Sex in Zeiten der Anarchie
Zur Milo-Manara-Werkausgabe, am Beispiel des Comics „El Gaucho“
Von Ole Petras
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Panini Verlag hat sich entschlossen, dem italienischen Comic-Auteur Milo Manara eine Werkausgabe zu widmen. Dieser Entschluss ist ausdrücklich zu begrüßen. Zum einen, weil man für die Originale und Reprints auf Flohmärkten ein kleines Vermögen ausgeben musste. Dann, weil mit dieser Werkausgabe einem Genre Tribut gezollt wird, das ein mittleres Imageproblem hat. Nach dem Verschwinden der sogenannten Autorenmagazine („Charlie Mensuel“, „Pilote“, „À Suivre“) erlebte der Erwachsenen-Comic zwar seine Renaissance in der amerikanischen Graphic Novel. Diese verfolgt aber eine ganz andere Ästhetik, als es die franko-belgisch geprägten Arbeiten von Manara, Hugo Pratt, Vittorio Giardino, Francis Vallés oder Jean-Pierre Gibrat tun. Bedienen erstere (allen voran Neil Gaimans „Sandman“) sich aus dem psychologischen Werkzeugkasten der fantastischen Literatur und adressieren ein Spezialpublikum, ignorieren letztere die Grenzen subkultureller Devianz und bieten eine ebenso visuell wie narrativ anspruchsvolle Unterhaltung.
Dass in Manaras Werken (zum Beispiel in „Il gioco“ von 1983 oder „Il profumo dell’invisibile“ von 1986) ziemlich oft nackte Frauen vorkommen, hat sicher auch nicht geholfen. Die zahlreichen Hollywood-Adaptionen aus dem Hause Marvel („V wie Vendetta“, „The Spirit“, „Sin City“, „Watchmen“, „Road to Perdition“, „Batman“, „Spiderman“ etc.) zeigen, dass die Darstellung von Gewalt nach wie vor eine größere Akzeptanz besitzt als diejenige von Sex. Dabei ist der artistische Horizont des Manara’schen Werkes breit und seine Kunst keineswegs mit der frugalen Fantasy-Erotik von Magazinen wie „Heavy Metal“ vergleichbar. Neben Kooperationen mit befreundeten Zeichnern (Pratt, Gaiman und Alfredo Castelli) arbeitete Manara mit Regisseuren wie Fellini, Pedro Almodóvar, Luc Besson und Alejandro Jodorowsky zusammen. Er adaptierte Erzählungen von Jonathan Swift, Apuleius und Pierre Louÿs; sein kunsthistorisches Wissen ist jedem Panel eingeschrieben. Tatsächlich lesen sich schon solch gutgemeinte Hinweise auf den intellektuellen Anspruch der Comics wie ein Verrat. Wer die Schönheit dieser Zeichnungen je angeschaut, so ließe sich einem bekannten Dichter entlehnen, ist ihnen schon verfallen und wird für keine „F.A.Z.“-billig-Ausgabe beliebter Bildergeschichten mehr taugen.
„El Gaucho“, eine in den Jahren 1991 bis 1994 publizierte Gemeinschaftsarbeit mit „Corto Maltese“-Schöpfer Hugo Pratt, stellt dies eindrucksvoll unter Beweis. Der thematisch lose an „Ein indianischer Sommer“ (ebenfalls mit Pratt realisiert, 1983 original unter dem Titel „Tutto ricominciò con un’estate Indiana“) anknüpfende Band erzählt die Geschichte zweier Ausgestoßener, der Prostituierten Molly und des Buckligen Matthew, die ihr Glück zur Zeit der Kolonisierung Südamerikas zu machen suchen und den Tod finden. Interessant ist vor allem die Rahmung des Textes, der aus den Augen des 100-Jährigen Tom Browne erzählt wird. Der englische Trommler Tom lebt als weißer Indio in einer Hütte, nachdem, so wird nahegelegt, der Verlust der beiden Freunde ihm den Glauben an die „Zivilisation“ nahm. Ohne allzu tief in die komplexe Handlung einzusteigen, fällt auf, dass die politischen und ökonomischen Interessen der europäischen Großmächte als Folie individueller Sinnsuche fungieren.
Der eigene Körper wird zum verschwindend geringen Eigenkapital, das alle drei Protagonisten in unterschiedlicher Weise handhaben. Vor allem an der Figur Molly wird deutlich, dass der Sex sowohl die letzte verbliebene Währung ist, als auch einziges Genussmittel. „Freiheit“, sagt der Flotten-Admiral zu Molly nachdem er sie beschlafen hat, „was willst du denn damit?“ Im Zustand existentieller Bedrohung handelt niemand uneigennützig, aber es gibt Grade der Aufrichtigkeit. In diesem Sinne ist die Manara oft unterstellte Pornografie eben dieses nicht, eine akausale Abfolge von Akten, sondern Abbild eines auch den Leser begleitenden Ringens um Autonomie, die Schönheit und (erotische) Erfüllung. Manaras akribische Zeichnungen kommen diesem Ideal erstaunlich oft nahe.
In der Ausgabe des Panini Verlags überzeugen das Format sowie die Qualität des Drucks und Papiers. Seltsamerweise fehlt eine Paginierung. Zum besseren Verständnis sind den Bänden erklärende Texte beigegeben, die sich um eine materialreiche Aufarbeitung bemühen, insgesamt aber etwas unsystematisch gestaltet sind. Die farblich abgesetzten Infokästen etwa liefern absurd komprimierte und deshalb verzichtbare Daten. Nun erhebt eine Werkausgabe keinen editorischen Anspruch, doch hätte statt auf die Entstehungsgeschichte größeres Augenmerk auf die kompositorische Finesse des Autors gelegt werden sollen, um den großen Anspielungsreichtum seiner Texte vor Augen zu führen. Eben weil die Comics so unterhaltsam und spannend sind, dass man ihre Artistik darüber vergisst.
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