „Rede an das serbische Volk durch das Kerkerfenster“ seine antisemitische Einstellung offen zur Schau gestellt hat. „Infolgedesse fördert sie [die orthodoxe Kirche, A.K.] die Verbreitung antijüdischer Vorurteile und nährt sie politischen Extremismus.“ Die Autoren zählen 40 bis 50 Gruppen und Grüppchen im Umfeld des Rechtsradikalismus im heutigen Serbien.

Ähnliche Tendenzen werden in Bulgarien ausgemacht. Am Beispiel der Morddrohungen, die gegen eine Doktorandin der Freien Universität Berlin – die ein Gemälde des Massakers von Batak auf seinen historischen Gehalt untersuchte – ausgerufen wurden, wird der neue, auch vor Gewalt nicht zurückschreckende Extremismus in Bulgarien untersucht. Die Forscherin Martina Baleva kam zu dem Ergebnis, dass das Gemälde auf der Grundlage gestellter Fotos erst viele Jahre nach dem tatsächlichen historischen Ereignis entstanden war und die Opfer keineswegs von türkischen Truppen, sondern sehr wahrscheinlich von bulgarischen Moslems getötet wurden. Damit wäre das Gemälde für den bulgarischen Nationalmythos unbrauchbar geworden. Eine geplante Konferenz zu diesem Thema musste auf Grund massiver Gewaltandrohungen abgesagt werden, zudem wurde das Haus der Eltern der Kunsthistorikern von Extremisten in Brand gesetzt. So konstatiert „der Historiker Ulf Brunnbauer […] in Bulgarien eine stärker werdende nationalistische Grundstimmung, die von allen Gesellschaftsschichten und politischen Parteien getragen werde.“

Den Abschluss bildet ein Interview mit dem Kopf des Bulgarischen Nationalbundes Bojan Rasate, der zugleich auch Gründer der Sportgruppe „Edelweiß“ und der Bulgarischen Nationalen Garde, also eindeutig rechtsextremistischen Organisationen, ist. Rasate, der teilweise in Deutschland aufwuchs, gilt in seiner Heimatstadt als sympathischer Nachbar, als eine Art Popstar.

Ein Mangel des gut recherchierten Buches besteht darin, dass die Ähnlichkeiten, aber auch die großen Differenzen der rechten Szene in den gewählten Ländern nicht deutlich genug herausgearbeitet werden. Es entsteht bisweilen der Eindruck, dass die rechten Parteien und Strömungen in ganz Osteuropa eine ähnliche Stärke annehmen, wie es in Ungarn heute der Fall ist. Es wäre das Verbindende hervorzuheben gewesen, dass in keinem der untersuchten Länder die Zeit des Faschismus, des Zweiten Weltkrieges, der Herrschaft von Nazi-Marionettenregierungen genügend aufgearbeitet wurde, dass sich heute eine allgemeine Unzufriedenheit dadurch entlädt, dass alte Ressentiments gegen Minderheiten neu belebt werden. Insofern ist hier die Verkündung einer „rechten Gefahr“ ein sehr weit gefasstes und ungenaues Label und erinnert, beabsichtigt oder nicht, an die Zeit des Kalten Krieges, als die „rote Gefahr“ aus dem Osten beschworen wurde. Dennoch ist das Buch zum gegenwärtigen Zeitpunkt die beste deutschsprachige Informationsquelle zur aktuellen Gestalt des Neofaschismus, Rechtsradikalismus und extremen Nationalismus in Osteuropa.

Titelbild

Gregor Mayer / Bernhard Odehnal: Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa.
Residenz Verlag, Salzburg 2010.
297 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783701731756

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