Überflüssiges zu Jung und Jünger

Ein Tagungsband der Existential-psychologischen Bildungs- und Begegnungsstätte Todtmoos-Rütte

Von Geret LuhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Geret Luhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gehören Carl Gustav Jung und Ernst Jünger zu den "richtungweisenden geistigen Gestalten" des vergangenen Jahrhunderts, wie die Herausgeber des Bandes "Jung und Jünger" in ihrem Vorwort konstatieren? Nun gut, das mag angehen. Kaum zweifeln wird man hingegen daran, dass sie in das "Geschehen ihrer Zeit" fest verstrickt waren. Die historischen "Verstrickungen" Jungs und Jüngers versehen die Herausgeber jedoch sogleich mit einem entscheidenden "aber". Zwar nahmen die beiden geistig teil am katastrophischen Geschichtsverlauf des 20. Jahrhunderts (das will das Wort "verstrickt" offenbar ausdrücken), aber eben nur in der Art "seismographischer Existenzen", die die Widersprüchlichkeiten, Chancen und Risiken der Moderne zum Ausdruck brachten. Die gedankliche Figur, nach der einem Autor alles nachgesehen wird, weil er alles mitgemacht hat, ist typisch zumindest für die Jünger-Rezeption: denn einen Seismographen kann man schlecht attackieren, ja er lässt sich sogar zum vermeintlich objektiven Propheten einer nach wie vor als notwendig erachteten konservativen Revolution verklären.

Das würden die Herausgeber so freilich nicht unterschreiben. Und doch scheinen sie Jung und Jünger vor allem deshalb zu schätzen, weil beide "den Nihilismus unserer Zeit wie auch die planetarische Herrschaft der Technik und die Verzifferung der Welt zu transzendieren versuchten." Soweit es sich hier tatsächlich um so etwas wie "Gegenaufklärung" handelt, kann man die Beiträger des Bandes jedoch nicht jener neuen deutschen Rechten zuzählen, die mit Hilfe des Jüngerschen Werks und seiner besonderen Ikonographie ihre politischen Ziele zu verfolgen sucht. So beruhen die Arbeiten des Bandes, die aus einem Kongress der "Existential-psychologischen Bildungs- und Begegnungsstätte Todtmoss-Rütte" hervorgegangen sind, denn auch vornehmlich auf einem ausgeprägten naturphilosophischen Interesse. Dies gilt zumindest für jene Beiträge, die nicht vollständig von einem esoterischen Denken geprägt sind. Dass Esoterik in allen Aufsätzen eine gewisse Rolle spielt, zeigen schon deren Themenstellungen: Jüngers Träume mit Jung gelesen, Gestaltwandel der Götter bei Jung und Jünger, Träume bei Jünger und Jung, Licht und Schatten bei Jung und Jünger, das Gebet bei Jünger und Jung und schließlich die Gnosis bei Jünger.

Zwingend erscheint die Co-Lektüre von Jung und Jünger, auch wenn sich ihre Themenkreise gelegentlich berühren, freilich nie. Das wird in dem Band auch offen zugegeben. So schreibt der Nobelpreisträger für Physik, K. Alex Müller, dass er die Veranstaltung angeregt habe, weil Jung und Jünger kaum voneinander Notiz genommen hätten, während sie doch sein eigenes Denken gemeinsam beeinflusst hätten. Und dann heißt es erläuternd: "Als Leutnant der Festungsartillerie wies mich Gerhard Brumm, ein Studienkollege, etwa 1949 (sic!) auf Ernst Jüngers Buch 'In Stahlgewittern' hin, welches wohl als das oder eines der bedeutendsten Bücher von ihm angesehen wird. Die russischen Linien waren ein paar hundert Kilometer von der starken Alpenfestung entfernt, in welcher ich, kaum über zwanzig Jahre alt, Dienst tat. Jüngers Buch war für mich bezüglich der inneren Haltung eines jungen Offiziers von großer Hilfe." Und so geht es weiter bis zu Jung und dem Buch

Einfluss seiner Tiefenpsychologie und Archetypologie auf die Gewinnung physikalischer Kenntnisse und wieder zurück zu Leseerfahrungen mit Jüngers Tagebüchern und so weiter und so fort. Dieser methodische Ansatz - was fällt mir zu den beiden ein, wenn ich an mich denke - verfolgen zwar nicht alle Beiträger, wirkliche Stringenz der Argumentation haben jedoch auch die anderen kaum zu bieten.

Dass es sich dementsprechend um ein überflüssiges Buch handelt, hätte auch einem Lektor auffallen können. Dem wissenschaftlichen Ruf des Verlages Könighausen und Neumann kann das auf jeden Fall nicht gut tun.

Titelbild

Thomas Arzt (Hg.): Jung und Jünger. Gemeinsamkeiten und Gegensätzliches in den Werken von Carl Gustav Jung und Ernst Jünger.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1999.
284 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3826016335

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