Emigriert und doch zuhause

Ein Tagungsband, herausgegeben von Frank-Lothar Kroll und Rüdiger von Voss, analysiert Facetten und Probleme der Inneren Emigration der Schriftsteller im Widerstand

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie geht das? Emigriert und doch zuhause? Wie kann jemand weg sein, und doch da? So gerne wir das selbst vielleicht manchmal täten – so einfach ist es nicht, das mit dem Hiersein und doch Fortsein. Zumindest, solange man ausschließlich in realen Räumen denkt. Erweitert man seinen Horizont um das Konzept von ,innen‘ und ,außen‘, dann geht es schon. Das weiß jeder, der schon einmal heftig angegangen wurde und sich, weil verbale Gegenwehr zwecklos war, seinen Teil gedacht hat. Genau das ist gemeint – da sein und doch weg. Innerlich nicht da. In Gedanken auf Distanz, ohne sich von der Stelle zu rühren. Von außen nicht zu sehen, aber doch wahr. Aber wie wahr?

Genau damit hat sich, wenngleich auf einer wesentlich komplexeren Ebene, eine wissenschaftliche Tagung im Sommer 2009 in Chemnitz beschäftigt, die sich zum Ziel gesetzt hatte, gerade literarische Widerstandsaktivitäten in ihrer Gesamtheit zu analysieren, ohne sich einerseits auf die rein literarischen Aspekte zu beschränken und ohne andererseits die Autoren als mehr oder weniger widerständlerisch zu klassifizieren. Veranstaltet wurde diese Tagung von der Professur für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (TU Chemnitz), der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 (Berlin), der Stiftung 20. Juli 1944 (Berlin), dem Rheinischen Merkur und der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung.

Die Aufgabe war selbstverständlich keine leichte, denn wie lässt sich ein Innenleben zweifelsfrei belegen und analysieren? Aus der Retrospektive doch wieder nur über das Außen, über Verschriftlichtes, das, gerade im „Dritten Reich“, alles andere als klar, deutlich und eindeutig sein kann, wenn es dem Widerstand zugerechnet werden möchte. Also führt der Umweg per definitionem über Chiffren, Konnotationen, Verschlüsselungen, Mehrdeutigkeiten und Symbolhaftes; Bedeutungsebenen, die ihrerseits auch erst erkannt, analysiert und dokumentiert werden müssen.

Auf 420 Seiten stellt der vorliegende Band 12 der ursprünglich 14 Tagungsbeiträge vor, die in vier Abteilungen untergebracht sind, von denen sich die erste zunächst einmal mit Begriffen und Definitionen befasst. Hier wird versucht, Möglichkeiten und Grenzen des intellektuellen Widerstandes zu umreißen, den Begriff der Inneren Emigration als solchen zu fassen und den schmalen Grat zwischen Anpassung und Widerstand zu skizzieren, auf dem sich zahlreiche Autoren während des „Dritten Reiches“ bewegten und bewegen mussten.

Die folgenden drei Abteilungen sind verschiedenen Perspektiven gewidmet, aus denen heraus man sich den Texten und Schriftstücken annähern kann – die historisch-politische, die gattungsspezifische (Zeitschriften, Reiseliteratur und Lyrik) und die gruppenspezifische (George-Kreis, konfessionelle Dichtung und österreichische Autoren). Ergänzt wird dieser Komplex durch zwei Fallbeispiele, die im Kleinen wie im Großen den exemplarischen Charakter einer solchen Untersuchung illustrieren. Den Abschluss des Bandes bilden zwei Beiträge, die den obligaten Ausblick zur Postmoderne und zu Legitimation und Bedeutung der Inneren Emigration bieten. Leider fehlt zur Abrundung ein Personen- und Werkverzeichnis, das nicht nur einen schnellen Überblick über die behandelten Autoren und Werke gestattet, sondern gleichzeitig auch personelle Schwerpunkte offenbart hätte, wie etwa die gehäufte Beschäftigung mit Werner Bergengruen oder Reinhold Schneider.

Vertieft man sich in die einzelnen Beiträge, bemerkt man schnell, dass Ambivalenz bald zum roten Faden und zunehmend insistenten Begleiter wird, denn so interessant die einzelnen Exkurse auch sind, so schwierig ist es, diese Einzelbetrachtungen unter einem gemeinsamen Dach zu versammeln. Was sich heute scheinbar so leicht unter dem Etikett der Inneren Emigration zusammenfassen lässt, ist alles andere als eine homogene literarische Bewegung oder Gruppierung, sondern im Gegenteil ein Tummelplatz für eine Vielzahl von Autoren, denen lediglich gemein ist, dass sie während des „Dritten Reiches“ ihre Heimat nicht verlassen haben, obwohl sie keine überzeugten Anhänger des Systems waren. Doch bereits hier erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten und es gilt, sich dem individuellen Grad der Distanzierung anzunähern, ohne in die eingangs erwähnte Falle zu tappen, eine Hierarchie des Widerstandsdenkens und –schreibens zu etablieren. Dies alles vor dem Hintergrund einer gut ausgeleuchteten Exilliteratur, die, selbst, wenn man dies nicht möchte, doch immer mit im Raume schwebt, wenn Nicht-Exilianten auf schriftliche Belege ihres widerständlerischen Denkens hin abgeklopft werden.

