Der Marquis de Sade als Ehemann

Sybille Knauss’ „Roman einer Ehe“ handelt von den Verdrängungskünsten einer selbstlos Liebenden

Von Saskia SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der berühmt-berüchtigte Marquis de Sade hatte eine Ehefrau. Sie tritt im „Roman einer Ehe“ von Sibylle Knauss ins Rampenlicht, und die Beschreibung ihres Erlebens eröffnet eine neue Perspektive auf ihren Mann, auf sein Werk. Denn vermutlich – der Roman basiert auf historischen Fakten, doch ist auch Fiktion – war die Ehefrau des Marquis de Sade die Einzige, die ein wenig Einblick hatte in das düstere Gemüt ihres Mannes, seine Machenschaften, auch sein Herz.

„Renée Pélagie de Montreuil war einundzwanzig, als sie den Marquis de Sade heiratete. Zwei Tage vor ihrer Hochzeit sah sie ihn zum ersten Mal. Da war der Heiratsvertrag längst bei Hof unterzeichnet.“ Und obwohl die Ehe arrangiert worden war, hielt sie ihrem Mann die Treue. Knauss beschreibt, wie die Marquise ihrem Mann Papier in seine Gefängniszelle hinein- und vollgeschriebene Hefte hinausschmuggelt, wie sie mit einer misshandelten Prostituierten verhandelt, doch eine Abfindung anzunehmen und von einer Klage abzusehen. Auch lebt der Marquis, aus einem verarmten Adelsgeschlecht stammend, vom Geld ihrer Familie.

Der Marquis de Sade ist ein literarisches und historisches Faszinosum, schrieb er doch seine pornografischen Werke im Gefängnis, in das er gekommen war, weil er sexuell äußerst ausschweifend lebte. Auch seiner Frau ist der Marquis ein Rätsel, und doch verteidigt sie ihn vor der Welt, opfert sich für ihn geradezu auf: Trotz seiner zahlreichen Affären, von denen sie weiß. „Mit diesem Mann wirst du niemals glücklich sein“, so prophezeite ihr die eigene Mutter. Und so geht sie mit ihm unter, obwohl sie engagiert versucht, ihm beizustehen.

Das Bild der treuen, liebenden Gattin wird dann verklärend, wo der Marquis eine Schar Kinder und Jugendlicher zu sich nimmt und nachts mit ihnen verkehrt. Sie nimmt die Angst wahr, die die Kinder haben, ihr bedrücktes Schweigen, ihre Not. Und dennoch, Liebe und Loyalität ihrem Mann gegenüber sind größer. Knauss schildert dies ohne Wertung, aber auch nicht eindringlich, sondern fast wie beiläufig, eine Episode. Es erscheint bei der Andeutung des Kindesmissbrauchs fast so, als solle das Bild der liebenden Ehefrau nicht verzerrt werden zu dem einer Frau, die wusste, auf welch grausame Art ihr Mann seine sexuellen Phantasien an Minderjährigen auslebte, und dies nicht unterband. Die Liebe zu ihrem Mann führte zur Mittäterschaft, das Wohlergehen der Kinder war ihr nicht so wichtig wie die sexuelle Erfüllung ihres Mannes.

Und so bleibt – trotz Sibylle Knauss’ spannendem Erzählen, trotz einer Sprache, die in den Bann zieht – ein unangenehmer Nachklang beim Lesen. Vielleicht ist dies die Absicht der Autorin, durch die Schilderungen Unbehagen zu wecken, anstatt den Zeigefinger zu erheben und zu moralisieren. Auch wird wenig Verständnis für die Charaktere geweckt, es finden sich kaum Hinweise darauf, weshalb der Marquis und seine Frau so handeln, wie sie handeln. Wäre es ein rein fiktionaler Roman, könnte man kritisieren, dass die Figurenzeichnung besonders des Marquis zu wenig Tiefe besitzt. Meist wird er als wahnhaft gezeichnet, immer aus Sicht seiner Frau abgemildert, die seine Taten duldet, sie nicht als das empfindet, was sie sind: nämlich Untaten.

Im Klappentext heißt es, bei dieser Ehe handelte es sich um „eine der extremsten Lieben, die jemals gelebt wurden“. Doch vielleicht war es vielmehr die gegenseitige Abhängigkeit eines Ehemannes, der folterte und missbrauchte, und einer Ehefrau, die vertuschte und zur Mittäterin wurde.

Titelbild

Sibylle Knauss: Die Marquise de Sade. Roman einer Ehe.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006.
319 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3455038670
ISBN-13: 9783455038675

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