Wort wird Bild

Ein Almanach-Band der Moritzburg Halle/Saale setzt sich mit den Bildern der „Brücke“-Maler zur Literatur auseinander

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist erstaunlich, dass es trotz des nun schon Jahrzehnte währenden Expressionismus-Booms noch Desiderate gibt, die weithin unbekannt geblieben sind. Wie haben sich die „Brücke“-Künstler mit der Literatur auseinandersetzt, welcher künstlerischer Gestaltungsweisen und Techniken bedienten sie sich, was haben sie Neues in die Literaturillustration eingebracht? Natürlich, einzelne Werke sind in Personal- und thematischen Ausstellungen schon zu sehen gewesen, aber die Bilder der „Brücke“-Künstler zur Literatur wurden noch nie geschlossen in einer eigenständigen Schau gezeigt, noch nie konnten sie zusammenhängend bewertet und miteinander verglichen werden.

Die Stiftung Moritzburg, das Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, besitzt seit einem guten Jahrzehnt die außergewöhnliche Sammlung Hermann Gerlinger als Dauerleihgabe, und aus ihrem Bestand wird auch der Grundfond der bis 3. Juni 2012 gezeigten Ausstellung „Wort wird Bild. Illustrationen der Brücke-Maler“ gespeist. Aber zusätzlich sind noch weitere Leihgaben aus deutschen und außerdeutschen Museen und Privatsammlungen zusammengetragen worden, so dass das Thema „Brücke“-Illustrationen wirklich in umfassender Weise vorgestellt werden kann. Nicht Darstellung, sondern Ausdeutung, Verdichtung szenischer Elemente der Literatur zum Sinnbild – so könnte man das Gestaltungsprinzip der „Brücke“-Künstler zusammenfassen.

Der von Hermann Gerlinger und Katja Schneider herausgegebene Katalog, der auch als eigenständige Publikation – als Band 2 der Reihe „Almanach der Brücke“ – zu betrachten ist, enthält neben den groß- und kleinformatigen Abbildungen der Illustrationswerke eine Reihe gewichtiger Beiträge zum Thema. Günther Gercken erläutert den Leitgedanken von Almanach und Ausstellung, wie Wort zu Bild wird, und spannt dabei den Bogen bis zur Konkreten und Visuellen Poesie. In einem weiteren Aufsatz beschäftigt er sich mit Ernst Ludwig Kirchners Lithografienfolge zu dem Liebesdrama „Sakuntala“ des um 400 lebenden indischen Dichters Kalidasa, während Meike Hoffmann Kirchners Holzschnittzyklus „Zwei Menschen“ untersucht. Karin Schick schreibt über die erstmals der Öffentlichkeit vorgestellten farbigen Zeichnungen des noch nicht einmal 6-jährigen E. L. Kirchner, die dieser zu den Figuren zu Heinrich Hoffmanns belehrendem Kinderbuch „Der Struwwelpeter“ anfertigte – kindlich naiv, aber doch erstaunlich in ihren kraftvollen Farbklängen und dynamischen Kompositionen. Anita Beloubek würdigt umfassend Kirchners Bilder zur Literatur und geht besonders auf dessen Holzschnittfolgen zum „Peter Schlemihl“ von Adelbert von Chamisso und zu dem Gedichtband „Umbra vitae“ von Georg Heym ein. Andreas Hüneke widmet sich dem Illustrationswerk Erich Heckels, Fritz Schlawe Karl Schmidt-Rottluffs Illustrationen zu „Das Spiel Christa vom Schmerz der Schönheit des Weibes“ von Alfred Brust und Aya Soika Max Pechsteins Verhältnis zur Literatur.

