Totgeburt

Über Mo Yans Roman „Frösche“

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nun ist es ja so, dass man als Rezensent in der Theorie jeden Roman vorurteilsfrei lesen sollte – dies gelingt zumeist, wird aber manchmal erschwert: Sei es durch hin und wieder sich in die Lektüre schleichende Sym- oder Antipathien oder durch enervierende mediale Kampagnen. Dies ist aber nichts, was der erfahrene Rezensent nicht abzuschütteln vermag.

Ganz anders liegt der Fall bei dem hier zu besprechenden Roman, hat sein Autor doch 2012 den Nobelpreis für Literatur zugesprochen bekommen – und eine solche Auszeichnung beeinflusst natürlich die Lektüre: Vor allem, wenn diese Verleihung so umstritten scheint wie kaum eine zuvor, ist Mo Yan doch nicht allein chinesischer Autor, sondern auch Mitglied der Kommunistischen Partei und hat damals während der peinlichen Veranstaltung anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2009 gemeinsam mit allen anderen chinesischen Kulturvertretern den Saal vor den Reden der Regimekritiker Bei Ling und Dai Qing demonstrativ verlassen.

Der Nobelpreis polarisiert also: Während Liao Yiwu, Preisträger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2012, Mo Yan als „Staatsdichter“ abkanzelt, feiert Martin Walser ihn recht unvermittelt und bezugslos in der F.A.Z. als „wichtigsten Schriftsteller unserer Zeit“. Und so weiter. Literatur ist zu einem Politikum geworden und der Nobelpreis für Literatur auch an die Gretchenfrage gekoppelt, wie es der Preisträger denn nun mit seiner Kritik an China halte? Als ob, so die andere Seite, die kritische Haltung allein einen Nobelpreis für Literatur rechtfertige! Und so fort. – Bleiben wir also mit dieser Rezension besser auf dem Teppich und vergessen wir den Nobelpreis, ja vergessen wir auch Martin Walser, zumindest bis zum letzten Absatz.

Mo Yan ist, soviel darf wohl gesagt werden, kein politischer, aber eben doch ein kritischer Autor, der sich mit dem ländlichen Gebiet Gaomi, zwischen Yantai und Qingdao gelegen, sein Yoknapatawpha County geschaffen hat und von hier aus die menschliche Dummheit in satten Farben und oftmals derben Tönen beschreibt. Ob er sich hierbei zumeist historischen Themen zuwendet, um der Zensur aus dem Wege zu gehen, ist möglich, aber nicht hinreichend bewiesen: Seine letzten, in Deutschland veröffentlichten Romane, etwa die „Sandelholzstrafe“ sind wunderbare, fabulierende Historienschinken einerseits, die sind andererseits aber, etwa „Der Überdruss“, langatmige, überfrachtete Parabeln, die am Ehrgeiz des Autors zu scheitern drohen. Diese zwei Romane veranschaulichen wohl am besten die Stärken und Schwächen Mo Yans, der in der Beschreibung der chinesischen Landbevölkerung seinen Ton gefunden hat, aber wohl annimmt, diesen durch ehrgeizige literarische Konstruktionen und Überhöhungen künstlerisch anreichern zu müssen, was aber oftmals scheitert und die eigentlich so bodenständig gemeinten Romane zu metatextuellen Luftnummern verkommen lässt.

Und nun also „Frösche“, ein Werk, welches sich mit der Geburtenkontrolle beschäftigt und hierzu einen weiten Bogen von den 1950er-Jahren bis zur Gegenwart spannt. Personifiziert wird die Problematik durch den Erzähler, Kaulquappe genannt, und symbolisiert durch seine Tante Gugu, in den 1950er-Jahren die erste westlich geschulte Hebamme Gaomis und späterhin gefürchtete Vertreterin und manische Gehilfin der Ein-Kind-Politik.

Um diese beiden Figuren dreht sich nun die Dramatik eines staatlichen Eingriffs nicht nur in die Privatsphäre jedes Menschen, sondern geradezu in das kulturelle Gedächtnis des chinesischen Volkes. Mo Yan erzählt also von den ersten Versuchen der Partei, die Geburten zuerst durch wohlfeile Worte und vernünftige Argumente unter Kontrolle zu bekommen, dann von den Zwangsabtreibungen und Sterilisationen und schließlich dem Sieg der Gesetze über individuelle Belange. All dies ist ausufernd beschrieben und erinnert manchmal in Konstruktion und Ausführung an einen Thesenroman, in dem wirklich jede, noch so abseitige Folge der Geburtenkontrollen auch dargestellt werden muss – so wirkt der Roman zwar vollständig, aber eben auch überfrachtet und bei weitem zu oberflächlich, um den Leser emotional zu erreichen: Die meisten Figuren werden auf ihre Funktion reduziert und hinterlassen ansonsten kaum Eindruck.

Durch Konzentration auf die glühende Kommunistin Gugu wird eine Janus-Situation der Parteipolitik angedeutet: Gugu ist zu Beginn leidenschaftliche Hebamme, die mit modernen Methoden die traditionellen Hexenweiber verdrängt und mutiert dann innerhalb kürzester Zeit wiederum zu einer Hexe des Kommunismus, die jede illegale Schwangerschaft mit an Wahnsinn grenzender Manie verfolgt und zu verhindern trachtet. Dies kann als Kritik gelesen werden, doch bemüht Mo Yan sich, die Motive Gugus als ehrenwert zu zeigen, die es hierbei im Grunde auch nur gut meine, nämlich stets zum Wohle des Volkes agiere und deshalb das Einzelschicksal ignorieren müsse.

Hier scheitert Mo Yan und damit letztlich der Roman, der immerhin um Gugu kreist, aber diese Mitte in Form einer höchst unrealistisch gezeichneten Figur bleibt unecht, gelingt es dem Autor nämlich nicht, diese mit Leben zu füllen: Sicherlich markiert dies die Grenzen des Autors Mo Yan, der ohnehin nicht viel mit Frauenfiguren anfangen kann, aber viel mehr ist hier wohl der Zwiespalt aus Kritik und Rechtfertigung ausschlaggebendes Element des Scheiterns.

So gehört dieser bereits 2009 in China veröffentlichte Roman zu den literarischen Projekten des Nobelpreisträgers, die am übermäßigen Anspruch zerbrechen, wie vorher schon „Der Überdruss“ (beide Romane wurden interessanterweise, wie Mo Yan im Nachwort erläutert, zeitgleich entworfen) – symbolisiert wird dies besonders durch das ans Ende geklebte Theaterstück, welches wesentliche Figuren und Themen der Prosa nochmals aufnimmt, aber nichts wesentlich Neues mehr hinzufügen kann und damit reine Spielerei bleibt. Der von Walser als wichtigster Schriftsteller unserer Zeit geehrte Mo Yan legt mit dem Roman „Frösche“ daher kein nobelpreiswürdiges, nicht einmal ein gutes Buch vor. Kritische Einstellung hin oder her.

Titelbild

Mo Yan: Frösche. Roman.
Übersetzt aus dem Chinesischen von Martina Hasse.
Carl Hanser Verlag, München 2013.
507 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446242623

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