Sinn und Form

Peter Huchels Korrespondenz in ausgewählten Briefen

Von Viktor SchlawenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Viktor Schlawenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Peter Huchel, geb. im April 1903 zu Lichterfelde, Kindheit in der Mark. Studierte auf den Universitäten Berlin, Freiburg, Wien und Paris. Dann Reisen in ganz Frankreich, auf Korsika und durch den Balkan bis Stanbul."

So bündig formulierte Huchel seinen Lebenslauf, als er sich im September 1931 mit Gedichten an einem Preisausschreiben der in Dresden erscheinenden Zeitschrift "Die Kolonne" beteiligte. Huchel und seine Dora wohnten damals in einer Berliner Kolonie für minderbemittelte Künstler und Schriftsteller. Zu seinen Nachbarn gehörten Ernst und Karola Bloch, Alfred Kantorowicz und Eberhard Meckel. Im August 1941 wurde Huchel zum Kriegsdienst eingezogen, doch das "militärische Schicksal" meinte es gut mit ihm: In Behrenhoff, wo er stationiert war, war es auszuhalten, schwamm "die Sahne fingerdick auf der Milch". 1948 bereitete er die erste Ausgabe seiner viel gerühmten Zeitschrift "Sinn und Form" vor, die es als ihre "vornehmste Aufgabe" ansah, "sich für die wesentlichen schöpferischen Kräfte der deutschen Dichtung und Literatur einzusetzen".

In der Vorbereitungsphase zum ersten Heft versuchte Huchel, Autoren von Rang und Namen zu gewinnen und lockte mit guten Honoraren. Hans Mayer, der noch keinen Beitrag fest zusagen wollte, bat sogleich um eine ausführliche Rezension seines Georg Büchner-Buches (von 1947) und nannte Huchel auch den passenden Rezensenten. Bereits 1951 begannen die finanziellen Schwierigkeiten der Zeitschrift, welche es - neben anderen Problemen, mit dem Verlag Rütten & Loening - zunehmend schwierig machten, Autoren aus dem Westen als Beiträger zu gewinnen und zu halten. Insgesamt zeigen die Briefe der "Sinn und Form"-Zeit, "wie Optimismus und Enthusiasmus der ersten Nachkriegsjahre langsam von Resignation und Enttäuschung abgelöst wurden."

Der Vorteil von "Sinn und Form" war, dass man als Beiträger nicht übermäßig angepaßt sein mußte. Gleichwohl kam es immer wieder vor, dass Autoren und auch redaktionelle Mitarbeiter der Zeitschrift in den Westen gingen und den Herausgeber in nicht geringe Verlegenheit stürzten. Auch musste gelegentlich ein Kotau vor den maßgeblichen Kulturschaffenden der DDR erfolgen, so zum Beispiel anlässlich des 60. Geburtstages von Johannes R. Becher, dem "Dichter des Friedens" und späteren Kulturminister. Becher war der Gründer und Herausgeber der Zeitschrift, die ihm 1951 ein Sonderheft widmete.

Autoren, die für Peter Huchels berühmte Zeitschrift "Sinn und Form" arbeiteten, lernten bald die Noblesse ihres Herausgebers kennen und schätzen. Die von Hub Nijssen besorgte Briefauswahl im Jubiläumsprogramm des Suhrkamp Verlages bietet dafür zahlreiche Zeugnisse. Das erste Sonderheft seiner Zeitschrift galt Bertolt Brecht, der sich artig bedankte: "es ist eigentlich die erste Publikation, die mich mit den Deutschen zusammenbringt, meine eigenen Bemühungen abgerechnet." Huchels Integrität half über manche Barrieren hinweg. 1952 lud er Alfred Döblin zur Mitarbeit ein, der ihm voll Bitterkeit zurückschrieb: "Warum soll ich mich plötzlich mit einem Beitrag in Ihrer Zeitschrift melden, wo ich doch in der Ostzone mit keinem Buch, weder einem neuen noch einem alten sichtbar bin und zu den `Verschollenen und Vergessenen´ gehöre, in Ihrer Zone, wie auch bald in den anderen."

1961 veranlasste Alexander Abusch, damals Kulturminister der DDR, eine Prüfung der Zeitschrift. Die Analyse ergab, dass die "sozialistische Gegenwartsliteratur" zu wenig vertreten sei, dass "die jüngeren Autoren der DDR" mehr einbezogen werden müssten. "Marxistische Literaturkritik" würde ebenso fehlen wie ein kritischer Diskurs über die "kulturellen Probleme" der DDR. Im Sommer 1962 sollte Huchel durch Hereinnahme eines zweiten Chefredakteurs kaltgestellt werden, so dass er sich genötigt sah, die Redaktion der Zeitschrift zum Ende des Jahres niederzulegen. An Fritz J. Raddatz schrieb er: "Sie haben recht, ich bin von meinem alten Jeep gesprungen. Aber mir paßte nicht der Anstrich, mit dem der Wagen versehen werden sollte. Und noch weniger der offerierte Beifahrer; den kenne ich allzu gut."

