Hitlers Vorgänger

Manfred Nebelins Biografie „Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg“ bietet eine atmosphärisch dichte Geschichte des Auf- und Abstiegs eines Militaristen

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nacheinander demontierte er einen Generalstabschef, einen Reichskanzler und einen Außenstaatssekretär. Als „Sieger im Osten“ erreichte der durchsetzungsfähige General im Frühjahr 1918 den Zenit seiner Macht. Der Dresdner Historiker Manfred Nebelin nennt Erich Ludendorff, den Vater des mythischen Erfolges von Tannenberg im August 1914 und scheinbaren Juniorpartner in der Dritten Obersten Heeresleitung einen „Diktator im Weltkrieg“.

In dieser Rolle sieht er den brillanten, aber schroffen Offizier sogar in einer Reihe mit Bismarck und Hitler. Gerade mit dem Weltkriegsgefreiten verband ihn nicht nur eine spätere biografische Gemeinsamkeit. Schon vor dem Krieg glaubt Nebelin bei Ludendorff, dessen private Korrespondenz er heranziehen konnte, eine Neigung zu damals populären sozialdarwinistischen Anschauungen feststellen zu können. Im Verlauf des Krieges steigerten sie sich sogar zu der fixen Idee, mit England selbst nach einem Friedensschluss noch einmal um die Weltherrschaft kämpfen zu müssen. Gleichwohl fehlte Ludendorffs politischen Konzepten noch der scharfe, rassistische Einschlag, der Hitlers Diktatur später prägte. Auch der Weltkriegsgeneral beutete als so genannter Oberost seinen neuen Herrschaftsbereich in Polen und Litauen rücksichtslos aus, glaubte dies aber im Dienste der Kriegsführung des Reiches tun zu müssen. Im Gegensatz zu Hitler, so Nebelin, waren seine Zwangsmaßnahmen noch weitgehend frei von den Vorstellungen einer genozidalen Volkstumspolitik, auch wenn er versuchte, im Baltikum „verdiente Offiziere“ auf den Gütern geflohener Adliger anzusiedeln.

In seiner breit angelegten Studie beschreibt Nebelin Aufstieg und Fall eines ehrgeizigen und militärisch überaus befähigten Offiziers, der es sich sogar leisten konnte, auf der Höhe seines Erfolges die ihm angebotene Nobilitierung abzulehnen. Die Arbeit ist durchaus biografisch angelegt, spart jedoch den letzten Lebensabschnitt ihres Protagonisten nach dem Krieg aus. Es gibt gute Gründe, diese Beschränkung zu bedauern. So erfährt der Leser wenig über Ludendorffs Rolle als Miturheber der so genannten Dolchstoßlegende. Von der Genese der Theorie des Totalen Krieges, als deren geistiger Vater der General im Ruhestand gilt, ist nur am Rande die Rede, wenn Nebelin etwa versucht, diesen erst 1935 geprägten Begriff schon für die wirtschaftliche Mobilisierung im Ersten Weltkrieg zu beanspruchen.

Ungewöhnlich bleibt auch, dass Nebelin trotz seines biografischen Ansatzes kaum ein Wort über Ludendorffs Bild in der modernen Historiografie verliert. Den Raum dafür hätte er durchaus gehabt, denn seine Beschreibungen der Intrigen des Generals gegen seinen Vorgänger Falkenhayn und gegen Reichskanzler Bethmann-Hollweg fallen zu detailliert aus und bieten zudem kaum neue Gesichtspunkte.

Eine Stärke in Nebelins Arbeit ist jedoch seine atmosphärisch dichte Schilderung vom Abstieg und Scheitern des Generalquartiermeisters. So überschätzte Ludendorff im Frühjahr 1917 die Möglichkeiten der Marine, mit Hilfe eines unbegrenzten U-Bootkrieges den Hauptrivalen England niederzuzwingen, verkannte aber mit einer heute kaum glaublichen Überheblichkeit das militärische Potential der Vereinigten Staaten. In der Endphase des Krieges zeigten sich schließlich die Grenzen seines Feldherrentums. Der krisenhaften Zuspitzung der militärischen Lage seit dem August 1918 war er nervlich nicht mehr gewachsen. Auch wenn hinter seinem panischem Drängen auf einen sofortigen Waffenstillstand am 28. September 1918 noch das Kalkül stand, der erodierenden Kampfkraft des Heeres eine Atempause zu verschaffen, so verursachte doch der abrupte Übergang von Ludendorffs gespielter Siegeszuversicht noch im Sommer zum überraschenden Eingeständnis der Niederlage in politischen Kreisen einen tiefen Schock, der als der eigentliche Dolchstoß bezeichnet werden muss. Doch nicht die „Heimat“ oder eine angeblich verräterische Clique von Parlamentariern führten ihn aus, sondern der General selbst. Eine Fortsetzung des militärischen Widerstandes war danach nicht mehr möglich. Ob sich eine parlamentarisierte Reichsleitung, wie sie seit Ende September 1918 faktisch bestand, ohne diesen psychologischen Knockout noch militärisch hätte wehren können, muss Spekulation bleiben.

Vielleicht aber hätte die neue Republik, so wie Frankreichs Dritte Republik im Winter 1870/71 von einer temporären Fortsetzung des Krieges politisch profitieren können. Letztere überlebte, da sie immerhin gekämpft hatte, noch 70 Jahre, die erste deutsche Demokratie dagegen nicht einmal anderthalb Dekaden. So gesehen wäre der Diktator Ludendorff nicht nur der Totengräber des Kaiserreiches gewesen, sondern auch der Urheber eines tödlichen Geburtsmakels der Weimarer Republik.

Titelbild

Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg.
Siedler Verlag, München 2011.
900 Seiten, 39,99 EUR.
ISBN-13: 9783886809653

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