Faschismus gab es – aber nur in Italien und Deutschland

Zu Wolfgang Schieders „Faschistische Diktaturen. Italien und Deutschland.“

Von Wolfgang WippermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Wippermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Titel wird nicht zu viel versprochen. Es handelt sich wirklich `nur´ um „Studien“ zu den „faschistischen Diktaturen“ in Italien und Deutschland. Warum? Warum hat Wolfgang Schieder nicht die schon lange von ihm erwartete Studie über die Geschichte des Faschismus vorgelegt? Schließlich handelt es sich bei ihm um den besten Kenner der Materie. Außerdem gehört er zu den wenigen deutschen Faschismusforschern, die an der Legitimität eines generischen, das heißt nicht allein auf Italien bezogenen Faschismusbegriffs festgehalten haben. Doch warum hat er sich dann nur auf Italien und Deutschland beschränkt?

Weil Schieder von einer realtypischen Definition des Faschismus ausgeht. Danach können nur solche Parteien und Diktaturen als faschistisch bezeichnet werden, die deutlich erkennbare Ähnlichkeiten mit dem Namen gebenden und Stil bildenden italienischen Faschismus aufweisen. Nach Schieder trifft das auf die nationalsozialistische beziehungsweise „faschistische Diktatur“ Hitlers zu. Nicht jedoch auf die Francos und die Diktaturen in Osteuropa der Zwischenkriegszeit. Ob es faschistische Diktaturen auch außerhalb Europas gegeben hat, wird von Schieder überhaupt nicht erörtert. Die Anwendung des Faschismusbegriffs auf Diktaturen und Parteien nach 1945 lehnt er ab. Dies ist merkwürdig und widersprüchlich. Denn wenn es sich beim Faschismus um ein generisches Phänomen handelt, dann kann, ja muss es Faschismus weltweit gegeben haben und immer noch geben.

Das ist keine Kritik, sondern der Sichtweise des Rezensenten geschuldet, der von einem erweiterten idealtypischen Faschismusbegriff ausgeht und im Faschismus ein globales und Epochen übergreifendes Phänomen sieht. Trotzdem ist es angezeigt diesen Sammelband zu würdigen, obwohl er bis auf einen neuen Beitrag nur Aufsätze und Artikel Schieders enthält, die dieser in den letzten 30 Jahren über die „faschistischen Diktaturen“ in Italien und Deutschland veröffentlicht hat. Alle lohnen sich, gelesen und wieder gelesen zu werden. Die empirischen Texte sind durch viele Quellen gesättigt, und die theoretischen sind auf einem hohen Niveau. Insgesamt handelt sich um eine Art Resümee des Lebenswerks dieses 1935 geborenen, allseits geachteten und überaus verdienstvollen Faschismusforschers.

Darüber hinaus ist es Schieder in der (neuen) Einleitung und einem (noch einmal abgedruckten) Lexikon-Artikel gelungen, auch ein Resümee der deutschen, italienischen und internationalen Faschismusforschung zu ziehen. Darin konnte er alle Einwände widerlegen, die gegen die Legitimität eines generischen Faschismusbegriffs vorgebracht worden sind: Faschismus im generischen Sinne hat es gegeben – aber eben nur in Italien und Deutschland. Beiden Thesen muss man nicht zustimmen, sollte sie aber zur Kenntnis nehmen und diskutieren. Möge aus dieser „Studie“ eine umfassende Studie über die „faschistischen Diktaturen“ werden.

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Wolfgang Schieder: Faschistische Diktaturen. Italien und Deutschland.
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
600 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783835303584

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