Nichts vergessen

In Antonio Hills zweitem Barcelona-Krimi „Der einzige Ausweg“ kommt Inspektor Héctor Salgado einem tödlichen Geheimnis auf die Spur

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Etwas stimmt nicht in der aufstrebenden Kosmetikfirma der Geschwister Alemany. Gerade befördert, hat der ansonsten unauffällige Angestellte Gaspar Ródenas an einem Sonntagmorgen im September 2010 plötzlich seine Frau, das kleine Töchterchen und anschließend sich selbst getötet – ohne einen Hinweis zum Grund dieser Bluttat zu hinterlassen.

Was die Presse noch als einen von etlichen Fällen plötzlich ausbrechender häuslicher Gewalt von Männern darstellt, erscheint einige Wochen später allerdings in einem neuen Licht. Mit dem grausamen Freitod einer jungen Frau, die sich in einer U-Bahn-Station der katalanischen Metropole vor einen einfahrenden Zug geworfen hat, werden Zusammenhänge deutlich, die die Kriminalpolizei auf den Plan rufen. Denn auch die Österreicherin Sarah Mahler war in der Firma von Silvia und Victor Alemany beschäftigt. Und es gibt weitere Angestellte, die offensichtlich etwas zu verbergen haben und dabei von Tag zu Tag nervöser werden.

„Der einzige Ausweg“ ist nach „Der Sommer der toten Puppen“ (2012) der zweite Kriminalroman des Spaniers Antonio Hill. Und den hat die Inspiration, die seinen Erstling zu einem herausragenden Debut machte, offensichtlich nicht verlassen. Wieder ermittelt mit dem aus Argentinien stammenden Inspektor Héctor Salgado ein rauher Typ, der seine Fäuste gelegentlich nicht unter Kontrolle hat und weiterhin unter der Trennung von seiner Frau Ruth leidet, die noch dazu plötzlich verschwunden ist und ihm mit dem pubertierenden gemeinsamen Sohn Guillermo ein Problem hinterließ, das ihn gelegentlich an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt. Erneut vermeidet es Hill geschickt, das Barcelona unserer Tage zur bunten Kulisse eines Plots verkommen zu lassen, der auch überall anders auf der Welt spielen könnte, ohne es andererseits so mit Bedeutung zu überladen, dass darüber Handlung und Figuren beliebig würden. Und zusätzlich atmet der Roman – für einen Krimi nicht unbedingt selbstverständlich – viel von den aktuellen Problemen eines der am meisten von der Finanzkrise betroffenen Länder Südeuropas.

Das beste an Hills Buch freilich ist, dass dessen Held bei aller Intuition und Brummigkeit noch genug Platz lässt für andere interessante Figuren, die Inspektor Salgado entweder kongenial ergänzen wie seine beiden Kolleginnen Martina Andreu und Leire Castro – oder ihn zum Widerspruch reizen wie der junge, gerade in der Einarbeitungsphase steckende Roger Fort.

Einen ganz eigenen Handlungsstrang etwa hat der Autor für die zielstrebige, aber hochschwangere und deshalb vorerst aus dem Dienst ausgeschiedene Leire Castro reserviert. Weil der zu Hause die Decke auf den Kopf zu fallen droht, nimmt sie die bereits zu den Akten gegebene Suche nach Héctor Salgados Frau Ruth wieder auf – natürlich hinter dem Rücken des Kommissars und aller anderen Vorgesetzten – und binnen kurzer Zeit gelingt es ihr, einen neuen Zugang zu diesem Fall zu finden, der Ruths Geschichte in historische Zusammenhänge bringt, die zurückreichen bis in die Zeit des spanischen Bürgerkriegs.

Es sind übrigens acht Kolleginnen und Kollegen der Kosmetikfirma Alemany, die an einem Teambildungs-Wochenende teilgenommen haben, in dessen Verlauf etwas passierte, das die späteren tragischen Ereignisse auslösen sollte. In der Wohnung von Sara Mahler auf ein Foto gestoßen, welches die Gruppe um die Firmenchefin Silvia Alemany zeigt, nähert sich Héctor Salgado hartnäckig und gelegentlich mit kleinen Tricks diesem Geheimnis, das die Teilnehmer jenes Lehrgangs auf der einen Seite zusammenschweißt und jedem Einzelnen von ihnen den Mund verschließt, sie alle zusammen aber auch erpressbar macht und in Lebensgefahr bringt. Dass die Lösung der Geschichte am Ende dennoch zu überraschen vermag, ist ein weiteres Plus dieses geschickt komponierten Romans, der noch dazu auf seiner allerletzten Seite mit einer Enthüllung aufwartet, die nachgerade nach einem dritten Band schreit.

Titelbild

Antonio Hill: Der einzige Ausweg. Ein Barcelona-Krimi.
Übersetzt aus dem Spanischen von Thomas Brovot.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2013.
391 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783518464878

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