Schönheit ahnen, ihre Stimme hörbar machen

Über Milan Kunderas Buch „Eine Begegnung“

Von Elvira MagometschniggRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elvira Magometschnigg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Eine Begegnung“ überschreibt Milan Kundera seine Essaysammlung: Der Band vereint 26 Aufsätze aus den vergangenen 30 Jahren, thematische Landschaften einer Auseinandersetzung mit Seinesgleichen und Seinesungleichen. Maler (Francis Bacon), Literaten (Dostojewski, Roth, France, Kafka, Malaparte, Fuentes, Milosz, Cervantes, Rabelais), Komponisten (Janacek, Beethoven, Schönberg, Xenakis), Filmemacher (Federico Fellini); eine tschechische Dichterin ist darunter, Vera Linhartova. Es sind erzählende Betrachtungen, humoristisch, aber auch vom Ernst der Überzeugung getragen. In einer vielstimmigen Welt gibt allein Subjektivität den Ausschlag. Dem Buch vorangestellt sind Kunderas eigene Worte: „Begegnung meiner Reflexionen mit meinen Erinnerungen; meiner alten (existentiellen und ästhetischen) Themen mit meinen alten Lieben (Rabelais, Janacek, Fellini, Malaparte …)“ Handelt es sich um eine intellektuelle Biografie, ein vielstimmiges Responsorium seiner Herkunft?

Milan Kundera, 1929 in Brünn geboren und 1975 nach Frankreich emigriert, begegnet dem Wechselspiel zwischen Verehrung (seine Sympathie für die französischen Surrealisten) und Hinterfragung (etwa ihrer Schwarzen Listen) mit Humor, zieht seine kritischen Schlüsse, die letztlich offen bleiben. Sie bleiben so beweglich wie er selbst – nicht französischer noch tschechischer Autor, sondern Schriftsteller über die Zeit, den Raum hinaus. Romancier. Am Ursprung, an der Quelle der Dichtung; auf der Suche nach dem „Archi- beziehungsweise „Erzroman“. Zuhause in der humoristischen Fülle und Unbegrenztheit Rabelais’, in dessen formaler Nichtdeterminiertheit spätere Entwicklungen des Romans wurzeln: In dieser Urfreiheit – wie Kundera selbst herausstreicht.

„Wenn ein Künstler über einen anderen spricht, spricht er (indirekt, auf Umwegen) immer über sich selbst, das macht sein Urteil so interessant“, so Kundera über Bacon (und damit über sich selbst). Im gedanklichen Zentrum schwebt die Essenz, die Existenz, das Ich: „diesen Zufall ohne Sinn“ zu ergründen liegt im Gesicht, im Porträt des Gegenüber, im Anderen. Zur Geste des Künstlers gehört die Entlarvung. Hin zum Verborgenen, Geheimen, der „schrecklichen Schönheit“, die eine Form der Wahrheit ist.

Es ist auch die Erinnerung an Arnold Schönberg – an die Tragweite (Fallweite) des Vergessens – in der Begegnung, im Gespräch mit einem Freund: „‚Ist dir Ein Überlebender aus Warschau bekannt?‘ – ‚Ein Überlebender? Welcher?‘ Er wusste nicht, wovon ich sprach. Dabei ist Ein Überlebender aus Warschau, das Oratorium von Arnold Schönberg, das größte Denkmal, das die Musik dem Holocaust gesetzt hat.“

Dem italienischen Schriftsteller und Journalisten Curzio Malaparte (1898-1957), dessen eigentlicher Name Erich Kurt Suckert war, widmet Kundera seine letzte und ausführlichste Besprechung. (Sein Pseudonym soll übrigens folgender Überlegung entsprungen sein: „Napoléon s’appelait Bonaparte, et il a mal fini: je m’appelle Malaparte et je finirai bien.“ Zu deutsch: Napoleon hieß Bonaparte und fand ein schlimmes Ende, ich heiße Malaparte und mit mir wird es ein gutes Ende nehmen.) Malapartes 1949 veröffentlichter Kriegsroman „Die Haut“ hebt Kundera als „Erzroman“ hervor, nicht nur aufgrund der „Originalität seiner Form“, seiner Modernität, sondern im Besonderen seiner Poesie (des Unwahrscheinlichen) wegen. Nur auf den ersten Blick eine Reportage, handelt es sich hier um ein „literarisches Werk, dessen ästhetische Intention so stark“ ist, „dass ein sensibler Leser es spontan aus dem Kontext der Beiträge von Historikern, Journalisten, Politologen, Memoirenschreibern ausgrenzt“.

Als Dichter zeichnet ihn aus, dass er sprachlich über Konventionen hinausgeht, Radikalität besitzt, durch „Schönheit und Menschenkenntnis zu bereichern“ versteht. Keine „story“ umzäunt die „Komposition“, vielmehr ist es ein (sprachliches und atmosphärisches) „Universum“, das den Reichtum des Romans ausmacht. Auf der anderen Seite liegt seine Kunst wiederum in der Aussparung, deren Klang mehr auslöst als jede ausführliche Beschreibung.

Eine Begegnung ist eine subjektiv geprägte Poetologie, die aus der Flüchtigkeit der Momente, da wir begreifen, Schönheit bezieht.

Titelbild

Milan Kundera: Eine Begegnung.
Aus dem Französischen übersetzt von Uli Aumüller.
Carl Hanser Verlag, München 2011.
205 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783446235557

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch