Kritik und Anpassung

Alexander Gallus untersucht die Nachwirkungen der „Weltbühne“

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Zeitschrift „Die Weltbühne“ umgibt noch heute der Nimbus des Legendären und Unerreichbaren. Für Axel Eggebrecht, der in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren regelmäßig für sie schrieb, wurde sie zeit seines Lebens eine „geistige Heimat“. „Ich gewann Maßstäbe für die publizistische Arbeit“, schrieb er in seinen Memoiren „Der halbe Weg“ (1975). „Vor allem festigte sich meine politische Haltung, sie änderte sich von da an kaum noch.“ Auch als die „Weltbühne“ nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 verschwand und ein zweifelhaftes Nachleben zunächst im Exil und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland erlebte, blieb sie ein Monument der intellektuellen Courage und des politischen Engagements.

Unbestritten war sie in Deutschland jedoch nie. Selbst Rudolf Augstein, der Erfinder des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, wartete 1978 mit der Erkenntnis auf, dass zu „den Totengräbern der Weimarer Republik“ auch die „Weltbühne“ zu rechnen sei. Damit reihte sich der Urheber des „Sturmgeschützes der Demokratie mit verengten Sehschlitzen“ in die deutsche Front des Staatsschutzes, der jeder Kritiker zum Kritikaster gerät. „Wer kritisiert, vergeht sich gegen das Einheitstabu, das auf totalitäre Organisation hinauswill“, schrieb Theodor W. Adorno in seinen „Kritischen Modellen“. „Der Kritiker wird zum Spalter und mit, einer totalitären Phrase, zum Diversionisten.“

Unterschwellig wirkt dieser Vorwurf auch in der akribisch recherchierten, durchaus spannend zu lesenden Studie „Heimat ‚Weltbühne‘“ des Historikers Alexander Gallus fort, der anhand der Biografien der vier Autoren der „Weltbühne“ Kurt Hiller (1885-1972), Axel Eggebrecht (1899-1991), William S. Schlamm (1904-1978) und Peter Alfons Steiniger (1904-1980) Facetten einer deutschen Intellektuellengeschichte im 20. Jahrhundert zu beleuchten versucht, wobei ein etwas kathederhaftes „Staats- und Demokratiedenken“ die Perspektive bestimmt. Insinuiert wird, die „Weltbühne“ habe mit ihrer radikaldemokratischen Kritik die Sargnägel für die fragile Weimarer Republik geliefert, als sei die erste deutsche Republik nicht an ihren autoritären Strukturen oder an der Komplizität der Repräsentanten von Wirtschaft und Reaktion gescheitert, sondern an den unzufriedenen Intellektuellen einer kleinen Wochenzeitschrift.

Dabei ist Gallus das Porträt Kurt Hillers, der seit 1915 für die „Weltbühne“ schrieb, in all seinen Widersprüchlichkeiten noch am besten gelungen. Einerseits war er als linker Pazifist und homosexueller Aktivist im Kaiserreich und in der Weimarer Republik tätig; andererseits betrachtete er sich als Teil einer intellektuellen Elite und vertrat antidemokratische Positionen, die ihn zuweilen in gefährliche Nähe zu den Nationalsozialisten brachten. Nach 1933 emigrierte er nach Paris und London, wo er jedoch aufgrund sprachlicher Probleme nicht seine publizistische Aktivitäten fortsetzen konnte. Auch nachdem er sich 1955 in Hamburg niedergelassen hatte, blieb er eine marginale Figur, die mit ihren Versuchen, eine Zeitschrift in der Tradition der „Weltbühne“ zu gründen, scheiterte. Zeitweilig war er zwar der linken Zeitschrift „Konkret“ verbunden, doch ein Großteil seiner Publizistik fand in einer Art „unterirdischer Kommunikation“ in Form von Korrespondenzen an ausgewählte Adressaten – einer Frühform informeller „Mailing-Listen“ – statt.

