Eine exemplarische Karriere

Christa Hempel-Küter untersucht Hans Pyritz und die Welt der Germanistik

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als 1958 der Germanist Hans Pyritz im Alter von nur knapp 53 Jahren starb, schien eine fast makellose Laufbahn hinter ihm zu liegen. Promoviert 1930, habilitiert 1940, konnte er bereits 1942 das literaturwissenschaftliche Berliner Ordinariat seines verstorbenen Lehrers Julius Petersen übernehmen. Nach dem Krieg wechselte er in die britische Besatzungszone, nach Hamburg, auf die Professur des in den letzten Kriegstagen verschollenen Hans Teske, der verschwunden blieb. So konnte er als anerkannter Goethe-Spezialist und als Wissenschaftsorganisator mit vielfältigen Verbindungen bis zu seinem Tod weiter lehren und forschen.

Der riskante Wechsel auf eine zunächst doch nicht ganz gesicherte Stelle deutet allerdings darauf hin, weshalb die Karriere eben nur fast makellos ist. Als SA-Mitglied zwischen 1933 und 1937, als NSDAP-Mitglied ab 1942 hätte Pyritz nur geringe Chancen gehabt, in der sowjetischen Zone seine Professur zu behalten. Früher als vielen anderen politisch belasteten Kollegen gelang es ihm allerdings, sich eine neue Stelle zu sichern. Deshalb, und weil politisch eindeutige Publikationen aus der Zeit vor 1945 weitgehend fehlen, erscheint Pyritz' Laufbahn relativ glatt.

Christa Hempel-Küter unternimmt es in ihrer Studie, Bedingungen und Verlauf dieses Wissenschaftlerlebens zu rekonstruieren. Zu diesem Zweck begnügt sie sich nicht damit, Pyritz' Veröffentlichungen zu untersuchen. Sie wertet sehr unterschiedliche Materialien aus und befasst sich außer mit Pyritz' Briefwechseln auch mit Quellen, die von der Fachgeschichte bisher nur selten beachtet wurden: mit Vorlesungstyposkripten und mit Gutachten, die vieles über die Wissenschaftsvorstellung ihres Verfassers, der sich methodisch sonst kaum je äußerte, verraten.

Insgesamt entsteht das Bild eines Germanisten, der schon während seines Studiums in den zwanziger Jahren deutlich national geprägt war und deshalb 1933 keine Schwierigkeiten hatte, sich anzupassen. Zwar bedeutete der Beginn der faschistischen Herrschaft für ihn zunächst keinen Karriereschub, doch die schnelle Berufung auf ein angesehenes Ordinariat war auch Belohnung für politische Bekenntnisse, die Pyritz sehr genau zu dosieren wusste. Wenn er auch nicht der Regimegegner war, als den er sich nach 1945 hinstellte, so verzichtete er weitgehend auf allzu plakative Propaganda. In seinen Vorlesungen kritisierte er durchaus NS-nahe Germanisten wie Walther Linden oder Josef Nadler. Auf oberflächlich betrachtet seriöse Weise wandte er sich literaturgeschichtlichen Fragestellungen zu, die einer umstandslos nationalen Sicht auf die deutsche Literatur im Wege standen; als Goethe-Forscher versuchte Pyritz, das Weltbürgerliche Goethes zu relativieren und seinen Autor als nationalen Denker zu zeigen.

Methodisch führte Pyritz das behutsam geistesgeschichtliche Konzept Julius Petersens weiter und ließ sich von der werkimmanenten Interpretation, der wesentlichen germanistischen Innovation der späten NS-Zeit, nicht beeinflussen. Seine Arbeiten nach 1945 zeigen keine wesentlichen Änderungen; die dreisemestrige Goethe-Vorlesung von 1942 bis 1944 konnte Pyritz mit wenigen Änderungen erneut halten, obwohl Vokabular und Aufbau vielfach organizistisch-biologistisch geprägt waren.