„Lebensgleichnisse“ zu schaffen, hat Kirchner als seine Aufgabe bezeichnet, Gestaltzeichen der Menschen und Formzeichen des Kosmos, Stenogramme physisch erlebter und psychisch durchlebter Außenwelt. Seine subjektiven „Visionen des inneren Lebens“ baute er in einer nervösen, wie zu Chiffren verschlüsselten Zeichensprache, die er selbst mit „Hieroglyphen“ umschrieb. In seiner frühen Holzschnittfolge zu Richard Dehmels Roman „Zwei Menschen“ (1905) hat er – noch ganz dem Symbolismus verpflichtet – die Geschlechterbeziehungen in zum Sinnbild erhöhten Szenen dargestellt. Ornamentale Rahmenleisten sollen das Dargestellte in der Ausdruckskraft steigern. Bei den Lithografien zum indischen Liebesdrama Sakuntala des Dichters Kalidasa ging es Kirchner weniger um eine Illustration des Dramas, sondern er greift nur einige Motive heraus. Text und Bild stehen sich kontrapunktisch gegenüber. Die Lithografien leben von der malerischen Pinselschrift. Einzelne lineare Elemente verbinden sich mit geschlossenen, tonigen Flächen feinster Graustufen. Zur Novelle „Das Stiftsfräulein und der Tod“ und zum Theaterstück „Comtesse Mizzi“ von Alfred Döblin hat er bildhafte Holzschnitte geschaffen – das Titelblatt führt Bild und geschnittene Schrift zu der für Kirchner bezeichnenden Einheit zusammen –, für die bereits die erst viel später getroffene Aussage gilt, dass es ihm darauf ankomme, „den Text zu ergänzen, nicht zu illustrieren“. Kirchner spinnt hier den sich zwischen Leben und Tod erstreckenden Erzählfaden weiter.

Die unbestreitbaren Höhepunkte expressionistischer Illustrationskunst sind aber Kirchners Zyklen zu Chamissos „Peter Schemihl“ (1915) und zu Georg Heyms nachgelassenen Gedichten „Umbra vitae“ (1919-1922). Immer wollte der Künstler über sein eigenes Schicksal reflektieren. Seine Bilder zu Schlemihl erklärte er als „Lebensgeschichte des Verfolgungswahnsinnigen“. Dabei hatte er seine eigenen Ängste als Soldat im Blick, denn nach seiner krankheitsbedingten Entlassung aus dem Militärdienst befürchtete er beständig eine erneute Einberufung. Von Blatt zu Blatt steigert sich mit der Dramatik des Geschehens auch der Farbreichtum. Das Blatt „Kämpfe“ thematisiert die Unvereinbarkeit von Künstlertum und bürgerlicher Existenz; auf dem Blau-Schwarz-Weiß der beiden Köpfe liegt ein blutroter Farbstreifen, der auf den Lippen des Mannes, in seinem Kopf und in der nach seinem Herzen greifenden Krallenhand der Geliebten wiederkehrt. Indem Kirchner die Farben wie Bauelemente einsetzte, sie übereinander druckte, vermochte er souverän die visuelle Wirksamkeit verschiedener Formen, die eine inner und äußere Bewegtheit suggerieren, unabhängig vom dargestellten Gegenstand einzusetzen.

Das Illustrieren literarischer Stoffe setzte Kirchner dann mit Holzschnitten zur alttestamentarischen Gestalt Absalom (1918) und zu Georg Heyms Lyrikband „Umbra vitae“ fort. In Absalom, dem Sohn König Davids, versinnbildlichte er das Märtyrertum eines jungen Aufbegehrers, während er in seinen Heym-Blättern eine Bild- und Text-Synthese in höchster Vollkommenheit anstrebte. Das war stets Kirchners Interesse an jeder Art von Literatur, die Textvorlage auf das Existenzielle, das aktuelle Leben zu beziehen. Die Flächenkunst des Holzschnitts erlaubte die größtmögliche Allianz zwischen Typografie und Bild, weil Text und Holschnitt zusammen in einem Vorgang gedruckt werden konnten. Kirchner äußerte sich vornehmlich im Holzschnitt, er erhielt so die abbildende Form und die Nähe zum Text, steigerte sie im Ausdruck und deutete sie aus seiner Weltsicht – die Blätter sind also erläuternde Illustration und selbständiges Bild zugleich.

In den Illustrationen zu Heyms Versen hat Kirchner in der Regel einen Vers oder auch nur ein Leitwort aus dem jeweiligen Gedicht herausgegriffen und in seinen Bildern eigene, über das Gedicht hinausgehende Assoziationen umgesetzt. Der Grafiker ordnet sich nicht dem Dichter unter, sondern fügt hinzu, um gleiche Gesinnung zu bezeugen. Ein unentwirrbares Formgefüge – vor allem diagonal oder kreisend – suggeriert eine heftige innere und äußere Bewegtheit. Die Figuren scheinen ins Bodenlose zu stürzen oder von einem bedrohlichen Strudel verschlungen zu werden. Dann wieder stellt Kirchner dem Moloch Großstadt in dem Blatt „Alle Landschaften haben sich mit Blau erfüllt“ die friedlich erhabene Schweizer Bergwelt gegenüber.

