Schicksalhafte Begegnungen

Über Astrid Rosenfelds Debütroman „Adams Erbe“

Von Monika StranakovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Stranakova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer kennt sie nicht, jene Bekannten und Verwandten, die einem mit ihren prüfenden Blicken Mund, Augen, Nase und Kinnpartie abtasten. Nach wem ist dieses Kind geraten, fragen sie sich, und dann geht es mit den Diskussionen los. Edward Cohen, den Ich-Erzähler von Astrid Rosenfelds Romans „Adams Erbe“, trifft das Urteil des Familiengerichts hart: Er soll nicht nur das Gesicht, sondern auch den miesen Charakter seines Großonkels Adam geerbt haben. Ein Träumer war er und ist 1938 mit dem Geld, das die Flucht eines Teils der Familie nach England sichern sollte, unter ungeklärten Umständen verschwunden. Er war eines Tages einfach nicht mehr da.

Doch die Rede über das schwarze Schaf der Familie erschöpft sich in Andeutungen. Auch scheint Adams Geschichte den aufgeweckten Jungen, der allzu sehr mit dem Erwachsenwerden beschäftigt ist, nicht sonderlich zu interessieren. Die Kindheit mit einer in den alten jüdischen Traditionen verankerten Großmutter und einer sentimentalen Mutter ohne besondere Talente, wenn man vom Lieben absieht, ist anstrengend, aber nicht minder glücklich. Erst recht als die Mutter seine Zufallsbekanntschaft aus dem Elefantenhaus, den Amerikaner und Elvis-Presley-Verschnitt Jack Moss, heiratet. Sein Geschäft sind vernachlässigte Ehefrauen, egal ob er mit Halbedelsteinen und Fossilen oder Babybooten und Schwimmflügel handelt. Magda Cohen trägt er auf Händen und für Edward ist er der King.

Astrid Rosenfeld, geboren 1977 in Köln, mit abgebrochener Schauspielausbildung und Berufserfahrungen am Theater und in der Filmbranche, versteht es, die Geschichte mit spritzigen Dialogen und unerwarteten Wendungen am Laufen zu halten. Weder die erzählerische Leichtigkeit noch die Liebe der Protagonisten zum Leben kann und will dabei darüber hinwegtäuschen, dass ein jüdisches Leben in Deutschland nach dem Holocaust schwer denkbar ist. Der seine Dachkammer nicht mehr verlassende, verrückt gewordene Großvater Moses, die Lücken im Familiengeflecht und nicht zuletzt das Umherziehen der jungen Familie auf der Suche nach einem adäquaten Wohnort erinnern den Leser unermüdlich daran, dass die Gegenwart und die Vergangenheit stets voneinander durchdrungen sind.

Für Edwards Leben trifft es auf besondere Weise zu. Nach den ruhelosen Jahren seiner Kindheit und der Wende lässt er sich in Berlin nieder. Bald gehört er zu den „Machern der Stadt“: Aus dem Verkäufer selbstgebastelter „Gothic-Sorgenpüppchen“ wird innerhalb von drei Jahren der Besitzer einer angesehenen Modeboutique. Mitten im Gefühlschaos wegen der jungen Amy findet er im Haus der verstorbenen Großmutter ein ungeöffnetes, an Anna Guzlowski adressiertes Paket. Es enthält ein Buch, das ihn an die eigene verzwickte Situation erinnert: „Ich las Seite um Seite. Es war, als hörte ich meine eigene Stimme, als ob meine Stimme seine Geschichte erzählen würde. Das hier ist meine Geschichte und Adams Geschichte. Auf diesem Dachboden haben sie sich ineinander verschlungen.“

Das Buch, das seine Adressatin nie erreicht hat, erzählt von der schicksalshaften Begegnung von Adam und Anna und ihrer Liebe, die sie nicht leben durften. Anna wird eines Nachts von der Gestapo abgeholt und Adam gelingt es trotz der Interventionen seiner energischen Großmutter Edda Klingmann, die als einzige über die knospende Beziehung Bescheid weiß und über Kontakte bei entsprechenden Stellen verfügt, auch nicht, sie ausfindig zu machen. Die spärlichen Spuren führen nach Polen, ins Warschauer Ghetto. So schleust Edda – nach dem Motto „Manchmal muss man den Wahnsinn wagen, um normal zu bleiben“ – ihren Enkel als angeblichen Rosenzüchter in den Dienst des berüchtigten Generalgouverneurs der besetzten polnischen Gebiete Hans Frank, damit er die Suche vor Ort fortsetzen kann.

Tief von der Lebens- und Liebesgeschichte seines Onkels beeindruckt, die hier verständlicherweise nicht bis ins letzte Detail erzählt werden soll, begibt sich auch Edward auf die Suche nach Anna, um den letzten Wunsch von Adam, der – so viel steht fest – kein Dieb war, zu erfüllen.

„Adams Erbe“ ist ein gleichsam bewegender wie humorvoller Roman, der insbesondere durch eine intensive, manchmal groteske, aber stets ausgefeilte Charakterzeichnung überzeugt. Trotz mancher inhaltlicher Redundanzen ist dieses Debüt eine flüssig erzählte Geschichte, für die ebenfalls gilt: Manchmal muss man das Außergewöhnliche wagen, um begeisterte Leser zu gewinnen.

Titelbild

Astrid Rosenfeld: Adams Erbe. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2010.
400 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067729

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