Marx kommt zu kurz

Tomáš Sedlácek bettet die Ökonomie in die großen Erzählungen der Menschheitsgeschichte ein

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das vorliegende Buch befindet sich schon seit längerer Zeit auf den Bestsellerlisten. Offenbar trifft diese populärwissenschaftliche Einführung in die Geschichte der ökonomischen Theorien den Nerv der Leser und zeigt damit vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Wirtschaftskrise auch das Bedürfnis der Menschen nach Aufklärung über grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge.

Der Autor beginnt seine Erzählung mit den alten Menschheitsmythen: dem Gilgamesch-Epos und der Bibel. Er betrachtet die Erbsünde, also den Verzehr des verbotenen Apfels, als Anfang des übermäßigen Konsums. Den Traum des Pharao von den sieben fetten und dürren Jahren und seine Deutung durch Joseph sieht er dagegen zu Recht als Grundlage der dynamischen Fiskalregel. Wie schon unsere Großmütter predigten: Spare in den guten Zeiten für die schlechten. Jeder weiß, dass gerade diese Regel schon seit langen Jahren von den Industrieländern mit unabsehbaren Folgen für uns und unsere Kinder sträflich missachtet wird.

Der Ansatz des Autors, die gegenwärtige Wirtschaftslage auf der Grundlage biblischer Erzählungen erläutern zu wollen, mutet dabei sehr amerikanisch an. Dies zeigt sich auch an der alleinigen Ausrichtung des Textes auf anglo-amerikanische Theoretiker der Ökonomie.

Im Weiteren stellt Tomáš Sedláček zunächst die entsprechenden Konzepte antiker griechischer Autoren und ihre christliche Interpretation beispielsweise durch Thomas von Aquin dar. Diese bestehen zusammengefasst aus zwei alternativen Vorschlägen: der Steigerung des Angebots und der Mäßigung desselben. Heute haben wir jedoch ein Überangebot zuungunsten der Nachfrage als eines unserer wirtschaftlichen Kernprobleme, worauf der marxistische Wirtschaftstheoretiker Thomas Kuczynski verweist. Diese Überproduktion bei gleichzeitig fehlenden Absatzmärkten löste maßgeblich die mit Staatshilfen (also vom Neoliberalismus verpönten interventionistischen Maßnahmen) behobene Krise in der Automobilwirtschaft aus.

Viel Raum gibt der Autor der Diskussion der Mandevill’schen Bienenfabel und den Schriften von Adam Smith. Besonders Letzterer wird vielfach als Theoretiker des Neoliberalismus in Anspruch genommen. Dessen Kernkonzept besteht kurz gesagt darin, dass der Eigennutz Vieler am Ende stets etwas Gutes schafft. Seit Karl Marx weiß man aber, dass in der stetigen Konkurrenz miteinander nicht nur der ökonomische Mehrwert in der kapitalistischen Gesellschaft gesteigert wird, sondern dass hierin vor allem die Ursache für die Entfremdung des Menschen in ihr liegt. Marx als Denker vermisst man in dieser Zusammenstellung ökonomischer Theorien jedoch zunehmend. Er taucht lediglich in einer Randbemerkung des Textes quasi als Fußnote auf indem behauptet wird, dass viele wichtige zeitgenössische Ökonomen implizit immer noch an der Basis-Überbau-Theorie hängen. Darüber hätte man gern mehr erfahren.

Nach Ausführungen über die ethischen Dimensionen wirtschaftlichen Handelns geht es um die Mathematik als Grundlage der Ökonomie, den Möglichkeiten perspektivische Voraussagen über ökonomische Zusammenhänge treffen zu können und den daraus resultierenden Steuerungsmöglichkeiten. Sedláček befindet hierzu, sie seien begrenzt, obwohl die eingangs zitierte Josephsgeschichte beweist, dass frühzeitiges und weitsichtiges Handeln in wirtschaftlicher Hinsicht durchaus von Erfolg gekrönt sein kann. Zum Schluss wird die Frage diskutiert, ob die Ökonomie eine rein positivistische oder wertfreie Wissenschaft ist, mit dem Ergebnis, dass sie weder das Eine noch das Andere ist. Es bleibt das Resultat, dass das Buch zwar Vieles verspricht, aber inhaltlich nicht einlöst. Man kann dem Leser dabei durchaus mehr Verständnis in ökonomischen Fragen zutrauen, als es Sedláček tut.

Titelbild

Tomás Sedlàcek: Die Ökonomie von Gut und Böse.
Übersetzt aus dem Englischen von Ingrid Proß-Gill.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
445 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446428232

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