Liebe in Zeiten ihrer Onlinevermarktung

Gill Gartenstadt legt mit „Automatenhelden“ ihr witziges, feinfühliges und bisweilen melancholisches Debüt vor

Von Frank WeiherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Weiher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Qui du cul d’un chien s’amourose, il lui paraît une rose“: „Wer sich in den Arsch eines Hundes verliebt, dem scheint er eine Rose.“ Dieser Satz, der trotz seiner derben Wortwahl der Feder Marcel Prousts entstammt, steht als Motto über Gill Gartenstadts Buch „Automatenhelden. Ein Jahr Online-Dating.“ Es ist die Hausangestellte Françoise, die in ihrer bäuerlich bodenständigen Art hierin auf die Formel bringt, was bei Proust Gegenstand unendlicher Reflexionen über die Liebe und das Unverständnis noch der besten Freunde bezüglich der jeweiligen Partnerwahl ist. Denn das ist ja die große Tragödie des besten Freundes, Robert de Saint Loup, dass er ein Vermögen opfert für jene Rahel, die sich dem Ich-Erzähler für ein paar Luis d’or hingegeben hätte. Es ist evident, dass diese Diskrepanz zwischen Schein und Sein bezüglich der Fremd-, wie übrigens auch der Selbstwahrnehmung, in Zeiten omnipräsenter Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken und auf Online-Plattformen zugenommen hat und sich bis zur Unentwirrbarkeit verdichtet.

Über die Irrungen und Wirrungen, die Lügen und die Vermarktungsstrategien des Onlinedatings und seiner Nutzer hat Gill Gartenstadt mit „Automatenhelden“ mehr als eine Dokumentation geschrieben, nämlich eine hoch literarische Darstellung ihrer eigenen Gefühlswelt. Sie verwendet in ihrem Werk weitestgehend die originalen Portal- und Chattexte, die Kurznachrichten, die man austauschte, und die Verlaufsprotokolle der Kontaktaufnahmen. Dies tut dem Buch gut, denn hierdurch erreicht die Autorin, wie sollte es auch anders sein, die Authentizität der Darstellung heutiger Kommunikationsformen, deren Absurdität – inklusive der zahlreichen Tipp- und Rechtschreibfehler – nur schwer zu erfinden wäre. Als Martin Walser etwa in „Ein liebender Mann“ für Goethe einen SMS-Text erfunden hatte, zeigte er ja lediglich, dass er von heutigen Kommunikationsformen so wenig versteht, wie der Alte aus Weimar selbst.

Die Tatsache, dass die Selbstpräsentationen auf Partnerbörsen in erster Linie Interesse wecken sollen, nutzt Gill Gartenstadt natürlich klug für sich, denn der Leser hat unmittelbar selbst das Interesse zu erfahren, wer und was sich hinter dieser Selbstdarstellung verbirgt. Und wenn die Männer, die sie auf den Partnerbörsen findet, auch alle eher Hundeärsche als Rosen sind, so verfällt die Autorin nicht in ein unendlich monoton sich immer erneut wiederholendes Rondo, das sich lediglich von einer Erwartung in die nächste Enttäuschung stürzt. Hiervor wird die Autorin durch ihr literarisches Talent bewahrt, die sensible und treffgenaue Darstellung ihrer Empfindungen.

Darüber hinaus durchzieht ihre Liebe zu Marc, dem „Automatenhelden“ auch gewidmet ist und den sie als ersten Datingpartner kennenlernt, das gesamte Buch. Da er sich nur spärlich bei ihr meldet, aus seiner Person und seinem Leben ein großes Geheimnis macht – er gibt sogar vor, einen Roman zu schreiben, wie so einige Hochstapler und Selbstwichtignehmer das tun – kann die Autorin hier mit Verve die devoten Seiten der Liebe und ihres eigenen Psychohaushalts schildern. Nach eher unbeholfenen, skurril-witzigen als erotischen Ansätzen zum Dirtytalk via Chat und SMS, kommt es bei der einzigen sexuellen Begegnung der beiden lediglich zur Onanie und zur Masturbation – die Chiffren der Einsamkeit. Und Marc gibt im Anschluss Einblicke in seinen neurotischen Waschzwang.

Insgesamt ist festzuhalten, dass es sich bei „Automatenhelden“ um ein extrem kurzweiliges, sowohl unterhaltsames als auch witziges Buch handelt, das sowohl von den charmanten Geistesblitzen und Kommentaren der Autorin, als auch von deren offener Art lebt. Sie versteift sich hierbei nicht – und das macht die Lektüre sehr angenehm – in einen egozentrischen Seelenstriptease, der schnell langweilen und noch schneller peinlich wirken würde. Schwankend zwischen Dokumentation der Erfahrungen mit Partnerbörsen durch Wiedergabe der Verlaufsprotokolle und der literarischen Schilderung ihrer Gedanken, Einschätzungen und Wünsche, schlägt das Pendel in „Automatenhelden“ schließlich zugunsten der Literatur aus. Man kann auf Gill Gartenstadts nächstes, dann vermutlich ‚rein‘ literarisches, Werk gespannt sein.

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Gill Gartenstadt: Automatenhelden. Ein Jahr Online-Dating.
Books on Demand, Meerbusch 2013.
268 Seiten, 9,98 EUR.
ISBN-13: 9783000426988

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