Loses Mosaik

Gerd R. Ueberschär und seine Autoren schaffen es nicht in ihrem „Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa“ ein zusammenhängendes Panorama zu skizzieren

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Diktatur scheint der Widerstand gegen Adolf Hitler und sein mörderisches System ein Randphänomen gewesen zu sein. An diesem ernüchternden Befund vermag auch die deutlich veränderte Wahrnehmung des Themas in den vergangenen 30 Jahren nichts zu ändern. Die Befreiung der meisten besetzten Länder erfolgte erst durch die alliierten Armeen und allenfalls in der letzten Kriegsphase spielten Partisanen hinter den Fronten eine ins Gewicht fallende Rolle. Dass sich außer in Polen und Serbien nirgendwo im besetzten Europa schlagkräftige Oppositionsbewegungen bilden konnten, hatte nicht nur mit den politischen Differenzen unter den Gegnern des Nationalsozialismus zu tun, sondern auch mit Hitlers handstreichartigem Vorgehen bei der Besetzung der Nachbarländer. Von 1938 bis 1942 wiederholte der Diktator auf der außenpolitischen Bühne, was er seit 1933 schon im Reich praktiziert hatte: Die Übernahme der Macht erfolgte jedes Mal so schnell und scheinbar so total, dass seinen Gegnern kaum Zeit blieb, wirksamen Widerstand zu organisieren. Regimegegner oder später Nationalisten wurden schlicht, wie in Österreich oder der Tschechoslowakei, vom Nationalsozialismus und von der Wehrmacht überrollt.

Ein einheitliches Muster des Widerstandes in Europa lässt sich ohnehin, so der Herausgeber des Bandes, der Freiburger Historiker Gerd R. Ueberschär, nicht aufzeigen. Zu unterschiedlich waren die historischen Voraussetzungen und politischen Frontstellungen in den verschiedenen besetzten Gebieten, auch die jeweiligen Besatzungsbehörden agierten mit wechselndem Geschick. So verschaffte gerade die rabiate Zwangsarbeiteraushebung für die deutsche Rüstungsindustrie der französischen Résistance und der Partisanenbewegung in der Sowjetunion erheblichen Zulauf, während etwa in Griechenland – wo die Deutschen zusammen mit Italienern und Bulgaren als Okkupationsmacht auftraten – durch maßlos übertriebene Repressalien eine durchaus kollaborationswillige Bevölkerung in den Widerstand getrieben wurde.

Der Herausgeber hat nun versucht, mit einer politisch-geografischen Gliederung des europäischen Widerstandes das erstmals in diesem Umfang gestellte vielschichtige Thema zu strukturieren. So sind in einem ersten von insgesamt fünf Kapiteln die Gebiete der „Achsenmächte“ Deutschland und Italien zusammengefasst, dem sich jeweils Abschnitte über die seit 1940 besetzten Staaten in Nord- und Westeuropa sowie in Ostmittel- und Osteuropa anschließen. Hierbei ragt eindeutig der Widerstand in Polen hervor. Trotz der brutalen Terrorherrschaft der Deutschen und der dreifachen Teilung des Landes gelang es hier sogar, eine Art Untergrundstaat aufzubauen, der außer den bewaffneten Kräften der Armia Krajova auch Schulen unterhielt und andere soziale Funktionen erfüllte.

Im vierten Abschnitt über den Balkan und Südosteuropa befassen sich gleich drei Beiträge mit dem Widerstand in Jugoslawien, dem es schließlich als einzigem besetztem Land gelang, sich trotz zweier einander erbittert bekämpfender Gruppierungen (Dragoljub Draža Mihailovics nationalistische Cetniks und Josip  Broz Titos Volksbefreiungsbewegung) aus eigener Kraft vom Nationalsozialismus zu befreien. Auch dem Widerstand in der Emigration ist ein ganzer Abschnitt gewidmet, wobei sich jeweils ein Aufsatz den Exilanten im Westen sowie in der Sowjetunion widmet.

Die rund 30 Aufsätze des Bandes unterliegen einem einheitlichen Standard. Auf der Basis der einschlägigen Literatur gibt die international besetzte Autorenriege einen konzisen Einblick in Formen, Ziele und Verlauf des Widerstandes in den betrachteten Ländern und erläutert den Forschungsstand sowie die historiografische Nachgeschichte. Gerade für Österreich wird dabei deutlich, dass erst der Widerstand gegen Kriegsende dazu beigetragen hat, reichsdeutsche Loyalitäten zu überwinden und ein eigenes Nationalgefühl zu entwickeln.

Auch wenn Herausgeber und Autoren sich in dem vorliegenden Band erstmals dem gesamten Spektrum des Widerstandes im nationalsozialistischen Europa gewidmet und in ihre Betrachtungen sogar noch den fernen Kaukasus einbezogen haben, so erfüllen sie doch nicht ganz die an ein Handbuch zu stellenden Ansprüche. Insbesondere fehlen jeweils Resümees am Ende der Abschnitte, in denen der Herausgeber die wichtigsten Eckdaten noch einmal hätte aufgreifen müssen, um sie in einen Gesamtzusammenhang einzuordnen. So bleibt der Eindruck eines losen Mosaiks von Widerständen, ein Gesamtpanorama ist es noch nicht. Zudem hätte man sich als Leser auch mehr statistisches Material im Anhang gewünscht, von Karten oder Abbildungen ganz zu schweigen.

Titelbild

Gerd R. Ueberschär (Hg.): Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialimus und Faschismus in Europa.
K. G. Saur Verlag, München 2009.
385 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9783598117671

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