Abschied vom Buch?

Während sich die Gesellschaft auf elektronische Medien einstellt, verstärkt die Buchbranche ihre Erinnerungsarbeit

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An der Zahl der Kindle-Leser in den Bahnen lässt sich der Paradigmenwechsel in den Lektüremedien absehen. Noch sind sie in der Minderzahl, aber beinahe täglich vergrößert sich die Zahl derer, die es sich mit einem kleinen Kasten in der Bahn mehr oder minder bequem machen.

Immerhin scheint die Technik gut genug zu funktionieren. Es ist erst ein paar Monate her, dass sich Harald Martenstein in seiner Glosse im „Zeit“-Magazin darüber echauffierte, dass die Displays der ganzen elektronifizierten Hilfsmittel der Gegenwart bei normalem Sonnenschein schon nicht mehr lesbar seien. Was wolle man also mit einem Gerät, das mehr kann als Großrechner der 1950er-Jahre und mehr Bücher und Platten speichern kann, als man je lesen oder hören wird, wenn man es nur im Schatten oder bei Nacht bedienbar ist. So oder so ähnlich Martenstein. Bei Buchlesegeräten der neuen Generation ist das kein Problem. Sie simulieren die Buchseite wie kaum ein Buch das kann. Also, warum nicht?

Das denkt sich wohl auch die Branche, jedenfalls wenn man den bitteren bis abgeklärten Kommentaren während der letzten Buchmesse folgen darf, die beklagten, dass sich die Buchhändler anscheinend mehr und mehr auf Gimmiks statt auf Bücher besännen. Oder die das neue Zeitalter der elektronischen Speicher- und Lesemedien einläuteten. Zum Beispiel mit Hinweisen darauf, dass die Zeit der großvolumigen Ausstellungskataloge wohl bald vorüber sei. Sei die Abbildungsqualität von elektronischen Bildern doch deutlich besser als die von gedruckten. Mal von den eingesparten Regalmetern abgesehen, mit denen sich die leidenschaftlichen und unbelehrbaren Kulturreisenden fürderhin nicht mehr abplagen müssten. Endlich einmal Platz für … für irgendwas anderes, ist ja auch egal.

Gerade Ausstellungskataloge? Eine Widerrede ist wahrscheinlich ebenso unsinnig wie der Versuch, die Automatisierung der Webkunst zurückzudrehen oder die Klage über den Verlust der Aura im Zeitalter der Reproduzierbarkeit.

Die an Ehrfurcht erinnernde Vorfreude, die jedenfalls für viele das Aufschlagen jener visuellen Schatzkammern von Kunst und Kultur begleitet, als die heutige Ausstellungskataloge daherkommen, wäre jedenfalls für immer verloren, wenn an ihre Stelle das Öffnen und Durchscrolen von pdf-Dokumenten treten würde. Jüngst noch der Katalog der Kölner Sonderbundausstellung 1912, „Mission Moderne“: ein unerhört voluminöser Katalog mit einigem Gewicht, mit nie enden wollenden Beiträgen zu jedem Spezialaspekt der Ausstellung, mit der Rekonstruktion der Original- und der Präsentation der Jubiläumsausstellung. So etwas schleppt man nach Hause, legt es auf den Lesetisch und blättert immer wieder darin, allein, um sich an den Abbildungen zu erfreuen und sich daran zu erinnern, was man im Original gesehen hat. Bis dann der Katalog über Jahre im Regal verschwindet und sich zu Seinesgleichen gesellt.

Für die Museen ist das ein bleibender Ausweis, für die Verlage wohl ein gutes Geschäft und für die Besucher einer bleibende Erinnerung und der Ausweis von Kennerschaft oder wenigstens von Bemühen darum. Eine CD, DVD oder ein Link stattdessen? Klein, fein, schnell – ja, auch gut und präsentabel, aber schnell vergessen, verkramt, gelöscht.

Das Buch mag das alles nicht retten, aber vielleicht muss das auch gar nicht sein, wenigstens für die kommenden Jahre nicht.

Die Buchbranche aber agiert so, als ob sie mit ihrem baldigen Untergang rechnen würde und für diesen Fall – frei nach Ray Bradbury – noch einige Memorabilien auf den Markt werfe. Keine Frage, alles das, was es im Folgenden zu berichten gibt, hat es so oder anders auch früher gegeben. Aber der Kontext macht den Unterschied. Und der ist 2012 nun sehr auf schöne eine neue Welt ausgelegt.

Dass man einiges zu verlieren hat, wenn man die Welt der Bücher Welt der Bücher sein lässt, ist einem soeben erschienenen Band von Mathieu Lommen zu entnehmen: „Das Buch der schönsten Bücher“ stellt die schönsten Bücher aus den Sondersammlungen der Universität von Amsterdam vor. Von Büchern aus der Zeit der Wiegendrucke bis zu den artifiziellen Exponaten der jüngeren Vergangenheit, die aus einem Buch mehr zu machen wissen als zusammengebundene bedruckte Seiten, sind hier auf gut 450 Seiten zu bewundern. Und Bewunderung, darauf ist der Band angelegt, der bei DuMont produziert worden ist. Auf zwei bis drei Doppelseiten werden Bücher gezeigt, Umschlag, Beispiele von Innenseiten, Illustrationen und typografischen Lösungen, die Lommen besonders interessieren. Buch, Druck und Typografie sind untrennbar miteinander verbunden. Und so finden sich neben knappen Beschreibungen von Autor und Buch eben auch kurze Hinweise auf die verwendete Schrifttype und deren Geschichte.

Die Liste der präsentierten Buchwerke ist lang und voller bekannter und überraschender Namen: Die Kommune 1 hat es in die Sammlung geschafft („Klau mich“, 1969), wer hätte das gedacht; Eadweard Muybridges „Animal Locomotion“ ist dabei, was nicht wundert, schon allein des Umfangs dieses fotografischen Projektes wegen, und selbstverständlich gibt es einen Schwerpunkt bei der experimentellen Typografie des frühen 20. Jahrhunderts und ihren Folgen: Jan Tschichold, Herbert Bayer, Theo van Doesburg und Käthe Schweinitz mit Kurt Schwitters’ „Scheuche“, John Heartfield mit Kurt Tucholskys „Deutschland Deutschland über alles“, Harry Graf Kessler ist dabei, ein Katalog der Wiener Werkstätten oder einer der AEG, den Peter Behrens gestaltet hat. Daneben selbstverständlich die zahlreichen Niederländer, Engländer, Amerikaner, Italiener und Franzosen, die ihre Verdienste im Handwerk des Büchermachens haben und deren Werke in der Amsterdamer Sammlung ihre Zuflucht vor den bücherlosen Zeiten gefunden haben. Nicht zu vergessen die Osteuropäer.

Lommens Zusammenstellung ist ein Bilderbuch von Büchern, unter dabei vor allem von Büchern übers Büchermachen, und genau darin besteht sein Reiz. Es zeigt den gestalterischen Wert von profanen Alltagswerken, die mit professioneller Sorgfalt gefertigt wurden, ebenso wie die ungemeine Qualität von Werken, die nur in kleiner Auflage für eine kleine Zielgruppe hergestellt wurden. Druckkunst ist ein Handwerk, das aber – mit Sorgfalt gepflegt – ungemein Praktisches und Schönes hervorbringen kann. Und das Leben ist zu kurz für scheußliche Bücher. Solange es denn Bücher noch gibt.

Titelbild

Mathieu Lommen / Cees W. de Jong (Hg.): Das Buch der schönsten Bücher.
DuMont Buchverlag, Köln 2012.
464 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783832193782

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