Der Doppelspion aus Cambridge

Robert Littells großartiger Roman „Philby“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor wenigen Wochen, am 8. Januar wurde der amerikanische Schriftsteller Robert Littell 78 Jahre alt. Der in Südfrankreich lebende Autor hat im Jahr 2012 mit „Philby – Porträt des Spions als junger Mann“ seinen siebzehnten Roman veröffentlicht. In diesem Buch geht es um den einigermaßen mysteriösen britischen Geheimagenten Harold Adrian Russell Philby, genannt Kim, nach der Titelfigur des Romans von Rudyard Kipling. Beziehungsweise es geht um einen Abschnitt aus Philbys Biografie, um den Zeitraum von 1933 bis 1963.

Nachdem Philby sein Studium an der Eliteuniversität Cambridge abgeschlossen hat, zieht es ihn, der maßgeblich und mehr oder weniger lebenslang von seinem Vater geprägt war, in die Politik. Jedoch nicht im Sinne eines Abgeordneten, sondern eher in den Untergrund, den Widerstand. Mit seinem Motorrad fährt er von London bis nach Wien, wo er die Bekanntschaft der ungarischen Halbjüdin Litzi Friedmann macht, die ihm ein Zimmer vermietet, ihn die körperliche Liebe lehrt und ihm auch sonst so manches beibringt. Denn die russische Agentin führt den glühenden, aber auch noch ahnungslosen Kim Philby in die kommunistischen Kreise Österreichs beziehungsweise Wiens ein und organisiert mit ihm fortan gefährliche Waffenschmuggelaktionen. Es ist die Zeit des Dollfuß-Faschismus, den sie mit ihren geringen und wenig wirkungsvollen Mitteln bekämpfen wollen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion heiraten sie in der britischen Botschaft, damit Litzi einen britischen Pass bekommen und aus Österreich verschwinden kann, als es für beide zu brenzlig und gefährlich wird. Zurück in Großbritannien, entschließt sich der junge Ehemann, auf Anraten und Vermittlung seiner Gattin, ebenfalls sowjetischer Spion zu werden.

Seine Karriere beginnt. Was folgt, sind Treffen mit Verbindungsoffizieren, Einweisung in Agententechniken, eine Ausbildung eben. Um in höhere gesellschaftliche Kreise zu gelangen, bemüht sich Kim Philby um eine repräsentative Position, die er auf der Fleet Street erhält: er wird „Times“-Korrespondent und geht als solcher nach Spanien. Zwar behagt es ihm anfänglich nicht, für Franco zu berichten, doch für seine Tarnung muss es nun mal sein, gegen die eigenen Interessen und Sympathien zu arbeiten. Und als wäre es geplant gewesen, wird er auch noch verletzt, kommt somit als gefeierter und berühmter Kriegsheld aus dem Bürgerkrieg zurück.

Und an diesem Punkt beginnt die Geschichte, richtig Fahrt aufzunehmen, denn der britische Geheimdienst SIS wirbt Kim Philby an, er wird somit zum Doppelagenten. In dieser schwer durchschaubaren Position gelingt es ihm, Einfluss auf die Politik zu nehmen, was darin gipfelt, dass er den Russen den Tag der deutschen Invasion in die Sowjetunion nennen kann. Hier macht der Autor, macht Robert Littell auf ganz plastische und greifbare Weise deutlich, welchen Einfluss Geheimdienstmitarbeiter haben können, was ihre Funktionen sind und wie ihre Arbeit in den Lauf der Geschichte eingreifen kann.

Der sehr erfahrene Littell, der die unglaublichsten Kontakte hat und somit aus einem enormen Fundus schöpfen kann, beschreibt diese 30 Jahre aus dem Leben des Kim Philby höchst kurzweilig und abwechslungsreich. In 16 Kapiteln lässt er unterschiedliche Menschen über den Titelhelden berichten, fügt Eindrücke der unterschiedlichsten Personen zusammen, vermischt Fakten und Fiktion auf bestechende Art, so dass der Leser in genau diesem Wirrwarr steckt, der eben auch die Welt der Spione und Geheimdienste so mysteriös erscheinen lässt. Form und Inhalt greifen ineinander. Und dieser Aufbau, dieses Umkreisen der Hauptperson sorgt für ständige Perspektiv- und Ortswechsel, bringt neue Stimmen und Stimmungen in den Text und hält diesen wie ein Perpetuum mobile ständig in Bewegung.

Littell, der mit „Die Company“ zu Weltruhm gelangte, mit seinen großartigen Büchern „Die Söhne Abrahams“ und „Das Stalin-Epigramm“ ganz klar in die Riege der besten Autoren aus dem Genre des anspruchsvoll-literarischen Spionageromans aufgestiegen ist und hoffentlich noch weitere Bücher dieses Kalibers vorlegen wird, überzeugt mit fundierten historischen Hintergründen und skizziert en passant auch noch eine weitere ebenfalls sehr schillernde Figur: St. John Philby, Kims Vater (Beiname „Der Haddsch“), der dann und wann als intimer Kenner weltpolitischer Zusammenhänge und Entwicklungen im Hauptquartier des britischen Geheimdienstes auftaucht, wo bei hoch geheimen Treffen Weichen gestellt werden für zum Beispiel den Einsatz der jungen Agenten. Dieser Mann, der 1932 einen Teil der Rub al-Chali durchwanderte und zum Islam konvertierte, ist für Kim Philby die zentrale Figur seines Lebens, was Robert Littell eindrucksvoll, aber auch augenzwinkernd verarbeitet und somit seinem Buch immer wieder Wärme und Humor verleiht. Ein perfekt austarierter Roman, der auf kluge Weise bestens unterhält.

Titelbild

Robert Littell: Philby. Porträt des Spions als junger Mann.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence.
Arche Verlag, Zürich 2012.
290 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783716026809

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