Wilde (und) Frauen

Alfred Döblin monumentale Zukunftsvision „Berge Meere und Giganten“ als Taschenbuch neu aufgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage, die sich alle Sience Fiction in diversen Variationen immer aufs Neue stellt, lautet bekanntlich: Was wäre, wenn? Alfred Döblin nun fragte in seinem dem Genre zuzurechnenden, nicht nur den Umfang betreffend geradezu monströsem Werk „Berge Meere und Giganten“, was wäre, wenn die Menschheit so weiter machte wie bisher? Nun liegt der Roman in einer für seinen Umfang sehr günstigen Taschenbuchausgabe vor.

Für seine Antwort benötigt der Autor rund siebenhundert Handlungsjahre und etwa ebenso viele Druckseiten. Beginnend mit der Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs eilt das Geschehen zunächst im Sauseschritt über die Schlachtfelder der Jahrhunderte, bis es im 27. anlangt. Nun schreitet die erzählte Zeit ruhiger voran, ohne allerdings ruhiger zu werden, und die bislang eher sporadisch auftretenden Figuren gewinnen an Konstanz und Kontur, denn sie bleiben den Lesenden über diverse hundert Seiten und das eine oder andere Handlungsjahrzehnt hinweg erhalten. Doch fallen auch sie wie alle ihre Vorgänger und Vorgängerinnen früher oder später dem mörderische Geschehen auf den mit immer moderneren Waffen ausgestatteten Schachtfeldern zum Opfer, oder sie werden von Intrigantenhand gemeuchelt. Denn der Tod hat viele Väter in Döblins Roman, nicht nur den Krieg. Der Traum der technischen Unvernunft etwa gebiert Ungeheuer, die aus dem schmelzenden Eise Grönlands kriechen und die Menschheit vernichteten, böten nicht die genetisch veränderten Giganten, den teils urzeitlich anmutenden, teils fantastischen Wesen Paroli, bevor sie sich gegen ihre Schöpfer selbst wenden.

Doch Döblins Roman ist nicht nur – wie die Science Fiction so oft – technik- kritisch, um nicht zu sagen technik- feindlich, sondern auch dem menschlichen Geschlecht gegenüber von einer skeptischen Haltung geprägt, die man heute ‚grün‘ nennen würde. „Die ganze Erde braucht Erholung von den Menschen“, konstatiert die Erzählstimme nach einigen Jahrhunderten Vernichtungswüten.

Auch ließe sich sagen, dass die Skepsis nicht nur grün, sondern auch misogyn ist, scheint sie doch dem einen Menschengeschlecht mehr noch zu gelten als dem anderen. Denn die Mütter des Todes sind nicht weniger zahlreich als seine Väter – und bekanntlich ist der Krieg in einer der Nachbarsprachen des Deutschen denn auch weiblichen Geschlechts, zumindest grammatisch. So sind die Frauen den Männern in Döblins naher Zukunft zunächst einmal nicht nur gleichgestellt, sondern – zumindest was Grausamkeit und der gleichen mehr betrifft – geradezu überlegen. Denn sie besitzen „die gleiche sachliche Kälte wie die Männer, dazu größere Brutalität“.

Auch werden Frauen und ‚Wilde‘ gerne parallelisiert, wie man dies ja bereits von den Herren Aufklärern des 18. Jahrhunderts kennt. Was in Döblins Zukunftsvision ehedem „in phantastischer Weise aufkommende Negerschläge“ an Verbrechen vollbrachten, wird bald darauf von „entarteten Frauen“ verübt. Überhaupt ist der Roman nicht frei von rassistischen Anklängen, so werden „wilde südliche Gesichter feinen weißen Zügen“ gegenübergestellt, „der Hang des afrikanischen Erdteils, seine Kinder herüberzuschicken nach Norden und Westen“ beklagt oder kannibalische Akte mit der „afrikanischen Durchflutung europäischen Blutes“ begründet.

