Grenz-Diskurs

Der Sammelband „Intermedialität in der Komparatistik – Eine Bestandsaufnahme“ theoretisiert auf höchstem Niveau

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Intermedialität ist Grenzüberschreitung. Das macht sie als Schlagwort in einer auf Globalisierung ausgerichteten Welt so attraktiv. Schwierigkeiten bereitet demgegenüber ihre konkrete Definition. Nicht zu Unrecht wurde der Begriff von Irina O. Rajewsky in Anlehnung an Umberto Eco als ‚termine ombrellone‘ bezeichnet, unter dem eine Flut an komplexen medialen Konfigurationen firmiert.

Der von der Universität Innsbruck herausgegebene Sammelband „Intermedialität in der Komparatistik – Eine Bestandsaufnahme“ will solcher Vielfalt Rechnung tragen, wobei der Untertitel ‚Bestandsaufnahme‘ theoretische wie empirische Aufarbeitung meint. In der Einleitung stellt Dunja Brötz fest: „Ganz allgemein gesprochen lässt sich mit dem Begriff ‚Intermedialität‘ somit ein Forschungsfeld umreißen, das sich sowohl der Untersuchung von Relationen zwischen verschiedenen Künsten bzw. Medien widmet, als auch der Analyse der Ergebnisse, künstlerischen Produktionen und Spielarten, die aus diesen Beziehungen hervorgehen.“

Gleichzeitig wird herausgestellt, dass eine differenziertere Definition von der Untersuchungslage und dem geisteswissenschaftlichem Kontext abhängt. In den 1980er-Jahren kam der Terminus erstmals auf, seine theoriegeschichtlichen Stationen reichen allerdings Jahrhunderte zurück. Einen ersten Höhepunkt stellte während der Aufklärung Lessings Laokoon-Schrift von 1766 dar, in der er die entscheidenden Spezifika von bildender Kunst und Literatur herausarbeitete. Als einer der ersten Künstler der Neuzeit wies er „explizit auf ästhetische, semiotische und gestalterische Unterschiede zwischen den Künsten hin.“

Hier wurde bereits ein Problem wie Phänomen thematisiert, das heute am Anfang des 21. Jahrhunderts gerade wieder neue Ausformungen erfährt. Dessen komparatistische Analyse, wie Fridrun Rinner betont, ist auch immer als kulturelle Austauschleistung zu verstehen. Ulrike Söllner-Fürst etwa studiert die werkinterne Intermedialität in Bora Ćosićs Erinnerungsbuch „Eine kurze Geschichte in Agram“ (2011), an dem vor allem das produktive Transferverhältnis zwischen den Leitmedien Sprache und Architektur auffällt. Andere Studien befassen sich mit dem Kino. Bei Literaturverfilmungen, hier Martin Scorseses Adaption „The Age of Innocence“ (1993) von Edith Whartons Roman, versteht sich Intermedialität als werkübergreifende Textur von selbst. In einem biografischen Werk wie „Meine ‚Zigeuner‘ Mutter“ von Therese L. Ràni, das die Traumatisierung einer KZ-Überlebenden und ihrer Nachkommen behandelt, dient das intermediale Zusammenspiel von Bild und Ton der Übersetzung einer existenziellen seelischen Erschütterung. Ewald Kontschieder wiederum durchleuchtet die Tanzkunst auf Interdisziplinarität und Narrativität in postchoreografischen Zeiten. Dagegen konzentriert sich Anita Moser auf Performances mit dissidenter Energie, bei denen Intermedialität nicht nur Medienkopplung und -wechsel, sondern auch die „Destabilisierung und Verschiebung der Trennlinien zwischen dem Realen und Fiktiven“ umfasst.

Die literaturwissenschaftliche Qualität dieser aktuellen Publikation ist unbestritten, der überdeutlich akademische Stil freilich ein Hindernis bei der Lektüre. Mit ihrer Theorielastigkeit, den Neologismen, den Fachtermini und dem exponierten Fremdwortgebrauch richten sich die Artikel ausnahmslos an ein wissenschaftliches, in diesem Fachgebiet vorgebildetes Publikum: Forscher unter sich. Ebenso ist die Auswahl der zu untersuchenden Kunstwerke meist bewusst unpopulär gehalten, was speziell bei den erwähnten Tanzstücken, Installationen und Performances auffällt. Das wird dem vielschichtig-substanziellen Phänomen Intermedialität nur bedingt gerecht, das tatsächlich mehr ist als ein Hürdenlauf über Theorien, wie beispielsweise Julia Pragers Beitrag zur „Intermedialität als Herausforderung der Gefühlspolitik“ suggerieren könnte.

Mithin war es eine gute Idee, den abstrakten Aufsätzen etwas konkrete Kunst zur Seite zu stellen, wird Intermedialität dadurch doch wieder zu einem Teil der optischen Wahrnehmung. Und nicht nur der intellektuellen. Zwei vom jeweiligen Urheber mit erläuternden Begleittexten flankierte Fotoarbeiten sind im Buch abgedruckt. Georg Simbeni will mit seinen sich als Lichtspiel zu erkennen gebenden Bildern die „räumliche Verlängerung des kinematografischen Moments der Des-/Identifikation“ bannen. Arno Gisinger hingegen reflektiert mit 36 Standbildern von Walter Benjamins Exilorten, über die Fragmente von dessen Korrespondenz gelegt sind, „das Hier und Jetzt von Orten und Nicht-Orten der Geschichte“.

Einen weiteren Impuls hat Intermedialität durch den ‚digital turn‘ erfahren. Das Internet, ohnehin ein endloses Textreservoir, hat narrativen Eingang in die Literatur gefunden und selbst eine strukturell neue Online-Literatur hervorgebracht. Philipp Sperner geht gar so weit, den Computervirus als Avantgarde-Kunst beziehungsweise künstlerische Waffe zu verhandeln. Das mag provokant klingen, dient allerdings einem ausgedehnteren, multiperspektivischen Blick auf moderne Medienkunst. Und führt wieder auf den entscheidenden Grundgedanken zurück: Intermedialität ist Grenzüberschreitung. Auch in den Köpfen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Dunja Brötz / Beate Eder-Jordan / Martin Fritz (Hg.): Intermedialität in der Komparatistik. Eine Bestandsaufnahme.
Innsbruck University Press, Innsbruck 2013.
283 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783902811813

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch