Zwischen Anpassung und Eskapismus

Peter Uwe Hohendahl und Erhard Schütz haben einen Sammelband über konservatives Denken in Deutschland und den USA nach 1945 herausgegeben

Von Sönke AbeldtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sönke Abeldt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Konservatives Denken steht in der modernen Gesellschaft unter Veränderungsdruck. Der Konservative möchte, dass alles so bleibt, wie es ist – Punkt. Dem unvermeidlichen gesellschaftlichen Wandel begegnet er rat- und rastlos, weil er das Bestehende verteidigen will. Der wissenschaftliche Sammelband „Perspektiven konservativen Denkens“ (herausgegeben von Peter Uwe Hohendahl und Erhard Schütz) vermittelt einen Eindruck dieses Problems. Das Buch widmet sich konservativen Denkmustern nach 1945, und zwar im Vergleich zwischen Deutschland und den USA. Das klingt aufregend: Zum einen zwingt die Nachkriegssituation zum Umdenken, zum anderen ist mit „konservativ“ diesseits und jenseits des Atlantiks nicht dasselbe gemeint.

Deutscher traditioneller Konservatismus kann als antimodern und elitär bezeichnet werden. Er zielt auf einen starken Staat, auf Gehorsam, Pflichterfüllung und Opferbereitschaft. Bezeichnend dafür sind: die Erinnerungen von deutschen Wehrmachtsgenerälen (analysiert von Manuel Köppen), der ideologische Boden des konservativen Kriegsverständnisses (dargestellt von Herfried Münkler), die Erziehungsideologie eines Eduard Spranger (Beitrag von Rüdiger Steinlein). Nach 1945 erscheinen jene antidemokratischen, reaktionären und antiliberalen Strömungen der Weimarer Zeit diskreditiert, da sie zum NS-Staat beigetragen haben (oder im Verdacht stehen). Theoriebestände etwa von Carl Schmitt und anderen wirken nun mindestens randständig. Oder eskapistisch, wie Ernst Jünger 1962 schrieb (zitiert von Steffen Martus): „Ich habs übrigens nicht nötig, den herrschenden Mächten nachzulaufen. Daß ich den höchsten Orden der Bundesrepublik annahm, war ein Freundschaftsakt zwischen Heuß [dem Bundespräsidenten; d. Verf.] und mir. Schon dessen Gattin war eine meiner passionierten Leserinnen.“

Der amerikanische Konservatismus folgt hingegen ursprünglich einer politisch-liberalen Haltung. Er entwickelt einen Hang zur Idee der Freiheit, zum Antikommunismus, zum starken Staat nach außen, zu einer gnadenlosen Kritik des Sozialstaates. Auch die Stärkung von Religion und Familie gehört zu seinem Denkkosmos. Gesellschaftspolitische Wirkung entfaltet die Allianz von Marktradikalismus und Neokonservatismus etwa bei der Privatisierung des Bildungswesens. Davydd J. Greenwood spricht von einem „totalitarian cult“ in diesem Bereich.

So unterschiedlich beide Konzeptionen sind: Nach 1945 kommt der deutsche Konservatismus in Kontakt mit der individualistischen Gesellschaft und (Massen-)Kultur der Besatzungsmacht USA. Es findet eine Annäherung statt – und das ist die Quintessenz des Buches. Ein Beispiel: die Amerika-Auffassungen von deutschen konservativen Journalisten, die Erhard Schütz in den Fokus nimmt. Amerikas Konsumkultur wird nun weniger als Bedrohung wahrgenommen, sondern als Vorläufer „unausweichlicher“ Entwicklungen in Europa. Weiter geht Stephen Brockmann in seiner Einschätzung: „Der deutsche Konservatismus wurde gewissermaßen amerikanisiert“, folgert er aus dem Einfluss von James Burnham und seinem Buch „Das Regime der Manager“.

Umgekehrt ist der amerikanische demokratische Verfassungsstaat auch Gegenstand machiavellistischer Umdeutungen geworden, wie Peter Uwe Hohendahl anhand der Rezeption des Deutsch-Amerikaners Leo Strauss in den USA verdeutlicht. Die Diskussion dreht sich um die Handlungsspielräume des Präsidenten in so genannten „Ausnahmezuständen“. An dieser Stelle lassen sich aktuelle Bezüge zur Außenpolitik der USA ziehen – Stichworte: Irak-Krieg und Kampf gegen den Terrorismus. In der politischen Semantik von Staaten, die Krieg führen, sind Anklänge an Carl Schmitt und seine Freund-Feind-Theorie von 1932 wohl nicht zufällig.

Was bleibt nach der Lektüre der 15 Aufsätze und der von den beiden Herausgebern verfassten Einleitung? Das Gefühl, einer intellektuell sicher anspruchsvollen, jedoch anstrengenden Debatte beizuwohnen. Das liegt an den Inhalten des besprochenen Gedankenguts, an der Darstellung und Themenauswahl. Der Beitrag über Eric Voegelin (Richard Faber) beispielsweise ist kaum zu verstehen. Die beiden eher literaturwissenschaftlichen Artikel zu Gottfried Benn (Thomas Wegmann, Helmuth Kiesel) liegen quer zum Thema. Und Peter Gilgens „Erotik und Hermeneutik: Allan Blooms Bildungsphilosophie“ ist nur etwas für eine Handvoll Spezialisten. So bleiben Wünsche offen: eine Analyse der (partei-)politischen Organisationsformen des Konservatismus; eine Betrachtung der sozialen Milieus, in die extreme Konservative nach 1945 abgewandert sind, inklusive der „Neuen Rechten“; Untersuchungen über die konservative Gestaltung von bestimmten Politikfeldern (Wirtschafts-, Familien-, Innen-, Sozialpolitik) und so weiter. Das hätte dem Buch gut getan.

Titelbild

Erhard Schütz / Peter Uwe Hohendahl (Hg.): Perspektiven konservativen Denkens. Deutschland und die Vereinigten Staaten nach 1945.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2012.
359 Seiten, 74,00 EUR.
ISBN-13: 9783034311397

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