"Wie bunt entfaltet sich mein Anderssein..."

Ein Katalog über die fast vergessene Schriftstellerin Emmy Ball Hennings

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"Wie bunt entfaltet sich mein Anderssein..."

Ein Katalog über die fast vergessene Schriftstellerin Emmy Ball Hennings

Von Christine Kanz

In den Literaturgeschichten wird ihr Name meist nur dann genannt, wenn es um ihren späteren Mann Hugo Ball geht, dessen Biographin sie nach seinem Tode wurde. Für sich selbst reklamierte sie: "Ich bin so vielfach in den Nächten./ Ich steige aus den dunklen Schächten./ Wie bunt entfaltet sich mein Anderssein". Emmy Hennings gehörte in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zur Boheme und hier zu den am meisten verehrten Frauen. "Fast alle Dichter jener Generation hat sie geliebt und inspiriert: Johannes R. Becher, Jakob van Hoddis, Georg Heym, Ferdinand Hardekopf, Erich Mühsam. Als 1916 in Zürich das Cabaret Voltaire aufging, war es die Chansonette Emmy Hennings, die das Publikum anzog und den männlichen Kollegen erst eigentlich das Überleben ermöglichte". So umreißt Bernhard Echte, der Herausgeber des Katalogs anläßlich einer Ausstellung über sie, die Bedeutung ihrer Person für die expressionistische Bewegung. Emmy Hennings, später: Emmy Ball Hennings, übte die unterschiedlichsten und kuriosesten Berufe aus, um sich über Wasser zu halten. Unter anderem arbeitete sie als Schauspielerin in einer Wandertruppe, Hausiererin, Diseuse in Cafés und als Malermodell. Sie genoß das Leben in vollen Zügen, nahm dabei aber auch zahlreiche Tiefschläge in Kauf. Sie war nicht nur "Muse und Geliebte junger Dichter, Drogensüchtige, Gelegenheitsprostituierte", sondern ebenso Mitbegründerin des Dadaismus und Schriftstellerin. Ab 1913 wurden Texte von ihr veröffentlicht.

Für die Publikation ihrer ersten Gedichte sorgte Franz Werfel als Lektor des Kurt Wolff-Verlags. Eher zufällig waren ihm einige ihrer Gedichte untergekommen, und er war von ihnen derart angetan, daß er schrieb, "er sei gerührt, [sie] auf der Welt zu wissen". Auf das Druckangebot reagiert die im Alltag so selbstbewußte Hennings gemäß der ihr anerzogenen Geschlechterrolle: "Ich freute mich sehr, daß die Gedichte gedruckt wurden. Weil ich nicht daran zu glauben wagte, daß solche Freude sich wiederholen könne, gab ich dem schmalen Bändchen den Titel 'Die letzte Freude'". Ihre Reaktion bewies einen gewissen Realitätssinn. Zwar gehört sie mit Else Lasker-Schüler und Claire Goll zu den Schriftstellerinnen der Avantgarde, denen zumindest etwas Aufmerksamkeit zuteil wurde, und auch später noch wurden Texte von ihr gedruckt, so die Bücher "Das Gefängnis" (1919) und "Das Brandmal. Ein Tagebuch" (1920), ihre Gedichtbände "Helle Nacht" (1922) und "Der Kranz" (1939), ihre autobiographischen Texte "Blume und Flamme. Geschichte einer Jugend" (1938, Neuauflage 1987 bei Suhrkamp) und "Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau" (1940, Neuauflage 1988 bei Suhrkamp). Doch sucht man diese Titel heute vergeblich in Buchhandlungen, und auch in Bibliotheken sind sie kaum zu finden. Zu ihrem Nachlaß, dessen Sichtung erst vor kurzem begonnen wurde, gehören laut Bernhard Echte mehrere abgeschlossene, bislang unveröffentlichte Buchmanuskripte sowie hunderte von informationsreichen Briefen. Da ein Großteil ihrer Texte "verstreut in Zeitschriften bzw. Zeitungen erschien", ist ihr Werk "bis heute noch nicht überblickbar".