Abusch hatte bereits 1953 versucht, Huchel zum Rücktritt zu zwingen. Doch Brecht bestärkte Huchel darin, "seinen Laden [zu] verteidigen": "Sinn und Form" sei neben dem Berliner Ensemble die "beste Visitenkarte" der DDR im Ausland. Jetzt, neun Jahre später, wurde Huchels Ausscheiden weithin mit Bestürzung aufgenommen, der Autor immer weiter an den Rand des kulturellen Lebens der DDR gedrängt. Ende der sechziger Jahre begann er, aktiv seine Ausreise zu betreiben. Hilfe kam bald auch aus dem Westen. 1971 setzte sich der Frankfurter Verleger Siegfried Unseld für Huchel ein. Viele Autoren Unselds, darunter Bertolt Brecht, Ernst Bloch, Günter Eich, Hermann Kasack, Hans Mayer Hans Erich Nossack und Nelly Sachs hatten in "Sinn und Form" publiziert und/oder waren mit Huchel befreundet. Nun ging es darum, dem weitgehend mittellosen Ehepaar Huchel im Westen eine Sinecure zu verschaffen, zumindest eine Überbrückungshilfe für die Zeit bereitzustellen, in der sich Peter Huchel akklimatisieren würde und wieder ans Arbeiten denken konnte.

Im Januar 1971 war es dann so weit, bei Huchel erschien ein Vertreter der DDR-Regierung, "um ihm schriftlich wie mündlich mitzuteilen, dass ihm und seiner Frau und seinem Sohn binnen acht Wochen die Ausreise in die Republik Italien gestattet sein wird, unter Mitnahme sämtlicher Besitztümer." Der Umzug nach Rom gestaltete sich schwierig. Die Hauptsorge war, dass Huchel zunächst in der Villa Massimo untergebracht werden sollte; doch als seine Ausreise erfolgte, war die Villa belegt, so dass Huchel in Rom zunächst keine Unterkunft finden konnte. Unseld bat Ingeborg Bachmann um Hilfe, und durch Uwe Johnson und Rolf Becker machte er Huchel den Vorschlag, er möchte sein kommendes Werk dem Suhrkamp Verlag übergeben. Er verknüpfte sein Angebot mit einer weitgehenden Honorarzusage, und im Oktober bereits konnte der Vertrag über einen neuen Gedichtband unterschrieben werden. Huchel, dessen West-Verlag bis dato der S. Fischer Verlag gewesen war, kam durch den Wechsel in Nöte: "Unseld hält mich im Verleger-Würgegriff", schrieb er an Walter Janka, "er lässt nicht locker, er treibt mich auf die Schlachtbank". Der Abgabe seines Gedicht-Manuskriptes im Frühsommer 1972 empfand er als prekär: "Aber Unseld hat pünktlich bezahlt, mir bleibt nichts anderes übrig als das zu tun, was ganz gegen mein Gewissen geht. Vielleicht läßt sich noch manches in den Korrekturen verbessern."

Im Mai 1972 konnte das Ehepaar Huchel eine Wohnung in Freiburg beziehen, doch für eine Übergangszeit waren sie praktisch obdachlos. Bald schon quälte sie das Heimweh. Im letzten Brief, der in Hub Nijssens Auswahl dokumentiert ist, berichtete Peter Huchel von einer "kleine[n] Kate unweit von Staufen", die er "leichtsinnigerweise" gekauft habe. 1981 starb der Dichter nach langer Krankeit.

Die von Hub Nijssen sorgfältig erarbeitete Briefauswahl ist mit einem Nachwort des Herausgebers, einer Vita, einer Bibliographie und einem informativen Namensregister versehen. Die 366 Briefe von circa 3.200 nachgewiesenen, aber lückenhaft überlieferten Briefen Peter Huchels umfassen den Zeitraum vom Oktober 1925 bis zum März 1977. Im Nachwort erläutert Herausgeber Hub Nijssen seine Auswahlkriterien: Die Briefe müssen Einblick geben in Huchels Selbstverständnis als Lyriker und in seine Herausgebertätigkeit bei "Sinn und Form"; sie sollen die Kulturpolitik der DDR oder das Verhältnis von DDR und BRD widerspiegeln. Somit kann Huchels Korrespondenz als Kommentar zum lyrischen Werk und seiner Entstehung unter den kulturpolitischen Vorgaben von Diktaturen gelesen werden.

Titelbild

Peter Huchel: Wie soll man da Gedichte schreiben.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
600 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3518411578

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch