Experiment als Verbrechen

Cody Mcfadyens Thriller „Menschenmacher“ gewährt grauenhafte Einblicke in die menschlichen Abgründe

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Rezensent muss es gleich anfangs mitteilen: Ich habe lange nicht mehr so etwas Spannendes und gleichzeitig so Grauenhaftes gelesen wie den neuen Roman von Cody Mcfadyen. Der Titel „Der Menschenmacher“ lässt den Leser zunächst im Dunkeln tappen, was es mit der Geschichte auf sich haben mag. Wie ist die Fabel? Wer sind die Handlungsträger? Der Leser wird sofort mitten in das Geschehen hineingeworfen. Eine junge Frau wird entführt. Sie wird in eine sargartige Kiste gepackt, mit dem Tode bedroht, abtransportiert und an einem unbekannten Ort betäubt und gefilmt. Die Einordnung dieser Eingangsszene in den Verlauf und die Chronologie der Romanhandlung wird dem Leser erst mehrere hundert Seiten später deutlich.

Ausgangspunkt ist die Entführung von drei Kindern: Allison, David und Charlie, ein Mädchen und zwei Jungen im Alter von sechs und sieben Jahren. Sie werden von Bob entführt und fast zehn Jahre in einem Haus isoliert festgehalten. Sie erhalten Privatunterricht, werden geschlagen, gefoltert und religiös indoktriniert. Bob will aus ihnen „neue“, ganz besondere Menschen machen. Nach Jahren der Folter entschließen sich die „Geschwister“ ihren „Vater“ zu töten. Jahrzehnte später, alle drei haben ihre Kindheit mit erheblichen Beschädigungen überlebt, scheint sich ihr „Vater“ wieder bei ihnen zu melden – obwohl sie ihn getötet haben. Anonyme Botschaften erreichen die drei Protagonisten: „Nervosität gehörte dazu, aber das war nicht alles. Allison rannte davon, und sie wusste es. Die DVD war schrecklich, ohne Zweifel, doch tief im Innern ihrer schwarzen Seele war Ally beinahe dankbar. Sie brauchte eine Ablenkung.“ Die drei „Geschwister“ gehen das Problem gemeinsam an.

In dem Grauen, das Mcfadyen schildert, finden sich seltsamerweise immer wieder Szenen, in denen der Schrecken Situationen voller Menschlichkeit weichen muss. Dies ist auch eine Besonderheit des Romans, der sicherlich auf meiner Top Ten-Liste der grauenhaftesten, trashigsten und gleichzeitig spannendsten Thriller der letzten Jahre steht – zusammen mit Anthony E. Zuikers „Level 26“ (Literaturkritik Nr. 7, Juli 2010) – und sich vor allem durch Differenziertheit und Vielschichtigkeit in der Darstellung auszeichnet.

Die verhaltenen, spannenden, die Situation auf die Spitze treibenden Szenen schlagen um, manchmal in unerwartetes Grauen, in eine reinigende Katharsis ganz im Sinne des Aristoteles: „Sie sprang ihn an. Riss die gefesselten Hände hoch, über seinen Kopf, sodass ihre Handflächen in seinem Nacken lagen, zerrte ihn zu sich heran und biss ihm mit aller Kraft in die Kehle.“ Mcfadyen skizziert mit wenigen Worten Charaktere und starke Persönlichkeiten, die den Leser sofort berühren, seine Empathie finden. Und auch die differenzierte Schilderung des „Bösen“ entführt in einen Kosmos neben der realen Welt, der doch gleichzeitig eine Hyperrealität ist, die realer als möglich erscheint. Eben grauenhaft: Genau das, was einen grandiosen Thriller, ein grandioses Buch ausmacht.

Titelbild

Cody Mcfadyen: Der Menschenmacher. Thriller.
Bastei Lübbe, Köln 2011.
605 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783785724071

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