Aufhängen ist auch eine Lösung
Anmerkungen zu dem historischen Roman „Räuberleben“ von Lukas Hartmann
Von Thomas Neumann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Spektrum der historischen Romane ist breit. Die Qualitätsunterschiede in diesem Genre sind ebenfalls sehr groß. Freudig überrascht ist man, wenn er in diesem oft von einfachsten Unterhaltungsromanen überschwemmten Genre auf einen gut recherchierten, sprachlich komplexen und gleichzeitig gut lesbaren Text stößt. Eine solche Entdeckung ist der von Hartmann vorgelegte Roman „Räuberleben“. Nicht nur wenn man vom selben Autor den Cook-Roman „Bis ans Ende der Meere“ gelesen hat, darf man sich auf die Lektüre freuen. „Räuberleben“ steht mit der spannenden und historisch verbürgten Handlung bei der Schilderung der Geschehnisse im vorletzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts seinen vorherigen Büchern in nichts nach.
Der Leser wird in die Handlung aus dem Blickwinkel des Schreibers Wilhelm Grau eingeführt, der für den Oberamtmann Jacob Schäffer im württembergischen Sulz das Amt des Chronisten und Protokollanten inne hat. Schäffer ist als Räuber- und Verbrecherjäger bekannt und der Verfasser einer ungefähr 500 Namen umfassenden Liste bekannter Räuber im württembergischen Land. Einer der gesuchten Verbrecher ist der „Zigeuner“ Hannikel, der mit seiner Familie als Nichtsesshafter durch das Land zieht. Mit großer Geste und einer Gabe für die Entfaltung historischer Szenarien gelingt es Hartmann, die Geschichte des Räubers Hannikel und seiner Gefolgschaft zu beschreiben. Dabei bedient er sich zweier Perspektiven: Einerseits wird aus dem Blickwinkel des Verbrecherjägers Schäffer beschrieben, wie sich die Erfordernisse aus dem Blick der Obrigkeit den „Verbrechern“ gegenüber verhalten. Andererseits werden diese Ansichten durch den subalternen Schreiber Grau relativiert: „Weiß der Kuckuck, was mich an diesem Kind, dessen Gesichtsfarbe von Tag zu Tag durchscheinender wurde, derart rührte. Lag es an seiner Haltung, die von tiefster Niedergeschlagenheit sprach? An der Ahnung, dass sich darunter ein hoffnungsloser Zorn verbarg, der auch in mir, lieber Freund, bisweilen glimmt, wenn ich von Unrecht und Dummheit umstellt bin?“
Aber die verständnisvollen Ansichten Wilhelm Graus stoßen nicht nur bei seinen Vorgesetzten auf Missfallen. Selbst die „Opfer“ der staatlichen Sanktionen, die Kinder der Räuberbande, weisen das Mitleid aus Selbstschutz zurück: „Es war allerdings ein Erbarmen, das keinen Widerhall fand, schon gar nicht Dankbarkeit, denn bei jedem von Graus Versuchen, Dieterle ein wenig näher zu kommen und seinen Haftalltag zu erleichtern, verschloss er sich noch mehr.“ Dabei gelingt Hartmann ein von einer poetischen Sprache getragenes differenziertes Bild des Spannungsverhältnisses von Verbrechen, Sanktionen, staatlicher Willkür und unangebrachten Maßnahmen in Form von Sippenhaft. Ebenso wird die Gewalt gegen Juden nicht ausgespart, die zwar staatlichen Schutz, aber keinen öffentlichen Respekt bekommen.
Hartmann integriert geschickt die Handlung in die zeithistorische Folie, vor der die „Räubergeschichten“ spielen. Er beschreibt die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse vielschichtig, indem er auch einige Abschnitte aus der Perspektive des Landesherrn schildert, dem bei Hinrichtungen immer schlecht wird, deshalb von ihnen fernbleibt und die Todesurteile aber trotzdem ohne Zögern unterzeichnet: „Und doch standen ihm manchmal, wenn er schlecht schlief, verzerrte und blau angelaufene Gesichter vor Augen; es waren immer Einzelne, nicht Kompanien, die im Kampf zu Tode kamen.“ Dass dabei noch auf den Verkauf württembergischer Soldaten eingegangen wird, um die Staatskasse zu füllen, ergänzt das Zeitgemälde um eine weitere Facette und untergräbt die scheinbar moralischen Argumentationen der Staatsmacht bei der Verbrechensbekämpfung.
Letztendlich ist es ein fulminanter Roman, sprachlich und erzählerisch auf hohem Niveau, der ein treffendes Zeitgemälde um das Jahr 1800 herum aus der Geschichte Württembergs liefert. Selbst Schiller und Schubart finden Erwähnung und die Problematik auf der moralischen Ebene wird vom Schreiber Grau in einem Satz treffend zusammengefasst. Er beschreibt die Hinrichtungen, die Schwierigkeiten bei der Integration von Sinti, Roma und anderen Nichtsesshaften und die unmenschlichen Zucht- und Strafmaßnahmen im Rechtssystem um 1800: „Mir ist aber, seit dem Tag der Hinrichtung, anfallweise das ganze Menschengeschlecht widerwärtig.“ Großes Kino!
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