Der lange Weg zur Tradition

Alfred Bodenheimer versucht in „Ungebrochen gebrochen“, dem Leser den Werdegang jüdischer Narrative und Tradition nahezubringen

Von Constanze FiebachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Constanze Fiebach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bodenheimer widmet sich in seinem Buch „Ungebrochen gebrochen. Über jüdische Narrative und Traditionsbildung“ einer wesentlichen Thematik, die sich auch auf der Frage nach dem „Jüdisch-Sein“ nach der Shoah begründet und, wie im Text eindrücklich an Beispielen aus jüngster Zeit verdeutlicht, nichts von ihrer Aktualität verloren hat.

Der Einstieg ins Thema gelingt dem Autoren unter Zuhilfenahme eines konkreten Beispiels – einer Rede des britischen Chief Rabbi Jonathan Sacks. Auch die Definition und Erläuterung des neuen Traditions- und eines interessanten Exilbegriffs, die Bodenheimer zu Grunde gelegt haben möchte, ist  überaus nachvollziehbar.

Die Weiterführung des Themas gestaltet sich allerdings schwieriger. Einige bis heute gültige jüdische Riten werden mit Rückgriff auf ihren alttestamentarischen Ursprung hin erklärt –– so richtig Licht ins Dunkel bringt das allerdings nicht. Abzulesen an der selbstverständlichen und meist unkommentierten Verwendung von Begriffen jüdischer Tradition, setzt der Text mehr als ein Grundwissen über das Judentum voraus. Denn obwohl die herangezogenen und – das soll positiv hervorgehoben werden – sehr gewissenhaft ausgedeuteten Texte jüdischen Kontextes eine breit gefächerte Deutung und Analyse erfahren, ist einem Leser mit fehlendem, beziehungsweise. unzureichendem Hintergrundwissen der Zusammenhang zum dargestellten Umstand nicht immer eindeutig. Ein Glossar zur Erklärung dieser Begriffe hätte dem zumindest in Teilen entgegenwirken können.

Auch über die verwendeten Fachtermini hinaus ist der Text teilweise fremdwortlastig, was weder zu dessen Wissenschaftlichkeit – diese ist anders begründet – noch zu dessen Lesbarkeit beiträgt. Diese wird zusätzlich durch viele Satzeinschübe erschwert.

Bodenheimer beweist jedoch einen weiten Blick, bezieht er neben Walter Benjamin, Sigmund Freud und verschiedenen Stimmen der Judaistik auch die Aristotelische Poetik und im Hinblick auf die Hiob-Figur wegweisende deutsche Literaten, unter ihnen Goethe, Lessing und Heine, mit ein. Die Herleitung und Analyse der Hiob-Figur im Kapitel „Endstation Hiob? Die Erfindung der jüdischen Tragödie“ wird dadurch nachvollziehbar und bereichernd.

Insgesamt ist „Ungebrochen gebrochen. Über jüdische Narrative und Traditionsbildung“ als Grundlagenwerk für Leser ohne oder mit nur geringen Vorkenntnissen zum Judentum nur bedingt geeignet. Leser, die bereits ihren Weg in die Materie gefunden haben, dürften allerdings den ein oder anderen bereichernden Aspekt und eine weit gefächerte Perspektive auf das Thema für sich nutzbar machen können.

Titelbild

Alfred Bodenheimer: Ungebrochen gebrochen. Über jüdische Narrative und Traditionsbildung.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
122 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783835310193

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