Auch Nichtstun muss gelernt sein

Der Philosoph Manfred Koch hat eine kleine Kulturgeschichte der Faulheit geschrieben

Von Susanne HeimburgerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Heimburger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist das Gegenteil von Arbeit? Wenn man recht darüber nachdenkt, gibt es dafür viele Begriffe: Faulheit, Freizeit, Muße, Müßiggang, Bummelei, Nichtstun oder Neudeutsch „Relaxen“ oder „Chillen“ sind sicherlich nur ein paar davon. Natürlich hat jedes dieser Wörter seine eigene Konnotation und sind mit ihnen bestimmte Wertungen verbunden. Und diese Wertungen haben sich im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder verändert. Wie diese Wertungen zustande kamen, sich im jeweiligen kulturgeschichtlichen Kontext ausbilden konnten und sich in Literatur und philosophischen Texten widerspiegeln, das beschreibt Manfred Koch in seinem Essay zur Faulheit.

Dabei holt er weit aus, fängt buchstäblich bei Adam und Eva an und schlendert mit dem Leser durch mehrere Jahrhunderte des Tuns und Nichttuns: Arbeit, das ist in der allgemeinen Vorstellung die Vertreibung aus dem Paradies, eine Folge des Sündenfalls. Bei Nietzsche stehen die Tiere für ein sorgloses Leben, befreit von der Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt mühsam verdienen zu müssen. Ähnliches gilt für das Kind. Die Idyllendichtung kennt den Broterwerb nicht als schweißtreibendes Geschäft, in ihr springen kreative Hirten dichtend und musizierend durchs Feld. Weiter geht es mit den diversen Varianten der Schlaraffenlandgeschichten und mit Paul Lafargue, einem Schwiegersohn von Karl Marx, der in seiner gleichnamigen Streitschrift provokant für „Das Recht auf Faulheit“ plädiert.

Entspannt wandert Koch weiter durch den Humanismus des 15. und 16. Jahrhunderts, nimmt nebenbei Martin Luthers Arbeitslehre und natürlich Max Webers protestantische Arbeitsethik, aber auch die Rolle des Katholizismus durch, das Jahrhundert der französischen Moralisten und Jacques Rousseaus Zivilisationskritik. Und so geht es immer weiter. Von allem ist ein bisschen was dabei. Als Paradebeispiel der deutschen Literaturgeschichte der Faulheit wählt Koch dann Thomas Manns „Zauberberg“, dessen Protagonisten nicht lediglich faul sind, sondern geradezu physisch verfaulen.

Kochs Essay ist damit keineswegs einer jener Ratgeber, wie sie seit einiger Zeit die Buchhandlungen überfluten, also keine Anweisung zum (Wieder-)Erlernen des Nichtstuns in unserer so furchtbar gehetzten Gesellschaft. Obwohl – am Ende sinniert Koch doch noch ein wenig über die Möglichkeiten des Faulseins: Eine schwierige Disziplin, das ist die Faulheit heute vielleicht, denn wer nicht permanente Geschäftigkeit zumindest heuchelt, wird schief beäugt. Und doch ist das Rezept zu guter, befriedigender Faulheit im Grunde recht einfach: Auf die Mischung kommt es an. Faulenzen ohne vorherige Arbeit ist genauso unbefriedigend wie Arbeiten ohne Pausen ermüdend ist. Und wer jeden Abend mit der Bierflasche vor dem Fernsehen sitzt, wird geistig sicherlich bald verfaulen.

Natürlich hätte man vieles noch weiter ausführen können. Wenn schon Kant, Rousseau, Goethe & Co. bemüht werden, hätte sich sicher auch Schiller mit seiner Theorie von Kunst als Spiel (und damit als Gegenpol zur entfremdeten Arbeit) seinen Platz in diesem illustren Kreis verdient gehabt. Oder vielleicht sogar einer der aktuell prominenten Managementberater wie Reinhard Sprenger, bei denen es keine entfremdete Arbeit geben kann, wenn man nur die richtige Einstellung dazu hat – dann ist alles Spiel und keine Plackerei mehr, also keine Arbeit. Oder auch alle Freizeit wird Arbeit, je nachdem, wie man es wendet. Faulheit hat aber hier so oder so keinen Platz.

Doch Koch hat ja auch keinen umfangreichen Wälzer zur gesamten Kulturgeschichte des Faulenzens geschrieben, sondern einen schlanken und damit umso unterhaltsameren und kurzweiligen Essay, der eben nicht „durchgearbeitet“ werden muss, sondern durchaus als geistreiche Freizeitlektüre konsumiert werden kann. Sozusagen ein historischer „Rundumschlag“, der bewusst Lücken lässt, bisweilen den ein oder anderen Text gegen den Strich liest und sich gerade dadurch entspannt und eloquent dem Thema widmen kann. – Vielleicht die richtige Lektüre auch und gerade für Faule.

Titelbild

Manfred Koch: Faulheit. Eine schwierige Disziplin.
zu Klampen Verlag, Springe, Deister 2012.
158 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783866741690

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