Wie wunderbar es ist

Anmerkungen zu Lars Brandts Roman „Alles Zirkus“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu Beginn des Romans „Alles Zirkus“ trifft der Leser auf ein klassisches Szenario: Ein Paar, Walter und Trixi, das in einer Beziehung Disharmonie „verwaltet“, ansonsten aber einigermaßen gut miteinander auskommt. Am Rande der Beziehung scheint es eine dritte Person zu geben, die die Zweisamkeit gefährdet. Lars Brandt verdeutlicht die Schwierigkeiten, in denen das Paar steckt, durch kleine Prosaminiaturen aus dem Alltag. Dabei wird man zunächst positiv von Trixi eingenommen, die zum Beispiel mit dem Vorlesen aus der Erzählung „Frühling in Fialta“ von Vladimir Nabokov mit ihrem Mann Walter kommunizieren möchte beziehungsweise zumindest den Versuch unternimmt, sich ihm zu nähern. Walter ist dagegen mit eigenen Gedanken, eignen Problemen und vor allem mit sich selbst beschäftigt. Schon nach wenigen Seiten wird deutlich, dass die Kommunikation zwischen den beiden Protagonisten erheblich gestört ist. Walter leidet unter dem extremen Druck in einer Werbeagentur, möchte aussteigen und sieht keinen Ausweg. Trixi ist Filmemacherin und bereitet ein wenig aussichtsreiches Filmprojekt über den 1978 verstorbenen Maler Richard Lindner vor. Beide fühlen sich eingeengt durch ein neues Haus, ein neues Auto, einen freudlosen Job oder ein aussichtsloses Projekt.

Es wird deutlich, dass Walter, ohne darüber mit Trixi reden zu können, von Angst beherrscht wird. Seine Nächte sind anstrengend: „Natürlich, um vier tanzt das Grauen Rumba – all der Schauder, der sich ans Licht nicht wagt. Aber es gibt Regularien, Abläufe, die sicherstellen, bei Licht wird alles anders aussehen, als die Furcht es erzwingen will.“ Aber auch die Perspektive von Trixi auf ihren Partner hat sich verändert. Sie stellt fest: „Wie sehr man ihn auch liebt, zum eigentlichen Geschehen im Kopf des anderen hat niemand Zutritt.“ Und: „Ist Walter glücklich mit ihr? Er sagt es, wenn sie sich umarmen. Und dann sinkt er wieder in sich. Zurück hinter die Mauer, die zwischen ihnen steht. Irgendwann hat sie sich daran gewöhnt.“

Die psychische Zerrüttung des Protagonisten lässt sich jedoch nicht aufhalten. Walter Tomm wird von seltsamen Träumen heimgesucht, die mit dem Schreckmotiv des Clowns arbeiten. Diese Textpassagen sind kursiviert in den laufenden Erzähltext eingebettet: „Sein Arbeitstag hat ihn leergepumt, stellt Mohnerlieser fest. Ein Blick auf die Monströse Scherzuhr an seinem Handgelenk fördert einen Wasserstrahl zutage. Er steht von seinem Hocker vor der Frisierkommode auf, zieht die Jacke mit den großen Karos und den bunten Flicken darauf aus und entledigt sich der plump überdimensionierten Witzschuhe, um sich nach getaner Arbeit heimzubegeben.

Fast schon halluzinierend vermutet Walter, dass auch Trixi ihn schon als Clown sieht: „Was glaubt sie, wer er ist – ein Clown?“ Wirklichkeit und Traum verwischen sich in der Lebenskrise. „Trixi zwingt ihn fortwährend zu Umständlichkeiten mit unkalkulierbarem Ausgang.“ Die seltsam distanzierte Sprache schafft eine bedrückende Stimmung und Brandt bringt die Situation sukzessive auf den Punkt: „Er fährt mit gespreizten Fingern durch sein Haar, von der Stirn her, so wie es fällt, über den Hinterkopf auf die Schultern. Langsam steht er auf, geht ans Fenster und denkt: Warum nicht hinausspringen?“ Es ist die Beschreibung einer sich in der Auflösung befindlichen Beziehung, in der einer der Beteiligten depressiv ist und unter Angststörungen leidet. Walters Selbstachtung und Selbstvertrauen sind zerstört. Er ist sich selbst unglaubwürdig geworden: „Er kann sich auch nicht von dem abnehmen, was er zu sein vorgibt: den kreativen Kopf der Werbeagentur nicht und nicht den Clown, weder Trixis Mann noch sonst irgendwen oder irgendwas.“

Lars Brandt schildert die verwischten Konturen einer Lebenskrise in einer präzisen Sprache. Er demontiert die Protagonisten und wirft beide in eine realitätsnahe Isolation in ihren Lebenssituationen zurück. Dabei stellt sich eine seltsame Agonie ein. Selbst dem Leser wird keine Perspektive eröffnet. Walter bleibt am Ende einsam und hoffnungslos zurück. Nichts geht mehr: „Keiner der kleinen Kniffe führt ihn einen Millimeter weg vom Rand des riesigen schwarzen Lochs.“ Seine Frau Trixi flieht aus der Situation, wechselt die Stadt, verlässt ihn. Hier endet das Buch. Walter bleibt nur noch eine Therapie. Hoffentlich hat er sich nach dem Ende des Buches für diesen Weg entschieden. Sonst könnte man das schlimmste vermuten. Aber „alles nur Zirkus“ ist das wohl eher nicht.

Titelbild

Lars Brandt: Alles Zirkus. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
224 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783446238503

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