Lachen ist tödlich – auch für Geschlechterklischees

Anne Stähr überzeugt mit einer Untersuchung der ironischen Geschlechter-Inszenierung in Heinrich Heines „Lutezia“.

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Was schert mich Weib, was schert mich Kind! / Ich trag weit beßres Verlangen; / Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind – /  Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!“, dichtete Heine in jungen Jahren. Auch wenn es sich in diesem Falle nur um einem französischen Grenadier in den Mund gelegte Worte handelt, wurde der ironische Lyriker für solche und ähnliche Sentenzen der Frauenfeindlichkeit oder doch der Frauenverachtung beschuldigt. Tatsächlich ziehen sich diverse misogyne Ausfälle durch sein gesamtes Schaffen und reichen von den Klagegedichten über das „Junge Leiden“ des noch fast knabenhaften Jünglings im „Buch der Lieder“ bis zu den „Lamentationen“ des alten Mannes in den „Nachgelassenen Gedichten“, in denen Heines lyrisches Ich sich rühmt, die angesprochene Frau nicht „tod geschlagen“ zu haben, wie „andre Leut“ es angesichts ihr „Nücken“ und „Tücken“ wohl „längst“ getan haben würden. Nun gibt es allerdings auch Passagen in Heines Werken, die den Meister nicht nur lyrischer Ironie durchaus als Freund der Frauen erscheinen lassen können. Seine VerteidigerInnen gegen den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit brachten insbesondere seinen Bericht über das Verfahren gegen die mutmaßliche Pariser Gattenmörderin Marie-Fortunée Lafarge in Anschlag.

Dies konstatiert auch Anne Stähr in ihrer jüngst erschienen Untersuchung der ironischen Inszenierung der Geschlechter in Heinrich Heines ,Lutezia‘; ein Werk, dessen Untertitel es ursprünglich als „Berichte über Politik, Kunst und Volksleben“ auswies. Monsieur Lafarge war Stähr zufolge nicht allzu lange nach der Hochzeit „durch den Genuss eines mit Arsen versetzten Kuchens ums Leben gekommen“. Damit übernimmt sie die auf einem fragwürdigen medizinischen Gutachten eines Mediziners beruhende Version des Gerichts. Dass dieses Gutachten auch damals schon heftig angezweifelt wurde, verschweigt sie allerdings keineswegs. In der nur kurzen Dauer ihrer Ehe hatte Madame Lafarge ihren Mann vergeblich um die Einwilligung in die Scheidung gebeten, „da sie sich von ihm sexuell genötigt und missbraucht fühlte“. Mit dieser Formulierung verlegt die Autorin den infrage stehenden Tatbestand aus der intersubjektiven Handlungswelt in die bloß subjektive Gefühlswelt der Frau und spricht den Mann damit tendenziell von jeder tätigen Schuld frei. Sollte die Frau vielleicht gar nicht missbraucht und sexuell genötigt worden sein, sondern sich ‚nur‘ so gefühlt haben? In eine objektivierende Formulierung fasst Stähr hingegen, dass die „physische und psychische Gewalt durch den Ehemann zu ihrem Ausbruchsversuch führte.“ Die Gewalt des Ehemanns wird somit implizit als objektive Tatsache vorgestellt, deren sexueller Gehalt jedoch durch die zuvor zitierte Passage in die subjektive Empfindung der Frau verlegt bleibt, wobei dahingestellt sein mag, ob dies in der Intention der Autorin lag.

Nun betont Stähr allerdings, dass es ihr nicht darum geht, „die Abbildung ‚konkreter Realität‘ im literarischen Prozess zu untersuchen“, so dass man mit Fug und Recht annehmen darf, dass sie noch weniger den Anspruch darauf erhebt, die damaligen Geschehnisse – die ‚konkrete Realität‘ des Prozesses und oder gar des prozessualen Gegenstandes abzubilden. Vielmehr zielt das Erkenntnisinteresse ihrer Arbeit – und so auch der Abschnitt über den mutmaßlichen Gattenmord – auf die Beantwortung der Fragen, „auf welche Weise die Kategorie ‚Geschlecht‘ im Text hergestellt wird, welche Modifizierungen sie durchläuft und wie sie sich konstituiert“, ohne Heines Text „moralisch oder mit der Perspektive ihres emanzipatorisch-aufklärerischen Gehalts zu werten“. Hier verspreche gerade die Analyse der Komposition des Artikels 20 der ‚Lutezia‘“, in dem Heine sich dem Prozess gegen Marie-Fortunée Lafarge widmet, einen „hohen Erkenntnisgehalt“.