Erich Heckel gestaltete 1907 in einer kontrastreichen expressiven Sprache 11 Holzschnitte zu Oscar Wildes „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“, die aus der Sicht eines Mithäftlings die letzten Tage eines zum Tode Verurteilten beschreibt. Es ist die früheste bekannte expressionistische Illustration, sie fand aber von allen Arbeiten verwandter Auffassung die späteste Veröffentlichung (erst 1963). Der Grundton dieser Holzschnitte ist die Angst, die hier in vielerlei Gestalt wiederkehrt: In der entsetzlichen Leere um den Häftling,, in Schreckensvorstellungen vom Tod, in beklemmenden Traumbildern bei Tag und Nacht, schließlich in der Verklärung durch den ans Kreuz Geschlagenen. Der Einfluss der Holschnittkunst von Paul Gauguin und Edvard Munch wird in einigen Blättern sichtbar. Heckel geriet früh in den Bann der Dichtung Dostojewskis, der psychologischen Schilderung des Lebens der „Erniedrigten und Beleidigten“ und der Behauptung ihrer Menschenwürde. Vor allem der Roman „Der Idiot“ mit seiner konfliktreichen Personenkonstellation inspirierte ihn zu einer Reihe außerordentlicher Darstellungen in Malerei und Grafik, die metaphorisch die zunehmenden Spannungen innerhalb der „Brücke“, besonders das Verhältnis von Heckel und Kirchner, aufgreifen. 1917 gestaltete er in dem Gemälde „Roquairol“ und in zwei Holzschnitt-Variationen den innerlich zerrissenen Helden aus Jean Pauls Roman „Titan“. Im folgenden Jahr hat er Roquairol in dem Gemälde „Der Freund“ die Züge Kirchners verliehen.

Karl Schmidt-Rottluff illustrierte 1918 eine Ausgabe der Dichtung von Alfred Brust mit zerkerbten und verkanteten Köpfen, als wären sie aus dem Holz geschlagen, und schuf damit seinen einzigen Illustrationszyklus. Die blockhafte Wucht der Holzschnitte ist geladen mit innerer Dramatik; in den entindividualisierten, dämonischen Gesichtern, die den Betrachter anstarren, ist unschwer die Begegnung mit der Negerplastik zu erkennen. In dem Holzschnitt eines deutlich Brust „Lesenden Mannes“ von 1922 hat sich Schmidt-Rottluff selbst dargestellt. Ein anonymes Frauenbildnis von 1912 konnte erst nachträglich von Hermann Gerlinger als Darstellung der Schriftstellerin Else Lasker-Schüler identifiziert werden.

Max Pechstein bevorzugte die Radierung und beschränkte sich auf das unreflektierte, optische Verbildlichen der literarischen Szene. So wie er in den Lithografien zu Heinrich Lautensacks „Samländischer Ode“ (1917/18) die Sujets seiner Nidden-Gemälde der Vorkriegszeit aufgriff – Badende, Fischerhäuser, Boote und Dünenlandschaften –, verarbeitete er in den Radierungen zu Willy Seidels „Yali und sein weißes Weib“ (1923) Südsee-Erlebnisse, die ihm während eines Aufenthaltes auf den Palau-Inseln im südwestlichen Pazifik zuteil wurden. Seine gelungensten Illustrationen aber wurden in der exklusiven Sammler-Zeitschrift „Marsyas“ veröffentlicht, so seine Radierungen zu Carl Sternheim und Hermann Stehr.

Die neue Bildwelt, die die Brücke-Künstler auch in ihren Illustrationen zum Ausdruck brachten, widersprach seinerzeit den Seh-Konventionen. Es waren vor allem kleine, finanzschwache Verlage, die der expressionistischen Buchkunst zum Durchbruch verhalfen. Sie druckten in nur geringer Auflage und blieben dennoch meist darauf sitzen. Heute zählen sie zu den Inkunabeln der Buch- und Illustrationskunst des 20. Jahrhunderts.

Kein Bild

Hermann Gerlinger / Katja Schneider (Hg.): Wort wird Bild. Illustrationen der Brücke-Maler.
Stiftung Moritzburg - Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, Halle 2011.
136 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783861050643

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