Was ein Poet kann

Der Barockdichter Paul Fleming wurde 400 Jahre alt

Von Andreas SolbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Solbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paul Fleming zählt neben Martin Opitz, Andreas Gryphius und Christian Hofmann von Hofmannswaldau zu den wenigen noch bekannten Barocklyrikern. Die große Anzahl bedeutender und charakteristischer Autoren des 17. Jahrhunderts, die nur noch dem Forscher oder Liebhaber bekannt sind, müssen mit wenigen Ausnahmen wohl für das Lesepublikum als verschollen gelten. Sie sind nur noch in den wenigen Anthologien der Barocklyrik aufzufinden.

Fleming hat dagegen schon immer das Interesse der Germanistik, aber auch des breiten Publikums gefunden, weil er an der großen Handelsmission und Forschungsreise von Adam Olearius nach Persien teilgenommen hat, die ihn sechs Jahre seines Lebens gekostet hat, und er früh stirbt.

Flemings Leben ist auffallend häufig Gegenstand von Romanen und Erzählungen geworden, was sicherlich teilweise an der Persienreise liegt, teilweise aber auch an dem tragischen Ende seines kurzen Lebens. Nach seiner Rückkehr aus Persien verlobt er sich, geht an die niederländische Universität Leiden, um dort den medizinischen Doktorgrad zu erwerben, den er zur Niederlassung in Reval benötigt und stirbt auf der Rückreise in Hamburg mit 30 Jahren. Noch kurz vor seinem Tod schreibt er sich seine eigene Grabschrift, die in ihrer Mischung aus trotzigem Aufbegehren, überzeugter Selbstschätzung und stoischer Todesreflektion in der Literatur ihresgleichen sucht.

Dieser oft und kontrovers interpretierte Text ist dann auch der Gegenstand des ersten Beitrages in einem Sammelband, der die Beiträge einer Tagung in Erlangen zu seinem 400. Geburtstag sammelt. Die Bochumer Germanistin Nicola Kaminski eröffnet mit ihrer scharfsinnigen Analyse dieses Flagschiff-Gedichtes den Reigen der 23 Beiträge, die locker thematisch geordnet sind. Die größte Gruppe machen diejenigen Arbeiten aus, die sich mit seiner Reiselyrik befassen (5), dicht gefolgt von Überlegungen zu religiösen Themen (4). Drei Beiträge zielen auf den Autor im politischen Kontext, und zwei widmen sich seiner ärztlichen Existenz. Jeweils ein Aufsatz befasst sich mit musikalischen Fragen, mit der Rezeption im Roman und mit der Freundschaftsdichtung. Die übrigen fünf Beiträge die den Band eröffnen, sind werkübergreifenden Fragen gewidmet.

Auf den Beitrag von Nicola Kaminski folgt Thomas Althaus über Flemings Wiederholungen, Tino Licht befasst sich mit Flemings lateinischer Dichtung und Thomas Borgstedt mit der petrarkistischen Tradition. Althaus zeigt am Beispiel verschiedener rhetorischer Wiederholungsfiguren Grundlinien einer lyrischen Ästhetik auf, während Licht Flemings manieristischen lateinischen Dichtungsstil kenntnisreich und detailliert erläutert – und nebenbei eine wunderbare Übersetzung eines der vertracktesten lateinischen Gedichte Flemings liefert. Der Beitrag Borgstedts zielt auf den traditionellen Kernbereich der Fleming-Rezeption seit Erscheinen der Teutschen Poemata 1646: die Liebeslyrik und die Sonettistik insgesamt. Seit Pyritz’ Arbeit zum Petrarkismus bei Fleming von 1932 diskutiert die Forschung den möglichen Anteil persönlicher Erlebnisse am Werk des Autors, und trotz einhelliger Überzeugung, dass es sich bei den Texten um rhetorische Konstruktionen handelt, bleibt die Frage nach dem individuellen Anteil weiter virulent. Borgstedts Antwort bezieht sich auf das bislang unbeobachtete Widerspiel von epigrammatisch-arguter Form und mittlerer Stilhaltung, das ein einzigartiges Signum des Autors darstelle, womit er einen viel versprechenden Ansatz für die anschließende Forschung bietet.

