Den Messias hören, wenn er verschwunden ist

Elke Dubbels über die deutsch-jüdische Geschichte als messianische Rhetorik von 1900-1933

Von Gabriele GuerraRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gabriele Guerra

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diese akkurate und lesenswerte diskursgeschichtliche Studie von Elke Dubbels bedient sich einer akustischen Metaphorik, wenn es um den messianischen Ton im deutsch-jüdischen Denken der Weimarer Zeit geht: Von Ton, Resonanz und Echo des Messianischen ist hier die Rede, einer Nachwirkung, die vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute reicht. Und dies zurecht, ist doch Metaphorik des Hörens von Anfang an Teil des biblischen Denkens – man denke nur an die Stimme Gottes aus dem brennenden Dornbusch, die Moses anspricht. Zugleich liegt dieser Metaphorik auch eine Entpersonalisierung der Messiasfigur zugrunde, wie sie sich in dem modernsten Dekonstruktionsprozess der klassischen philosophischen und theologischen Kategorien zeigt. Auf diese Weise kommt es zu jener Verschiebung vom Messias zum Messianischen, die auch im Zentrum dieses Buches steht: in Form der „Figuren des Messianischen“. Das Messianische also – und nicht mehr der Messias – erscheint hier als zentrales Moment jener Säkularisierungsphase, die das deutsch-jüdische und das jüdische Denken generell auszeichnet. Und diese Figuren des Messianischen sind eben nur ein Echo ihrer ursprünglichen konkreten Dimension: Nicht mehr um die sichtbare Bestimmung eines heilbringenden Erlösers geht es, sondern nur um dessen akustische Spuren. Dies bietet die Basis für zwei hier zentrale Denkkonstellationen: die Sprachphilosophie einerseits, der rhetorische Diskurs andererseits; beide beziehen sich schließlich auf die Akustik eines verschwundenen Messias.

Nun ergibt sich das Paradox – das Dubbels auf den Punkt bringt –, dass die auf das Akustische reduzierte Wahrnehmbarkeit des Messianischen, das messianische Echo sozusagen, die ursprüngliche geschichtliche und geschichtstheologische Dimension des Messias zwar schwächt, ihn damit aber auch rettet. Denn wenn der Messias also nicht mehr kommen wird, bleibt dennoch sein messianischer Ton hörbar, was Fragen nach der Rekonstruktion dieser akustischen Spuren in ihrer fragmentarischen Überlieferung aufwirft.

Vor diesem Hintergrund kommt es dazu, dass die Stellungnahmen zum Messianismus aus der Feder verschiedener deutsch-jüdischer Intellektueller wie Martin Buber und Ernst Bloch, Walter Benjamin und Gustav Landauer, Franz Rosenzweig und Gershom Scholem zwar sorgfältig und brillant in diesem Buch recherchiert sind, sie jedoch sämtlich einer dekonstruktiven Prämisse unterstellt werden. Denn es ist vor allem das rhetorische Moment des messianischen Diskurses, das im Vordergrund steht und damit die konkrete Figurenbestimmung der Messiasgestalten in der jüdischen Geschichte in den Hintergrund rücken lässt.

Elke Dubbels schreibt in ihrer Einleitung von der Absicht, eine Funktions- statt eine Substanzgeschichte des Messianismus schreiben zu wollen, so dass „der Bezug auf den jüdischen Messianismus […] nicht erst in der Moderne ein wichtiges Moment im jüdischen Identitätsdiskurs dar[stelle]“.

Wichtig ist für sie somit der historische Hintergrund, dass der Messianismus für die Juden immer ein identitätsstiftendes Denkmotiv dargestellt habe, hinter dem eine konkrete Figur stand (sei es eine davidisch-messianische, eine talmudisch-rabbinische, oder eine messianisch-revolutionäre) Figur.

