Stimmiges Bild der Epoche

Sabine Appel legt eine kurzweilige Biografie zu Caroline Schlegel-Schelling vor

Von Veronika SchuchterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veronika Schuchter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Caroline Michaelis war zunächst mit einem gewissen Böhmer verheiratet. Dass sie dennoch als Caroline Schlegel-Schelling in die Geschichte einging, hat nicht nur pragmatische Gründe (drei Nachnamen wären wirklich unpraktikabel), sondern ist symptomatisch für das Leben aller berühmter Romantikerinnen. Caroline Schlegel-Schelling gehört zu den wenigen Frauen, die als bedeutend genug erachtet werden, Gegenstand einer Biografie zu werden. Bleiben die meisten Frauenleben im Schatten der Geschichte, kann man sich im Fall der als  Caroline Michaelis geborene Schriftstellerin, Übersetzerin und Kritikerin nicht über biografisches Desinteresse beklagen. Das ist wohl weniger ihrem Werk geschuldet als ihrem unkonventionellen Lebensstil. Neben Eckardt Kleßman, der schon mehrere Publikationen zu Schlegel-Schelling vorgelegt hat, gibt es bereits Biografien von Brigitte Roßbeck und Barbara Sichtermann, dazu Briefausgaben und eine kommentierte Bibliografie von Martin Reulecke.

Sabine Appel kann man getrost als erfahrene Biografin bezeichnen. Nach Goethe, Nietzsche, Madame de Staël und Heinrich VIII. widmet nun auch sie sich der schillernden Frühromantikerin. Appel erzählt äußerst lebendig und kurzweilig. Das macht die Lektüre spannend, schürt aber an manchen Stellen auch Misstrauen, ob einer etwas allzu freien Interpretation von Fakten. So wäre etwas Zurückhaltung und eine weniger blumige Sprache manchmal wünschenswert gewesen, etwa wenn es heißt: „Sie lebte aus einer inneren Mitte heraus, und das blieb auch ihr Kraftquell, was da auch kommen mochte. Manches, was sie später erlebte, hätte weniger starke Naturen zerstört.“ Doch Appels Biografie ist so kenntnisreich und fokussiert, dass man das gerne verzeiht. Viele Leser mögen sich gerade über die Abweichung vom für Biografien so typischen trockenen Sprachduktus freuen.

Die Spannung ergibt sich ohnehin schon aus Schlegel-Schellings Leben, das zum einen beinahe alle typischen, schichtspezifischen Stationen einer Frauenbiografie im 18. Jhd. aufweist und dabei doch exzeptionell bleibt. Hineingeboren in das Gelehrten-Milieu der Universitätsstadt Göttingen, nimmt ihr Leben zunächst einen gesellschaftlich goutierten Lauf: Zwar hatte sie die Möglichkeit sich zu bilden, die Vernunftheirat mit dem Familienfreund Böhmer war aber nur eine Frage der Zeit. Landarztgattin in der Provinz zu sein, machte Caroline zutiefst unglücklich. Es war der frühe Tod ihres Gatten, der es seiner Witwe ermöglichte, ein Leben zu führen, das ihren intellektuellen Fähigkeiten gerecht wurde. Der Drang zur Freiheit war freilich auch mit schmerzvollen Erfahrungen verbunden. Inhaftierung, gesellschaftliche Ächtung, der Verlust des unehelichen Sohnes, eine weitere Vernunftheirat mit August Wilhelm Schlegel und anhaltende politische Verfolgung prägen ihren weiteren Weg. Appel versteht es, die Individualität von Schlegel-Schellings Persönlichkeit herauszustreichen, ohne dabei das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Neben der gründlichen biografischen Erarbeitung wird auch ein stimmiges Bild des Milieus und der Epoche gezeichnet.

Besonders interessant und der wahrscheinlich größte Verdienst der Biographie ist es, nicht nur ein individuelles Frauenleben dargestellt zu haben, sondern die schon so ausführlich ergründete Welt der deutschen Frühromantik, des Geisteslebens in Göttingen zur Zeit Lichtenbergs, oder auch das Mainz zur Zeit der französischen Besetzung aus einer neuen Perspektive zu beleuchten. Über weite Strecken gelingt es, die androzentrische Brille abzulegen, was nicht leicht ist, angesichts der behandelten Epoche, in der Männer zwangsläufig zentraler Angelpunkt in Frauenbiografien waren. Schade ist, dass abermals der private Aspekt stark dominiert und dem Schaffen der Caroline Schlegel-Schelling weniger Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Auch die amourösen Verquickungen des frühromantischen Kreises kennt man eigentlich schon zur Genüge, wohingegen die Dynamiken, die Caroline Schlegel-Schelling zur Feindfigur stilisierte, die man mit drastischen Worten wie Dämonin und Luziferin bedachte und gar Exorzismen für von ihr betretenen Räumen empfahl, scharfsinnig skizziert werden und ein neuer, kritischer Blick auf die scheinbar so liberalen und freigeistigen ProtagonistInnen geworfen wird. Der beispielhaft abgedruckte Brief Henriette von Hovens an Charlotte Schiller etwa, die Schlegel-Schelling nicht nur ablehnte, sondern sie richtiggehend hasste, wovon viele Briefe lebhaft Zeugnis ablegen, offenbart die Kleingeistigkeit und die Missgunst, der Caroline nach ihrer Heirat mit Schelling noch stärker ausgesetzt war. An manchen Stellen kann man kritisieren, gleitet die Darstellung stark ins anekdotenhafte ab und wirkt dabei ein wenig sensationslüstern, etwa wenn Schlegel-Schellings Freundin Therese Heyne „eine heiße Affäre“ mit Friedrich Ludwig Meyer nachgesagt wird, den Caroline ihrerseits als eine Art Seelenverwandten betrachtete.

Der Aufbau der Biografie ist konventionell chronologisch, macht aber anhand der vielen Stationen der Caroline Schlegel-Schelling den lebenslangen Reifungsprozess und die starken topografischen und gesellschaftlichen Einflüsse darauf deutlich und ist insofern durchaus angemessen. Auch sonst geht Appel keine großen formalen oder ästhetischen Wagnisse ein, weshalb ihre Biografie sich nur wenig von den bestehenden abhebt. Es ist Kleßmanns Buch „Caroline“ von 1979, an dem sich jede weitere biographische Beschäftigung mit Schlegel-Schelling messen lassen muss. Appel muss sich da nicht verstecken, manches gerät bei ihr ausführlicher, die Gewichtung ist allerdings dieselbe. So bleibt wenig zu kritisieren und als Biographie ist „Das Wagnis der Freiheit“ durchaus empfehlenswert. Viel Neues bietet sie aber leider nicht. Der aktuelle Forschungsstand wird lediglich in eine neue Form gegossen, das allerdings sehr gekonnt.

Titelbild

Sabine Appel: Caroline Schlegel-Schelling. Das Wagnis der Freiheit: Eine Biographie.
Verlag C.H.Beck, München 2013.
287 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406646263

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