Lachen und Literatur

Anne Thill legt eine umfangreiche Dissertation über die Kunst, die Komik und das Erzählen im Werk Thomas Bernhards vor

Von Jerker SpitsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jerker Spits

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf gut 730 Seiten untersucht Anne Thill in ihrer Dissertation „Die Kunst, die Komik und das Erzählen im Werk Thomas Bernhards“ die humoristischen Pointen im Gesamtwerk des österreichischen Schriftstellers. Nach einigen theoretischen Vorbetrachtungen – über die Ironie als „ein Ernst, der in Frage gestellt wird“, den Humor als „nicht ernst genommener Ernst“ – interpretiert die Heidelberger Germanistin 15 Prosa- und Theaterwerke aus 23 Schaffensjahren Bernhards. Sie geht dabei weitgehend textimmanent vor. Im zweiten Teil versucht Thill, anhand ihrer Textanalysen inhaltliche und formale Entwicklungslinien im Gesamtwerk Bernhards aufzuzeigen.

Überzeugend zeigt Thill in den umfangreichen Textinterpretationen (insgesamt 600 Seiten) die selbstironische Distanzierung des Autors von der geschilderten Problematik in seinen Texten. Sie macht deutlich, dass es komische Nuancen im Frühwerk und ernstere Töne im Spatwerk gibt. Bernhards Werk zeigt formale und inhaltliche Veränderungen, und ist nicht als „Monolith“ zu betrachten. Im zweiten Teil setzt Thill sich auf der Basis der Textanalysen denn auch überzeugend gegen die „Ein-Buch-These“ ab. Allerdings gibt es heutzutage nur noch wenige Germanisten, die diese „Ein-Buch-These“ vertreten.

Es gibt mehr Aussagen über den Stand der Bernhard-Forschung, die etwas undifferenziert sind. Dass „die ironische Qualität von Bernhards Werk“ erst „seit wenigen Jahren zögerlich untersucht wird“, dass „die Komik […] lange Zeit von der Bernhard-Forschung nicht (an-)erkannt wurde“, stimmt so nicht. „Wie gut, dass wir immer eine ironische Betrachtungsweise gehabt haben, so ernst uns immer alles gewesen ist“, schrieb Thomas Bernhard in „Der Keller“ (1976). Kritik und Forschung haben diesen Satz schon früh als literarisches Programm interpretiert. Dass die „markante Selbstreflexivität“ ein „Aspekt“ sei, „den die Forschung bisher vernachlässigt hat“, stimmt so auch nicht. Und wenn Thill meint, die Bernhard-Forschung habe den Autor zu lange als „düsteren Poeten“ betrachtet, bezieht sie sich auf eine 1983 gemachte Aussage von Marcel Reich-Ranicki.

Thill versucht „konsequent und radikal […] aussertextliche Bezüge zu Philosophie, Biographie und Real- wie auch Literaturgeschichte“ auszuklammern. Doch es ist die Frage, in wieweit sie hier nicht unerlässlich für ein richtiges Verständnis sind. Ist eine Interpretation von „Heldenplatz“ möglich, ohne „das Bedenkjahr“ 1988 mit einzubeziehen? Insbesondere die Theaterstücke entfalten ihre Wirkung erst durch den Zuschauer – sei es dem damaligen oder heutigen. Und gilt für die Theaterstücke nicht auch, dass man das Nicht-Textuelle (Bühnenbild, Kostüme, Dramaturgie), vielleicht noch mehr als die Worten berücksichtigen muss, um Bernhards Komik zu verstehen? Man denke nur an die groteske Schlussszene aus Bernhards „Vor dem Ruhestand“, mit SS-Uniform, Beethoven, und Sekt. Und stimmt es, dass Bernhard „immer noch in hohem Masse polarisiert und zu irritieren vermag“? Ist gerade nicht der Humor ein Grund für eine kulinarische Bernhard-Lektüre?

Titelbild

Anne Thill: Die Kunst, die Komik und das Erzählen im Werk Thomas Bernhards. Textinterpretationen und die Entwicklung des Gesamtwerks.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2011.
731 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783826046575

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