In erotischer und moralischer Hinsicht war Hennings eine befreite Frau, die den Wechsel liebte, nachdem eine triste erste Ehe zu Ende gegangen war. Doch sprechen ihre Texte nicht nur von ihrem Erlebnishunger, sondern auch von dem Leid, das die 'Ware Liebe' mit sich bringt, von der Zerrissenheit und der Selbstentfremdung, die darin liegt. "Ich trage soviel fremdes Leid/Und wein' für andre viele Tränen./ Ich fühle unbekanntes Sehnen/Und gebe fremde Zärtlichkeit", formulierte sie einmal. Ihre Gedichte, von denen Bernhard Echte mit Recht manche "zum Schönsten" zählt, "was Frauen in diesem Jahrhundert geschrieben haben", ähneln in der Diktion, im Stil, in der Thematik, gelegentlich bis ins Vokabular hinein frappierend denen Lasker-Schülers, mit der Hennings (wegen Rivalitäten um Ferdinand Hardekopf) zunächst Haß, später freundschaftliche Zuneigung verband.

Das in ihren Gedichten geäußerte Leid führt Hennings explizit auf die Existenz als Frau zurück: "Ich bin eine Frau. Ich hebe die Kontrolle auf. Die Frage nach dem 'Warum' und 'Woher'./ Ich gestehe nur das 'Wie'. [...] ich bin gefallen", klagt sie in ihrem Tagebuch "Das Brandmal", und im selben Text offenbart sich auch ihr gebrochenes Verhältnis zur Lust und zur eigenen Weiblichkeit: "ich habe die Lust nicht erfunden. Ein so origineller und zugleich perfider Erfinder kann nicht weiblich gewesen sein. Die Frau ist keine Erfindernatur." Diese Geringschätzung des weiblichen Geschlechts ist charakteristisch für viele Schriftstellerinnen und Schriftstelller der Boheme. So werden Franziska zu Reventlows Attacken gegen die zeitgenössische Frauenbewegung noch heute gerne von deren Gegnern zitiert.

Die Gesinnung des Umfeldes von Emmy Hennings trug mithin wenig zur Ausbildung eines stabilen geistigen Selbstbewußtseins bei, und doch führte sie ein für die damalige Zeit recht selbstbestimmtes Leben. Anders als Reventlow wäre sie, die Tochter eines Werftarbeiters und einer Näherin, die nur sieben Jahre eine Schule besuchte, wohl nie in ein Plädoyer für eine weibliche Lebensform des Luxus' verfallen. Ihre Emanzipiertheit beschränkte sich nicht auf das Ausleben einer freien Sexualität oder auf ein Plädoyer für weiblichen Müßiggang. Während ihrer Ehejahre mit Ball unternahm sie alleine lange Reisen, die sie durch das Schreiben von Feuilletons finanzierte, und sie äußerte sich immer auch politisch. So schreibt sie in einem 1. Mai-Gedicht von 1913: "Man schwingt die roten Fahnen,/Man ruft: 'mit uns der Sieg!'/Und mich erfüllt ein Ahnen:/Es kommt der Krieg."

Reflektiert wie Emmy Hennings war, mußte auch sie die Misogynie ihrer Zeit wahrnehmen. Gerade innerhalb der literarischen Boheme gehörte Frauenverachtung, nicht nur unter den männlichen Mitgliedern, gewissermaßen zum guten Ton. Verklärt wurde sie von den Männern in ihrem Umkreis jedenfalls nicht aufgrund ihrer Texte, sondern, wie Erich Mühsam in seinem Tagebuch formulierte, als ein "erotisches Genie".

Emmy Ball Hennings: 1885-1948. "Ich bin so vielfach...". Texte, Bilder, Dokumente.

[anläßlich der gleichnamigen Ausstellung im Museum Strauhof Zürich: März - Mai 1999]

Herausgegeben von Bernhard Echte.

Frankfurt a.M., Basel, Stroemfeld/Roter Stern Verlag 1999

296 Seiten, 68 DM.

ISBN 3-87877-757-4


Titelbild

Emmy Hennings: 1885-1948 Ball.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt 1999.
295 Seiten,
ISBN-10: 3878777574

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