Brutale Suche nach Wirklichkeit

Immanuel Novers Studie über das Verhältnis von Sprache und Gewalt bei Bret Easton Ellis und Christian Kracht

Von Mareen van MarwyckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mareen van Marwyck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein viel diskutiertes kulturelles Phänomen westlicher Kulturen um 2000 ist die häufige und oft brachiale Darstellung von Gewalt in der Kunst, der Literatur, dem Film und Computerspiel. Die Ausstellung des zerstückelten Körpers, die Exponierung des Schmerzes erscheinen bis heute als wesentliche Elemente zeitgenössischer Ästhetiken. Ein Erklärungsmodell für dieses Phänomen ist – neben der Annahme einer Verschiebung der in westlichen Gesellschaften zurückgedrängten realen Gewalt in die Fiktion – die Annahme, dass der Körper und der Schmerz eine Erfahrung von Präsenz ermöglicht, die in der ansonsten von sich überlagernden Zeichensystemen codierten Wirklichkeit unmöglich zu sein scheint. Die Darstellung von Gewalt soll angesichts poststrukturalistischer Sprach- und Erkenntniskritik eine andere Performativität, eine ästhetische Erfahrung von Präsenz versprechen. In ähnlicher Weise argumentierte etwa zuletzt Robert Buch zur Rezeption der Theorien Jacques Lacans und Alain Badious in seiner Studie „The Pathos of the Real. On the Aesthetics of Violence in the Twentieth Century“.

Auch Immanuel Nover geht in seiner Studie von einem engen Zusammenhang zwischen Sprachskepsis und ästhetisierter Gewalt aus und untersucht exemplarisch Texte von Bret Easton Ellis und Christian Kracht. Novers These ist, dass die Gewalt in den untersuchten Texten als Reaktion auf einen massiven Kommunikations- und Wirklichkeitsverlust zu verstehen ist. Die Texte stellen die Möglichkeit von Präsenz radikal infrage, inszenieren aber zugleich das Verlangen nach Referenz, nach einem Signifikat, auf das der Signifikant eindeutig verweisen könnte. Dieses Begehren schlage sich in den verzweifelten und zuletzt ebenfalls scheiternden Versuchen der Protagonisten nieder, in der Gewalterfahrung eine unverstellte Präsenz zu erfahren. Bei Ellis sei die Gewalt als Versuch zu verstehen, über die „Evokation von Schmerz“ die „Kommunikation mit dem Anderen zu ermöglichen“. Bei Kracht hingegen diene die Gewalt als „Verfahren der Auslöschung und des Verschwindens“, so Novers zentrale Thesen. Der Autor sieht zudem eine Analogie zwischen der Literatur um 1900 und um 2000. Beide stellen Nover zufolge einen engen Zusammenhang zwischen Sprachskepsis und Gewalt her.

Es ist eine besondere Stärke der Arbeit, die sprachskeptischen Positionen der untersuchten Texte schlüssig und detailreich herauszuarbeiten. Nover charakterisiert dabei das Erkenntnisstreben schon durch den Begriff des Referenzbegehrens im Sinne Sigmund Freuds und Melanie Kleins als ein triebhaftes Phänomen, das eine strukturelle Nähe zu triebhafter Gewalt aufweist. Die Studie zeigt, mit welcher psychologischen Einfachheit das unerfüllte Kommunikationsbegehren in Ellis’ Texten in entfesselte Gewalt umschlägt. So ist die Assoziation von scheiternder Wahrnehmung und Kommunikation und gewaltsamer Handlung von fast schon aufdringlicher Evidenz, wenn etwa der Protagonist in „American Psycho“ eines seiner Opfer fragt: „I mean, does anyone really see anyone? Does anyone really see anyone else? Did you ever see me?“

In Christian Krachts Texten ist das Verhältnis von Sprache, Sprachskepsis und Gewalt Novers Analyse zufolge diffiziler. Während in „Faserland“ die durch nichts zu bewältigende Gewalt der Nationalsozialisten zur Krise der Kommunikation in der bundesdeutschen Gegenwart des Erzählers führt, der sich in dem „grausamen Nazi-Leben hier“ zunehmend von seiner Umwelt isoliert, initiiert die scheiternde Kommunikation in „1979“ eine Reise des Protagonisten in den Iran der Islamischen Revolution und lässt ihn zuletzt die Gewalt des chinesischen Arbeitslagers bejahen, in dem er am Ende des Romans gefangen gehalten wird. In „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ gehe die Gewalt des absoluten Kriegszustands, welchen der Roman beschreibt, mit dem Verlust von Schriftsprache und der Entstehung einer neuen, dinglichen, haptisch präsenten Sprache einher, die der Erzähler als „Idiom des Krieges“ ablehne und der er zuletzt eine neue Schriftsprache entgegensetze.

So genau Novers Studie die psychologische Verknüpfung von Sprach- und Kommunikationskrise und Gewalt in den Romanen herausarbeitet, so sparsam ist sie in der Analyse der gewaltästhetisierenden sprachlichen Strategien. Novers Studie untersucht das Verhältnis von Sprache und Gewalt beinahe ausschließlich auf der Ebene des Figurenbewusstseins: die erlebte Sprachkrise führt in unterschiedlicher Weise zur gewaltsamen Reaktion der Protagonisten oder umgekehrt die gewaltsame Umwelt zu einer Sprach- und Erkenntniskrise der Protagonisten. Erstaunlich wenig beschäftigt sich die Arbeit mit der Ebene des Erzählers und der des abstrakten Autors und damit einhergehend mit den stilistischen und narrativen Mitteln und den Emotionalisierungsstrategien, mit denen in den Texten Gewalt sprachlich repräsentiert oder inszeniert wird. Etwa in Bret Easton Ellis Roman „American Psycho“, in dem in der Ich-Erzählung Hauptfigur und Erzähler in einer Person vereint ist, wird eine Diskrepanz zwischen den sprachskeptischen Äußerungen der Figur und dem fast naiv-verplauderten Erzählduktus offenkundig, mit der er seine Gewalthandlungen sprachlich in Szene setzt. Es wäre zu fragen, ob auch auf diesen Ebenen eine andere Valenz der Gewaltinszenierungen gegenüber anderer erzählter Wirklichkeit behauptet beziehungsweise verworfen wird.

Bemerkenswert angesichts der bekannten Debatten über die politische Positionierung der Literatur Christian Krachts ist zudem die wohlwollende Lesart Novers, in der die krachtschen Texte geradezu als faschismuskritisch erscheinen. Wie auch immer man sich in der Debatte positioniert, wäre in diesem Zusammenhang eine genauere Auseinandersetzung mit kritischen Stimmen zu Krachts Texten wünschenswert gewesen, insbesondere zur Gewaltästhetik in „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“.

Von diesen Kritikpunkten abgesehen, bietet Novers Studie eine präzise Analyse des Verhältnisses von Sprache und Gewalt im Werk von Kracht und Ellis und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis ästhetisierter Gewalt in der Literatur um 2000.

Titelbild

Immanuel Nover: Referenzbegehren. Sprache und Gewalt bei Bret Easton Ellis und Christian Kracht.
Böhlau Verlag, Köln 2012.
310 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783412209476

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