Hempel-Küter zeichnet diese Karriere anschaulich, sprachlich klar und durch vielfältige Belege abgesichert nach. Aber sie verspricht mehr: Schließlich kündigt sie im Haupttitel ihres Buches an, über "Germanistik zwischen 1925 und 1955" zu schreiben, und erst im Untertitel präzisiert sie, dass es um "Studien zur Welt der Wissenschaft am Beispiel von Hans Pyritz" gehe. Dennoch ist das hier nicht die enervierende Unsitte, erst im Untertitel das Thema einer wissenschaftlichen Arbeit zu verraten, und auch keine Hochstapelei. Hempel-Küter folgt im Gegenteil ihrem methodischen Postulat, dass eine Beschränkung aufs Einzelphänomen auch dieses nicht erklären könne. So vollzieht sich in ihrer Darstellung Pyritz' Karriere nicht in bezugsloser Isolation, die allenfalls von ein paar historischen Fundamentaldaten durchbrochen wird.

Ausführlicher als in vergleichbaren Studien ist eine Vielzahl von Rahmenbedingungen ins Auge gefasst: die Geschichte der Institute, die in Pyritz' Laufbahn eine Rolle spielten; die Arbeitsbedingungen der Kriegs- und Nachkriegszeit; die jeweiligen gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Zyklen des akademischen Arbeitsmarkts; und nicht zuletzt die persönlichen Konstellationen, die Sympathien und Antipathien zwischen Wissenschaftlern, die Pyritz, wie an einigen Beispielen gezeigt wird, virtuos zu nutzen verstand. Die Forschungstätigkeit Pyritz' stellt Hempel-Küter anhand seines "Lebensthemas", seiner Goethe-Arbeiten dar. Auch hier konfrontiert sie Pyritz' Positionen fast durchgehend mit denen seiner Fachkollegen und mit den politischen Implikationen der damaligen Kontroversen.

Wenn von der "Welt der Wissenschaft" die Rede ist, vernachlässigt Hempel-Küter diejenigen nicht, die aus politischen Gründen in ihr keinen gesicherten Platz finden konnten. Am Beispiel des ins Exil gezwungenen Walter A. Berendsohn zeigt sie, dass die Gegner des Faschismus an westdeutschen Universitäten viel weniger willkommen waren als diejenigen, die nach 1945 zunächst amtsenthoben wurden oder die eine Professur an Universitäten in den verlorenen Ostgebieten gehabt hatten.

So entsteht insgesamt ein aspektreiches, wenn auch natürlich kein erschöpfendes Bild von drei Jahrzehnten germanistischer Fachgeschichte. Die Darstellung umfasst auch Bereiche, in denen die Quellenlage außerordentlich schwierig ist, wie die Studienwirklichkeit. Demgegenüber fallen zwei Kritikpunkte kaum ins Gewicht. Der erste betrifft die biographischen Abrisse der im Buch erwähnten Hochschulgermanisten. So nützlich es ist, während der Lektüre durch kurzes Blättern wichtige Daten nachschlagen zu können: Insgesamt sind manche Lebensläufe im Detail unzuverlässig, und wer sich mit einem der Genannten beschäftigen möchte, tut gut daran, auf andere Nachschlagewerke auszuweichen.

Der zweite Einwand betrifft Hempel-Küters Bezug auf die bisherige Forschung, von der sie sich weniger deutlich absetzt, als sie es an einigen Punkten nahelegt. In ihrer Einleitung kündigt sie an, sich von der Orientierung an politischen Wendepunkten zu lösen und einen neuen Ansatz "jenseits der traditionellen politischen Periodisierungen zu finden". Ihre Ergebnisse jedoch weisen in eine andere Richtung. Gerade was die Aspekte angeht, die sie besonders ins Blickfeld rückt, bedeuten die Ereignisse von 1933 und besonders 1945 Einschnitte - wahrscheinlich mehr als für den Großteil der Forschungsaktivitäten und für die ideologischen Präferenzen der Wissenschaftler, auf die sich die Fachgeschichtsforschung bis vor einigen Jahren konzentrierte und wohl immer noch konzentriert. Wahrscheinlich bedeutet das Jahr 1945 für die "Welt der Wissenschaft" zwar keine Stunde Null, aber eine so tiefgreifende Veränderung der politischen und organisatorischen Rahmenbedingungen, dass es auch eine wissenschaftsgeschichtliche Grenze bildet.

Doch beeinträchtigen diese beiden Punkte den Wert des Buches, das einen wertvollen Beitrag zur Fachgeschichtsschreibung darstellt, kaum. Zu hoffen ist, dass es zu ähnlichen Untersuchungen anregt, die das Bild der Germanistik jener Zeit komplettieren.

Titelbild

Christa Hempel-Küter: Germanistik zwischen 1925 und 1955.
Oldenbourg Verlag, München 2000.
350 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3050034726

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