Endlosschlaufe des Denkens

Markus Bundis raffinierte Kriminal-Sprach-Novelle „Emilies Schweigen“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Sprache ist ihr Gebrauch“, lautet ein zentraler Satz in Markus Bundis Kriminal-Novelle „Emilies Schweigen“. Die ebenso raffiniert wie kunstvoll konstruierte Erzählung des Mitvierziger Schweizer Autors, der als Lehrer arbeitet und sich unter anderem als Lyriker, Herausgeber und Verfasser von Kurzprosa einen Namen gemacht hat, ist jedoch weit mehr als eine spannende Gerichtserzählung. „Emilies Schweigen“ ist zugleich eine ebenso tiefgründige wie ironisch-vergnügliche Geschichte über das Erzählen.

Die 35-jährige Krankenschwester Emilie T. ist des Mordes an mindestens 47 Patienten angeklagt. Doch Zeugen gibt es nicht. Auch lässt sich der Besitz von Natriumbentobarbitural, an dem die Patienten offenbar gestorben sind, bei Emilie nicht nachweisen. Und die Angeklagte schweigt beharrlich, nicht nur vor Gericht, sondern auch gegenüber ihrem jungen Pflichtverteidiger David Moor. Lakonisch meint der psychologische Gutachter nur: „Hartnäckiges Schweigen ist wie eine verschlossene Tür. Aussagen darüber, was sich im Raum dahinter befindet, wären rein spekulativer Natur“. So erscheint Emilie im Indizienprozess als ideale Projektionsfläche, mal „apart“, mal „apathisch“. Vor allem die Medien nehmen sich des Falls an und sind immer wieder „in die Interpretationen des Schweigens vertieft“.

Auf diese Leerstelle baut David, ein Spiegelbild Emilies, seine Strategie auf. Der passionierte Schachspieler, den kurz zuvor seine Freundin Margarethe wegen seiner exzessiven Einnahme von Psychopharmaka verlassen hat, steuert von Anfang an auf ein „Patt“ hin. Schließlich erwirkt er den zu Beginn der Erzählung bereits feststehenden überraschenden Freispruch nach dem Grundsatz in dubio pro reo: „Er, David Moor, war gar nicht der Springer, er hatte sich lediglich in einem trojanischen Pferd zur Verhandlung aufbieten lassen.“

Die Erzählung, die zunehmend das Erzählen thematisiert („war das ein Plot?“, „Kunstfehler waren nicht vorgesehen“), verschiebt sich zunehmend auf „das unbeschriebene Blatt“ David. Der von Margarethe Verlassene stellt sich mehr und mehr die ‚Gretchenfrage‘: „Wer bin ich?“ Eine Frage, die weder er noch sein Freund Bernhard, naturgemäß nicht endgültig beantworten können. Zumal Bernhard, der alte Studienfreund Davids und Nach-Erzähler der Geschichte, schon zu Studienzeiten seine Sprachskepsis in der aus drei Sätzen bestehenden „Arbeit“ formuliert: „Die menschliche Sprache ist eine Emergenzleistung des Geistes, ein nicht nachvollziehbares Abstraktionsvermögen, dessen Ursprünge im Dunkeln liegen. Kommunikation beruht auf Konvention, ihr Erfolg basiert auf einer nicht näher zu bestimmenden Unschärfenrelation zur kulturellen Wirkungsgeschichte. Sprache an sich ist nicht zu verstehen.“

Markus Bundi hat nicht nur eine klug konstruierte Novelle mit überraschendem Schluss über jene „Endlosschlaufe“ der Frage geschrieben: „Was denkt der Denker, wenn er denkt, dass er denkt“ oder lässt sich „das Denken lenken?“, sondern auch eine mit intertextuellen Verweisen spielende Novelle. Neben Anspielungen auf Schillers „Räuber“, Flauberts „Madame Bovary“, Fontanes „Effi Briest“ oder Rihannas Song-Text „Love the way you lie“ gibt es Bezüge zu Kleist („gleichviel“ sowie seiner „Allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“) und vielleicht sogar zu Peer Steinbrücks misslungenem „Wagadugu“-Zitat, als er 2009 unter anderem die Schweiz und die Hauptstadt Burkina Fasos in einem Steueroasen-Vergleich nannte. Bundis Erzählung jedenfalls „illustrier[t], welche Wirkung Geschichten haben“ können. Unterhaltsamer und anregender jedenfalls kann man kaum „in die Interpretationen des Schweigens“ gezogen werden.

Titelbild

Markus Bundi: Emilies Schweigen. Novelle.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2013.
120 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783863510534

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