Diese Figur ist aber notwendigerweise im Laufe der späteren aufgeklärten Jahrhunderte verblasst, da die Juden keinen Staat mehr besaßen, in dem solche messianische Gestalten hätten konkretisieren können. So fasste Franz Rosenzweig 1924 dieses Phänomen in einem Brief an den Freund Martin Buber zusammen: „Weshalb können wir heut nicht vom Messias sprechen, wo doch das 19. Jahrhundert wenigstens Messianismus ganz ehrlich sagen konnte. Ist uns der Glaube daran verloren gegangen? Choliloh. […] Eigentlich ist das Wort Messias ja überhaupt nur so lange lebendig gewesen, als es gesalbte Könige gab. Also wirklich nur in der biblischen Zeit. Nachher spricht man, wo man die Sache selbst sagen will von Erlösung und Erlöser. Denn das Golus ist da der lebenbeherrschende Hintergrund“. Nach Rosenzweig wird also die damalige jüdische Existenz durch zwei sich ergänzende Pole gekennzeichnet: den aufrecht erhaltenen Glauben und dessen Problematisierung im Exil. Mit Recht schließt Dubbels, dass die Denker und Intellektuellen des frühen 20. Jahrhunderts, von denen die Rede hier ist, nur an den Messias glaubten, weil sie mit dessen Figurationen vertraut waren. Die Tatsache also, dass Hauptvertreter des Deutsch-Judentums wie Ernst Bloch und Walter Benjamin, Gershom Scholem und – teilweise – Franz Rosenzweig ihre religiöse Zugehörigkeit zeigten, erscheint in unseren postmodernen Augen vor allem als eine gewiss existenzielle, aber rhetorisch organisierte Strategie.

Elke Dubbels scheint sich der Gefahren einer retrospektiven Lektüre des Deutsch-Judentums im postmodernistischen Sinn aber bewusst zu sein, wenn sie in der Einleitung ebenso betont, die messianische Rhetorik dieser deutsch-jüdischen Intellektuellen als Säkularisierungsstrategie des religiösen Diskurses entlarven zu wollen: „Die messianischen Denkfiguren als rhetorische Figuren zu lesen, heißt in meiner Arbeit vor allem, die Konstellation von Sakralem und Säkularem bzw. die Übertragung von Sakralem auf Säkulares, von der sie als Denkfiguren zeugen und die sie zugleich ins Werk setzen, mit Hilfe der rhetorischen Figurenlehre besser zu verstehen.“

Das kann aber wie folgt ergänzt werden: Wenn sich Dubbels dem „Messianischen ohne Messianismus“ als einer philosophischen Figur der Moderne widmet, lässt sich dies als Extremfall eines religiösen Ausnahmezustandes verstehen, der nun die Säkularisierung als epochemachendes Stigma der (damaligen sowie aktuellen) Zeitkrise mit sich bringt – das „Messianische“ also als allerletzte ‚dekonstruierte‘ Hoffnung für die Hoffnungslosen, laut eines bekannten Spruchs Walter Benjamins. In diesem Sinn ist diese Studie ein wertvoller Beitrag zu einer Diskursivierung des Theologisch-Politischen in der Moderne, wird doch Theologische-Politische hier als Konkretisierungsprozess des Religiösen beleuchtet, eben auf der Ebene der Metaphorik.

Die Politisierung des Messianischen als Grundmotiv bei den hier thematisierten deutsch-jüdischen Intellektuellen wird somit zum geheimen Zentrum eines Prozesses, der verschiedene Namen und Figurationen annimmt: „Geist der Utopie“ bei Bloch, „Jüdische Renaissance“ beim frühen Buber, „Erlösung“ bei Rosenzweig, die „Jetztzeit“ für Benjamin oder „Zion“ für den jungen Scholem. Alle aber verfolgen denselben problematischen Weg hin zur wiedergewonnenen Sakralisierung einer ins „Unheilige“ geratenen Realität.

Aus dieser Perspektive ist ein anderer Verdienst dieses Buches zu nennen: dass die rhetorik- und diskurszentrierte Analyse Dubbels’ nicht etwa zu einer universalistisch-spielerischen Dekonstruktion wird, sondern stets an Orte und Texte gebunden bleibt, die eine in sich stimmige Kontextualisierung in all ihren Facetten und Implikationen bietet.

Auf diese Weise entsteht eine ‚figurale‘ Darstellung des Messianischen bei Rosenzweig und Buber, Scholem und Benjamin, Bloch, Landauer und Hermann Broch sowie bei deren Beziehungen untereinander, die sich gut und überzeugend lesen lässt – „figural“ etwa im Sinne Auerbachs, der von der Autorin leider nur einmal erwähnt wird und dessen Begriffsbestimmung hier von Gewinn hätte sein können: Die in dieser Studie thematisierte rhetorische Theorie des Messianischen in der Geschichte – etwa im Sinne Hayden Whites, dessen postmodernistische spätere Umwege jedoch ausgespart bleiben – hätte durch eine breitere Anwendung des „Figuralen“ zu einer noch überzeugenderen Darstellung dieser deutsch-jüdischen Intelligenz führen können.

Titelbild

Elke Dubbels: Figuren des Messianischen in Schriften deutsch-jüdischer Intellektueller 1900-1933.
De Gruyter, Berlin 2011.
455 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110258233

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