Das Verbindende des Standes

Ernst-Wolfgang Böckenfördes kleine Schrift „Vom Ethos der Juristen“ widmet sich dem gemeinsamen Nenner, der die Juristerei zum Beruf macht

Von Veit Justus RollmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veit Justus Rollmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Unterschied zur Ethik als normativem Grundgerüst bestimmt ein jedes Ethos das in der Welt Sein und tätig Sein des zu sittlicher Handlung befähigten Menschen. Ethik als Gesamtheit allgemeiner Prinzipien, die menschliches Handeln anleiten sollen, findet durch das Ethos Konkretisierung in der Anwendung. Dabei ist das Ethos auch von individueller Moral unterschieden, denn jedes Ethos, dem stets auch Momente praktischer Tugenden eignen, ist mit bestimmten Formen der Tätigkeit verbunden und zeigt sich nicht zuletzt als Berufsethos: Als praktische Verhaltensform von Ärzten, Handwerkern, Lehrern – oder eben Juristen.

Nach deren Ethos fragt Verfassungsrichter a. D. Böckenförde und schöpft in seiner Beantwortung aus mehr als einem halben Jahrhundert eigener Tätigkeit als Jurist und Rechtsgelehrter, der auch auf dem Gebiet der Rechts- und Staatsphilosophie, ihrer Geschichte und ihren Ausformungen, Maßgebliches geleistet hat. Dass sie beantwortet sein muss, stellt Ernst Wolfgang Böckenförde schon zu Beginn klar, denn ohne ein Ethos, das die Tätigkeit prägt und ausmacht und alle verbindet, die diese Tätigkeit ausüben, wäre die Juristerei in ihren unterschiedliche Gestalten nichts anderes als ein Job.

Die Frage nach einem spezifisch juristischen Berufsethos macht Sinn, sobald es einen Stand tätiger Personen gibt, die das Recht von Berufs wegen handhaben. Im Anschluss an die einleitende Klärung des Begriffs Ethos widmet sich Böckenförde drei wichtigen Erscheinungsformen des juristischen Ethos. Die erste verdient diese Bezeichnung aus zwei Gründen, denn bei den römischen Juristen tritt nicht nur ein spezifisches juristisches Tätigsein, sondern diese Tätigkeit überhaupt erst in Erscheinung. Böckenfördes zentrale These – besser seine Bestimmung des juristischen Berufsethos – wird bereits durch die Darstellung der drei Erscheinungsformen juristischer Tätigkeit erkennbar.

Im Rom der Antike wird der neue Berufsstand der Juristen zum „Wortführer gesteigerter ethischer Ansprüche an die Rechtsordnung“, die ihren Niederschlag in Grundsätzen oder Rechtsformeln finden, die zeitloser Natur sind und in denen sich überpositives Recht manifestiert und kodifiziert. Bei den Legisten der frühen Neuzeit dient die Stützung feudaler Autorität nicht zuletzt der Sicherung von Ordnung, Recht, Frieden und mithin Gemeinwohl und ihre Tätigkeit ebnet den Weg zu einem vernünftigen, bürgerlichen Recht fernab religiöser Fundierung. Im Falle des spezifisch anglo-amerikanischen Case-Law schließlich zeigt sich juristisches Ethos als die stete Suche nach der angemessenen, gerechten Regel in dem jeweils konkreten Fall.

Das Ethos der Juristen, dies zeigen die kurzen, aber dichten Darstellungen der Erscheinungsformen juristischer Tätigkeit, ist für Böckenförde geprägt durch die Aufgabe „das Recht in seiner Eigenart als (dialektische) Vermittlung von präsenter normativer Ethik und Politik anzuerkennen und es in der täglichen Arbeit als eben diese Vermittlung anzuwenden und zu bewahren“. Mit anderen Worten soll der Jurist in der Ausübung seines Berufes – ungeachtet der Tatsache, dass diese Ausübung durch die Interessen derer beeinflusst wird, die sie beauftragen und die für sie bezahlen – danach streben, die normative Basis in die Setzung und Anwendung des Rechts hinein zu tragen. In ihrer allgemeinsten Vorstellung kann diese Basis auf den Begriff der Gerechtigkeit gebracht werden. Hier stellt sich nun die Frage, was genau juristische Praxis mit Gerechtigkeit zu tun hat. Die Frage scheint mehr als berechtigt, kommt doch – einem Artikel der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW, 43/2012) folgend – der Begriff „Gerechtigkeit“ im Schönfelder, der wohl bekanntesten Sammlung der wichtigsten Gesetze unseres Staates, nicht ein einziges Mal vor.

Ist Wolfgang Böckenfördes Sichtweise beziehungsweise Bestimmung des spezifisch juristischen Ethos damit zu stark idealistisch eingefärbt? Wer nur auf die Praxis schaut und den Meinungen langjähriger Praktiker Gehör schenkt, könnte dieser Auffassung sein. Juristen dienen den Interessen global operierender Konzerne. Juristen geben und besuchen Seminare zu Themen wie „Kreativ kündigen – keine Angst vorm Mutterschutz!“. Juristen verletzen – sei es nun bewusst vorsätzlich oder nur als Kollateralschaden ambitionierter Projekte – den elementaren Grundsatz des suum quique tribuere, indem sie die Gedanken anderer mit ihrem Namen versehen, um ihre Geschäftskarte mit einem weiteren Titel zu versehen. Doch Böckenförde fragt nicht – um eine durch Kant bekannter gewordene juristische Differenzierung zu bemühen – was der Fall ist (quid facti), sondern was der Fall sein sollte (quid iuris). Dass juristisches Handeln in letzter Konsequenz durch den Begriff der Gerechtigkeit (mit)bestimmt sein sollte, ist fester Bestandteil der common sense Sichtweise des rechtsgelehrten Standes. Um ein populäres, fiktionales Gegenbild zum smarten Konzernjuristen, bei dem der Alltag das Ethos auffrisst, für diese Behauptung heranzuziehen, sei auf die beliebte TV-Juristin Danni Lowinski verwiesen, die fernab jedweder Gewinnmaximierungstendenzen und getragen von der Woge des Pathos der Gerechtigkeit von einem blöden Verfahrensfehler in den nächsten tappt.

Ernst Wolfgang Böckenförde geht es ums Prinzip und er bietet zur Unterfütterung seiner Sichtweise auf den wenigen Seiten einen geballten Abriss der Ideengeschichte des Rechts von Ulpian bis Habermas auf. Die Lektüre der kleinen Schrift ist daher allgemein empfehlenswert – und sicherlich werden viele Juristen in ihrer Berufsausübung fruchtbare Impulse spüren, wenn sie sich mit ihrem Kollegen Böckenförde ad fontes ihres eigenen, spezifischen Berufsethos aufmachen.

Titelbild

Ernst-Wolfgang Böckenförde: Vom Ethos der Juristen.
Duncker & Humblot, Berlin 2010.
46 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783428133178

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