In ihrer insgesamt klugen Analyse des Artikels weist Stähr auch darauf hin, dass Heine sein „Plädoyer“ für die Angeklagte im ursprünglichen, handschriftlich überlieferten Entwurf „noch viel deutlicher expliziert“, als es in der publizierten Fassung der Fall ist. Beide Versionen unterscheiden sich vor allem dadurch, dass Heine in der Handschrift erklärt, er selbst halte die Angeklagte für unschuldig und „auf Ehr und gewissen“ versichert, „ich würde sie freygesprochen haben“, auch wenn sie schuldig wäre. Denn „selbst in diesem schlimmsten Falle sah ich in dem Mord des Lafarge nur einen Akt der Verzweiflung, die entsetzliche Nothwehr einer unglücklichen Frau“. Für die Veröffentlichung in der „Allgemeinen Augsburger Zeitung“ hat Heine „das Sprechen der ersten Person getilgt“ und „durch eine implizite, aber dennoch offensichtliche Stellungnahme für einen Freispruch der Angeklagten ersetzt“, die „(wie so oft in der ‚Lutezia‘) anderen in den Mund gelegt wird“, konstatiert die Autorin zutreffend und vermutet als Grund hierfür, Heine habe „seine Ansicht innerhalb eines Gemeinschaftswissens verortet, um die eigene Positionierung zu stärken.“ Heine selbst begründet sein Vorgehen in der Vorrede zur französischen Ausgabe der „Lutezia“ allerdings anders. Dort erklärt er: „Die Traditionen der Allgemeinen Augsburger Zeitung kennend, wusste ich z.B., daß sie es sich immer zur Aufgabe gestellt hatte, alle Fakta der Zeit nicht bloß zur schnellsten Kenntnis des Publikums zu bringen, sondern sie auch vollständig gleichsam wie in einem Weltarchiv einzuregistrieren. Ich musste daher darauf bedacht sein, alles was ich insinuieren wollte, das Ereignis sowohl als meine Ansicht darüber, alles was ich dachte und fühle, in die Form des Faktums zu kleiden, indem ich etwa fremden Personen meine Privatmeinungen in den Mund legte.“

Heines Bericht über den Prozess gegen Madam Lafarge ist nur einer von mehreren Schwerpunkten, die Stährs Untersuchung setzt. Zu den weiteren zählen etwa die „Vergeschlechtlichung des Jüdischen“ beziehungsweise der „effeminierte Jude“, „sexualisierte Bilder der ‚Orientalin‘“ oder „die Prostituierte“. Weitere prominent vertretene Themen sind der Flaneur, „krisenhafte Männlichkeit“ und ‚die Frau‘ als „das kranke Geschlecht“. Dabei liest die Autorin die „Lutezia“ nicht etwa als mehr oder weniger disparates und zufälliges Konglomerat diverser Berichte aus der französischen Hauptstadt, sondern als „ein in sich durchgehend konzeptionalisiertes und einheitlich organisiertes Produkt Heines.“ Das als homogen verstandene Werk unterzieht sie dementsprechend einer „Gesamtanalyse“. Zudem positioniert sie das Werk „innerhalb zeitgenössischer Geschlechterdiskurse“, wobei sie auch auf dessen weiblich konnotierten Titel „Lutezia“ eingeht, den sie als Anspielung auf  Friedrich Schlegels „Lucinde“ liest.

Insgesamt legt die Autorin nicht nur überzeugend dar, dass die Ironie in Heines „Lutezia“ wiederholt „auf den Konstruktionsaspekt der Kategorie Geschlecht aufmerksam macht“, sondern zeigt auch, wie genderisierte und sexualisierte „Denkbilder“ des „kollektiven Bewusstseins“ in Heines Berichten ironisch erschüttert werden. Lachen, so das Fazit der Autorin, scheine Heines Erzähler „die einzig angemessene Reaktion“ auf die zeitgenössischen „aggressiven Klischees des ‚Männlichen‘ und des ‚Weiblichen‘“. Denn das vermeintliche Wissen über „die Beschaffenheit“ der Geschlechter sei für ihn – und nach der Lektüre, so darf man annehmen, auch für etliche der Lesenden – ein „Witz, der nichts anderes verdient, als dass man über ihn lacht.“

Stährs Untersuchungsgegenstand, Heinrich Heines „Lutezia“, wurde bislang nicht nur von den literaturwissenschaftlichen Gender Studies wenig beachtet, sondern stand auch in der Heine-Forschung nicht eben im Zentrum des Interesses. So füllt die vorliegende Arbeit gleich in doppelter Hinsicht eine Forschungslücke.

Titelbild

Anne Stähr: "...eine Mischung von Sinnlichkeit und Witz...". Ironische Inszenierung der Geschlechter in Heinrich Heines "Lutezia".
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2012.
236 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783895289224

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