Die Sektion der religiösen Themen eröffnet Dietmar Schubert mit einem nützlichen und gut strukturierten Überblick, dem mit den äußerst kenntnisreichen Beiträgen von Franz Fromholzer/ Jörg Wesche zu Flemings Psalmenübersetzung und der Auslegung eines weiteren Textes durch den Theologen Johann Anselm Steiger. Beate Hintzen analysiert die überwiegend lateinischen Gedichte auf den früh verstorbenen Studienfreund Georg Gloger und beschreibt an ihnen die Überlagerung von Liebes-, Freundschafts- und Glaubensdiskurse. An ihre Erkenntnisse kann schließlich Claudius Sittig anknüpfen, der sich das Verhältnis von Fleming und Gloger vornimmt, das gelegentlich unter den Verdacht der Homosexualität geraten war, und dem es gelingt, in einer an die gegenwärtige Gendertheorie anschließenden subtilen und überzeugenden Analyse die Kategorie des Homosozialen für die Forschung fruchtbar zu machen. Mit diesen beiden Aufsätzen tritt die Gattung der Freundschaftsdichtung wieder als ein bestimmender Teil des Werks von Fleming in den Vordergrund, nachdem bereits frühere Arbeiten von Dürrenfeld und Sturzenegger hier erste Erkenntnisse geschaffen haben. Damit rückt Fleming dann auch in die Nähe Simon Dachs, der in den letzten Jahren ebenfalls unter dem Freundschaftsparadigma erneut Beobachtung gefunden hat.

Der Beitrag von Peter Burghard greift dagegen weit über Fleming hinaus, der nicht allein im Zentrum steht. In der angelsächsischen Welt wird in den letzten Jahren verstärkt eine Renaissance des Barockbegriffs diskutiert, die an die alte Curtiussche Klassik-Manierismus- und noch ältere Attizismus-Asianismus-Debatte anschließt. Es geht dabei um ein ahistorisches, bizarr-dekoratives postmodernes Erscheinungsbild von Literatur. Von dieser Reanimation hat sich Burghard anregen lassen, als er seine Theorie eines, wiederum historisch festgelegten, Barock entwickelte, der sich als Gegenspieler der Renaissance im Sinne der kunsthistorischen Beschreibung von Fritz Strich entpuppt. Vor allem die Opitz-Forschung wird sich hier zur Diskussion herausgefordert fühlen.

Barbara Becker-Cantarino eröffnet den Reigen der Arbeiten, die sich mit politischen und historischen Fragen befassen, denn sie untersucht das Germania-Bild im 17. Jahrhundert und bei Fleming, während Gunther Grimm sich mit der politischen Lyrik des Autors befasst. Dirk Niefanger gelingt es, die disparaten und zum Teil konträren Wertungen, die Fleming innerhalb der Kriegsthematik präsentiert, innerhalb einer Matrix von unterschiedlichen und nicht immer harmonisierbaren Aussageintentionen zu verorten.

Nach außen hin am ausgreifendsten stellt sich die Sektion derjenigen Beiträge dar, die sich mit Flemings großer Orientreise befassen. Von eher beiläufigen Ergebnissen, wie Flemings Dedikationsgedichten (Klöker) und epigrammatischen Überschriften (Bergengruen) sowie ausführlichen Kommentaren zu der lateinischen Dichtung, die während der Reise entstanden ist (Hamm, Viiding), bis hin zu Vermutungen über seine alchemistischen Interessen, die als Motivation für seine Reise namenhaft gemacht werden (Tausch), reicht die Palette. Von den übrigen drei Beiträgen zu Vertonungen von Flemings Gedichten (Kern/ Rastbichler), Fleming als Romangegenstand (Kühlmann) und einem Plädoyer für eine neue Fleming-Ausgabe von Dieter Martin, die sehr überzeugend die Grundlinien und editorischen Grundsätzen einer solchen Ausgabe darlegt, kann hier nicht erschöpfend berichtet werden.