Dagegen wechselte Eggebrecht, der seit 1925 an der „Weltbühne“ mitarbeitete und 1933 für einige Monate im Konzentrationslager Hainewalde inhaftiert war, das Medium: Nach 1945 gehörte er zu den maßgeblichen Akteuren im Aufbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Bundesrepublik, verabschiedete sich jedoch vom NWDR, als dieser zunehmend zum Beutestück der Parteien wurde. Am Beispiel Eggebrechts versucht Gallus, den Prozess der „Deradikalisierung“ zu exemplifizieren: Trotz seiner Attitüde des „zornigen alten Mannes“ habe Eggebrecht zum linken Establishment gehört und sich im Laufe der Zeit mit dem politischen System der Bundesrepublik arrangiert. Für den Untergang der Weimarer Republik nimmt Gallus Eggebrecht mit in Haftung: „Die defekte erste deutsche Demokratie war so wenig konsolidiert, dass sie die radikaldemokratischen Forderungen linksintellektueller Kritiker wie Eggebrecht nicht produktiv auffangen konnte, sondern durch sie geschwächt wurde.“

Erst die bundesrepublikanische Demokratie habe die „anspornende Kritik der Außenseiter“ in „Demokratiefortschritte innerhalb der politischen Kultur“ umwandeln können. Dabei wendet Gallus das Konzept der „Deradikalisierung“, das Alan M. Wald in seiner Geschichte der New Yorker Intellektuellen als Grundmodell für die Transformation ehemals linker Intellektueller in Sprachrohre neokonservativer Herrschaft beschrieb, auf einen Kritiker an, der seinem radikalen Impetus im Sinne des frühen Marx („Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.“) stets treu blieb.

Während Eggebrecht bis zu seinem Tod ein beispielgebender linker Radikaldemokrat (auch für nachwachsende Generationen) blieb, wechselte William S. Schlamm, der 1933 als Redakteur der Exil-„Weltbühne“ arbeitete, von der Kommunistischen Partei Österreichs in rechte Gefilde. Nach seiner Emigration 1938 in die USA kam er beim Time-Life-Fortune-Konzern des amerikanischen Medienmagnaten Henry Luce unter, für den er eine Kulturzeitschrift im Stile der traditionellen amerikanischen „little magazines“ für das Publikum der „Middlebrows“ entwickeln wollte. Für dieses Unternehmen beabsichtigte er Autoren wie W. H. Auden, T. S. Eliot, George Orwell und Lionel Trilling zu verpflichten. Dies fassten New Yorker Intellektuelle wie Dwight Macdonald, der die anarchopazifische Zeitschrift „Politics“ herausgab, als Affront auf: In ihr Terrain der Kultur versuchte ein halbgebildeter Kleinbürger mit seinem willfährigen Handlanger einzudringen, um es zu vernichten. Schlamms Ignoranz auf den Gebieten der Musik, Philosophie, politischen Theorie, Literatur und schönen Künste – die den Inhalt des neuen Magazins ausmachen sollten – sei von befriedigendem Ausmaß, stellte Macdonald fest, und sein Hang zum Volkstümlichen (oder Vulgären) prädestiniere ihn dazu, das neueste Projekt aus dem Hause Luce zu einem Verkaufsschlager zu machen. Schließlich scheiterte dieses Projekt wie viele andere Schlamms. Nachdem er sich in der Bundesrepublik niedergelassen hatte, war er zeitweilig Kommentator für den Axel-Springer-Verlag und propagierte als Sprachrohr eines reaktionären Antikommunismus den Atomkrieg. Zwar gelang es ihm 1972, eine rechte „Weltbühne“ unter dem Titel „Zeitbühne“ ins Leben zu rufen, doch ging auch dieses Projekt am Autoritarismus Schlamms zugrunde.

Als ideologischen Gegenpol zu Schlamm zeichnet Gallus den marginalen „Weltbühne“-Autoren Peter Alfons Steiniger, der sich mit Anbiederungen ans herrschende System durch das „Dritte Reich“ lavierte und in der Nachkriegszeit Karriere als marxistisch-leninistischer Funktionär im Machtapparat der SED machte. Hier wie in den anderen Porträts wird die mangelnde erzählerische Konstruktion Gallus’ deutlich: Die vier Protagonisten werden zwar in ihren biografischen Entwicklungen mehr oder weniger ausführlich beschrieben, doch fehlen gesellschaftliche und mediengeschichtliche Perspektiven, die weiter aufgefächerte Blickwinkel auf die im Untertitel in Anspruch genommene „Intellektuellengeschichte im 20. Jahrhundert“ ermöglicht hätten. So wird nie die Frage erörtert, warum „Remigranten“ wie Hiller in der Bundesrepublik marginale Figuren blieben oder warum die „Weltbühne“ kein adäquates Nachfolgeorgan bekam. So bleibt das Buch leider nur eine akademische Fleißarbeit, der eine intellektuelle Originalität fehlt.

Titelbild

Alexander Gallus: Heimat "Weltbühne". Eine Intellektuellengeschichte im 20. Jahrhundert.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
416 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783835311176

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