Dabei gilt, auch das darf nicht vergessen werden, dass Widerstand nicht gleich Widerstand ist. Zwar eint alle Widerständler eine mehr oder minder ausgeprägte Aversion gegen das herrschende System, doch unterscheiden sie sich darüber hinaus durch Herkunft, Konfession – hier sind vor allem (aber nicht nur) jüdische Autoren gemeint – oder ihre politische oder eben gerade apolitische Gesinnung, und schließlich auch durch das individuelle Wesen, das bewirkt, dass verschiedene Menschen in der gleichen Situation unterschiedlich reagieren, von impulsiv bis offensiv, von defensiv bis depressiv. Und wenn wir gerade bei den Reaktionen sind: Die Allerwenigsten zeichnen sich durch eine während der 12 Nazi-Jahre unveränderte Haltung aus – der Widerstand gegen das Regime ist in den ersten Jahren minimal; er wächst zunächst langsam und dann auch nur in dem Maße, in dem sich die Machthaber als skrupellose Lügner und perfide Kriegstreiber entpuppen, aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

Und schließlich, und das betrifft uns alle, die wir derzeit die Welt mit Geschriebenem bereichern, spielt die bisherige Rezeption der Literatur des „Dritten Reiches“ eine nicht zu unterschätzende Rolle. Fast sieben Jahrzehnte sind seit dem Ende des Nazi-Regimes vergangen; Zeit genug, an Vielen und Vielem herumzudeuteln, Schubladen zu basteln und zu füllen, Etiketten zu erfinden und Strömungen nachzuspüren – wer kann sich da sicher sein, sich diesem Thema noch unvoreingenommen nähern zu können? Oder umgekehrt: Wer will von sich behaupten, er/sie könne sich so sehr in den Autor X oder die Schriftstellerin Y und seine Zeit hineinversetzen, dass er/sie aus dem historischen Kontext heraus annähernd objektiv bewerten und interpretieren kann, was seinerzeit verfasst wurde?

Dieses Gedankenspiel bekommt im Nachhinein eine zusätzliche Berechtigung, wenn man weiß, dass einer der Herausgeber selbst Sohn eines Widerstandskämpfers aus dem Umfeld der Hitler-Attentäter vom Juli 1944 ist; der persönliche Bezug ist nämlich eine weitere, wesentliche Komponente in der Auseinandersetzung mit historischen Textzeugnissen. Überhaupt liegt die Beschäftigung mit der Widerstandsliteratur derzeit im oft zitierten Trend – das ist zunächst einmal gut, zum einen als Beitrag zur Forschung und zum anderen als Beitrag zur Differenzierung jener Jahre, deren Zeitzeugen viel zu lange nur als Gute oder Böse kategorisiert worden sind. Hier ist noch viel Aufarbeitung zu leisten, um, wie es der vorliegende Band bereits im Titel suggeriert, die Problematik der Wertung ebenso aufzuzeigen wie die vielen Formen und Nuancen des intellektuellen, passiven Widerstandes. Gleichzeitig ist – und das gilt ganz allgemein für den Umgang mit dem, was sich unter dem Etikett der Inneren Emigration zusammenfindet, Vorsicht geboten, gerade wenn es darum geht, Geschriebenes zu analysieren und zu interpretieren, denn zuweilen scheint es, als solle versucht werden, jedes noch so kleine, versteckte Wörtchen zu finden, das geeignet scheint, einen Funken Widerstand zu belegen. Dies geschieht sicher in bester Absicht und kommt dem tatsächlich existierenden Interesse entgegen, und ist zudem der literaturwissenschaftlichen Forschung zuträglich. Dennoch: Auch Literaten sind nur Menschen mit elementaren Bedürfnissen neben ihren künstlerischen Ambitionen, mit individuellen Umständen und ganz eigenen Werteparametern – Einzelfälle also, die sich nur in loser Formation unter dem Dach der Widerstandsliteratur versammeln; es darf deshalb auch nicht überraschen, wenn der eine oder die andere dort überhaupt nicht hingehört.

Titelbild

Frank-Lothar Kroll / Rüdiger von Voss (Hg.): Schriftsteller und Widerstand. Facetten und Probleme der "Inneren Emigration".
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
424 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783835310421

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