Nach etlichen Jahrzehnten der Schlachten und des Abschlachtens entwickelt sich ein despotisches Matriarchat. Die Macht der Frauen und die Frauen an der Macht bedeuten alsbald den Tod der Familie. Denn sie leben in „gewaltigen Kameradien“ zusammen, welche die „Initiative für den Schutz und die Aufziehung kleiner Kinder“ übernehmen. Weit fataler aber noch stellt das Romangeschehen die Wandlung des Gebäraktes dar. Denn die Frauen verstehen es, ihre Fähigkeit Kinder zu gebären „aus einer Schwäche zu einer Stärke zu gestalten“. Denn sie bestimmen, „wer von ihnen und wie viele sich zum Gebärakt herzugeben hatten“, um eine „Menschenzüchtung“ in ihrem Sinne voranzutreiben. Sie besteht vor allem darin, „nur eine geringe Zahl männlicher Kinder am Leben zu erhalten“. Da „Frauen zwar vergewaltigt, aber nicht zum Gebären gezwungen werden“ können, wird „das Gebären der Kinder die furchtbarste Waffe gegen die Männer“.

Frauen treten in dieser Epoche vornehmlich als tyrannische Femmes Fatales auf, die als „weiße Frauen“ und „Wunderexemplare der Menschheit“ von geradezu „phantastischer Schönheit“ sind oder sich wie die mörderische Melise gerne nach der Göttin des Hades Persephone nennen und nicht nur Männern, sondern mehr noch jungen Frauen zugetan sind, die ihrem Begehren nicht selten erliegen. Nach der schließlichen Niederlage der Frauen und dem Ende ihrer Tyrannei nehmen die Männer furchtbare Rache und überbieten die Grausamkeiten der Frauen nicht selten noch um einiges. Die Sexualität aber bleibt in jedem Fall ein tödlicher Geschlechterkampf, dem als Wette inszeniert zum Opfer fällt, wer „die furchtbare eisenklirrende zerreißende Qual der Lust“ empfindet.

Neben der männermordenden Femmes Fatale kennt der Roman auch ihr Gegenüber, die Heilige wie etwa die sanfte Melina oder die „immer süße und milde“ Vaneska, eine unschuldige Eva-Figur „ohne Scham“, die den „Unterschied von Leben und Tod“ schwinden macht.

Schließlich wollen sich die Menschen in ihrer Hybris die Erde untertan machen und Grönland enteisen, auf dass eine „klimatische Änderung der ganzen nördlichen Halbkugel“  einsetze, es wieder Grünland werde und ‚neuen Lebensraum im Norden‘ biete. Das Vorhaben gelingt, soweit es den technischen Teil betrifft, mithilfe der gebändigten Energie isländischer Vulkane. Die Folgen aber sind alles andere als beabsichtigt. Denn aus dem grönländischen Eis brechen Ungeheuer hervor. Sie zu besiegen, schaffen die verzweifelten Menschen die Spezies der Giganten, die von unbestimmten Geschlecht sind, sind sie doch „nicht Mann und nicht Weib“ sondern „Männer und Männinnen“ oder gar „Mischwesen“ wie „weibliche Jünglinge“. Während diese „Gestalten“, die sich „über ihr Geschlecht selbst nicht klar“ sind,  marodierend durch Europa ziehen, lässt Döblin kaum zufällig eine Frau in der ErlöserInnenrolle auftreten. Wer sonst könnte für die Rettung der Welt zuständig sein, als ein unschuldiges weibliches Wesen. Starb die erotisierte Melina noch einen grauenvollen Tod, so verkörpert sich in der zum Mythos erwachsenden Vaneska das zukunftsweisende mit dem Versprechen einer grünen Utopie behaftete „ährenwiegende weite Land“, dem Döblin am Ende seines Romans „unweit der belgischen Meeresküste“ Raum schenkt.

Man könnte Döblins Monumentalwerk ungeachtet aller misogynen Weiblichkeitsklischees und all der anderen Fantastik vielleicht sogar realistisch nennen, wäre da nicht dieser optimistische Schlusspunkt.

Titelbild

Alfred Döblin: Berge Meere und Giganten. Roman.
Mit einem Nachwort von Gabriele Sander.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2013.
656 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783596904648

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