Dieser Acta-Band, der durch den 400. Geburtstag zustande gekommen ist, ist einerseits ein bemerkenswerter Querschnitt durch die gegenwärtige Fleming-Forschung, andererseits aber auch ein Spiegel dessen, was in der literarischen Frühneuzeitforschung auf der Tagesordnung steht. Mit der Skepsis und der Ablehnung gegenüber den großen Erzählungen in Literatur, Philosophie und Geschichte hat sich auch in der Literaturwissenschaft eine allenthalben bemerkbare Distanzhaltung zu den geschlossenen oder doch zumindest einheitlichen Vorstellungen von Autoren ergeben.

Fleming, der Jahrhunderte lang als Petrarkist, Liebeslyriker und Sonettist bekannt war, wird, wie viele andere Autoren des 17. Jahrhunderts, mittlerweile eher von den Rändern her analysiert. Nur noch ein Beitrag in diesem Sammelband (Borgstedt) widmet sich dem traditionellen Fleming-Bild. Das Interesse richtet sich eher auf die Gelegenheits-Gedichte, die nicht nur im Werk von Fleming quantitativ dramatisch überwiegen; daneben rückt vor allem, mit einiger Berechtigung aus wissenschaftlicher Sicht, die lateinische, wiederum überwiegend casuelle Lyrik an die Seite. Fleming als Arzt, als religiöser Lyriker (ein Nebenzweig seines Werkes) und als Reisebegleiter dominieren deutlich das Interesse der Forschung.

Damit ist Fleming im Mainstream der Barockforschung gut vertreten, doch es fragt sich, ob diese aus fachgermanistischer Sicht oft rühmliche und fast immer äußerst gelehrte und scharfsinnige Arbeit dem Autor nicht eher schaden könnte. Wenngleich auch einige Beiträge (unter anderem von Borgstedt, Robert, Hintzen, Sittich) ein für die Forschung innovatives und wichtiges Bezugsnetz an Themen und Perspektiven aufspannen, ist doch das Ergebnis der gesammelten Forschungen eher ernüchternd: In keinem der Beiträge findet sich auch nur der geringste Hinweis darauf, warum Fleming über Jahrhunderte hinweg bei seinen Lesern und Leserinnen zum Teil enthusiastische Reaktionen hervorgerufen hat. Was ein Poet kann, wie er aus Traditionen und kulturgeschichtlichen Kontexten vorzüglich ausgedachte Literatur fabrizieren mag, haben die Beiträge dieses Bandes in exemplarischer Form, weitgehend überzeugend und philologisch fast überkorrekt analysiert und dargestellt. Warum man aber Fleming lesen sollte, warum man sich an seinen Gedichten noch heute mit Begeisterung erfreuen kann, bleibt ungesagt, ja es scheint geradezu unanständig, darauf hinzuweisen. Dies betrifft nicht nur das Bild Flemings in der Forschung, auch andere Autoren werden seit längerer Zeit einem geradezu genussfeindlichen Analyseprozess unterworfen, sodass die literarische Landschaft der Frühen Neuzeit immer weiter und immer genauer vermessen wird, bis jeder unbemerkte Trampelpfad präzise verzeichnet ist. Eine Landkarte, für ein Land, das schließlich immer weniger Besucher zu verzeichnen hat und endlich nur noch von akademischen Exkursionen durchstreift werden wird. In keinem Gebiet der Neueren Deutschen Literatur war eine Rephilologisierung der Forschung weniger nötig, als in der Frühneuzeit-Forschung, und kein Gebiet muss mehr befürchten, einem schleichenden Prozess der „Altphilologisierung“ zu unterliegen als die Barock-Forschung, die sich damit einer wichtigen Unterstützung innerhalb der Disziplinen berauben könnte.

Titelbild

Stefanie Arend / Claudius Sittig (Hg.): Was ein Poëte kan! Studien zum Werk von Paul Fleming (1609 - 1640).
De Gruyter, Berlin 2012.
464 Seiten, 129,95 EUR.
ISBN-13: 9783110278774

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