Arbeit für eine bedeutende Institution

Christel Berger erinnert sich an die Akademie der Künste der DDR

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

War er nun für oder gegen das SED-Regime? Auf diese Frage, gern mit der nach Stasi-Kontakten angereichert, beschränkt sich immer noch häufig die Diskussion über Künstler in der DDR. Die simple Entgegensetzung vernachlässigt, dass viele Schriftsteller, Maler, Regisseure oder Komponisten zwar in mancher Hinsicht Reformbedarf sahen, damit jedoch keine grundsätzliche Ablehnung eines sozialistischen Staats verbanden. Bis in das Jahr 1990 hinein versuchten sie, eine konstruktive Opposition zu sein.

Die Akademie der Künste der DDR war eine Institution, die vom Staat nach heutigen Maßstäben luxuriös ausgestattet war und fast ohne Einschränkungen Diskussionen ermöglichte. Es handelte sich dabei keineswegs um ein Privileg einer grundsätzlich herrschaftskonformen Elite: Eine Vielzahl öffentlicher Veranstaltungen machte das Gedachte nach außen zugänglich. Wie in jedem historisch bekannten Staat war sie keine Anstalt zur Vorbereitung einer Revolution: Bei der Zuwahl von Künstlern wurden Konfliktkandidaten zuweilen durch neue Mitglieder, die der DDR weitgehend positiv gegenüberstanden, schmackhaft gemacht. Doch repräsentiert die Mitgliedschaft – auch aus dem historischen Abstand eines knappen Vierteljahrhunderts betrachtet – mit wenigen Ausnahmen das Beste, was die DDR-Kultur hervorgebracht hat. Die SED war klug genug, sich eine qualifizierte Akademie zu leisten. Eine andere Frage ist, ob es klug war, auf diese Akademie dann fast grundsätzlich nicht zu hören.

Christel Berger diente, wie der etwas unglückliche Titel ihres Buches verrät, als „Magd im Dichter-Olymp“. Ins Sachliche übersetzt heißt dies, dass sie seit 1981 als Mitarbeiterin der Sektion Dichtung und Sprachpflege den Schriftstellern organisatorisch zuarbeitete und dabei durchaus Einfluss auf Veranstaltungen oder Ausstellungen nahm. So sehr Berger Stimmungen übermittelt, so wenig handelt es sich um ein bloßes Erinnerungsbuch: Berger hat ihre Eindrücke mit dem Aktenbestand der Akademie abgeglichen und greift in ihrer Darstellung vielfach über die letzten zehn Jahre der DDR hinaus.

Das gilt insbesondere für die fünf Dichterporträts, die den Schwerpunkt des zweiten Bandes ausmachen. Die Werke von Stephan Hermlin, Franz Fühmann und Peter Hacks werden auch heute noch beachtet. Berger erinnert auch an den leider vergessenen Drehbuch- und Hörspielautor Günther Rücker, mit dem sie eng zusammenarbeitete, weil er von 1974 bis 1982 Sekretär der Sektion war. Von großer Sympathie geprägt ist Bergers Kapitel über Waltraud Lewin, die 1985 in die Akademie gewählt wurde und als einzige der fünf Schriftsteller heute noch lebt und publiziert. Wertvoll ist das von Berger dokumentierte Protokoll, das Lewins Zuwahl betrifft: Es zeigt exemplarisch ästhetische Konfliktlinien und die institutionelle Logik der Entscheidungen in der Akademie. Deutlich wird zudem, wie autonom die Akademie innerhalb eines gegebenen Rahmens entschied – ein Rahmen, den der von Hacks in die Diskussion gebrachte Stefan Heym gesprengt hätte.

Der Vorschlag, Heym zu wählen, verdeutlicht auch, dass wichtigstes Kriterium für Zuwahlen und ebenfalls für Preisverleihungen die ästhetische Qualität war. Spätestens seitdem Hacks 1976 die Ausbürgerung Wolf Biermanns gerechtfertigt hatte, war klar, dass er auf eine stark lenkende staatliche Kulturpolitik setzte. Heym dagegen galt als Repräsentant einer dissidentischen Opposition. Politisch gab es zwischen den beiden Schriftstellern keine Gemeinsamkeit, doch stand Heyms literarisches Können im Vordergrund.

Aus Hacks’ Sicht war es der literarisch-handwerkliche Aspekt, der eine Zusammenarbeit ideologisch unterschiedlich ausgerichteter Autoren ermöglichen sollte; die von ihm geleiteten Arbeitsgruppen legen davon Zeugnis ab. Veranstaltungen mit allgemeinpolitischen Themen stand er skeptisch gegenüber. Tatsächlich war klar, dass alle Dichter aus dieser Akademie gegen den Faschismus und für den Frieden waren und entsprechende Lesungen und Kongresse nur wenig Ergebnisse brachten. Gerade eine Tagung wie die „Berliner Begegnung zur Friedensförderung“ 1981 hatte aus Sicht der Veranstalter ihren Hauptzweck darin, dass sie stattfand – und zwar mit Beteiligung westlicher Künstler. In einer Zeit, in der Systemkonfrontation und ein möglicher Atomkrieg den Fortbestand der Menschheit bedrohten, schien jede vertrauensbildende Maßnahme sinnvoll.

Indessen kann auch Vertrauensbildung auf Misstrauen stoßen, und zwar nicht nur bei den Regierungen, die mit Skepsis auf das Treiben der Künstler blicken, sondern auch bei Künstlern selbst. Berger schildert eine Vielzahl solcher Konstellationen und zeigt fast durchgehend Sympathie für die Reformer, die Friedensfreunde, kurz: für diejenigen, die jenseits staatlicher Begrenzungen offen diskutieren wollen. Die wenigen Künstler, die in die Diskussion explizit einen sozialistischen Klassenstandpunkt einbrachten, kommen bei Berger meist nicht sehr gut weg. Auf der anderen Seite kennt sie natürlich das Ergebnis: Der Westen gab 1989 einer eigenständigen Entwicklung der DDR keinen Raum. Er beharrte darauf, die Sowjetunion totzurüsten und dehnte nach deren Ende die NATO gegen alle Zusicherungen, die Russland erhalten hatte, weit nach Osten aus. Tatsächlich gab es im Westen keinen Partner, dem die Reformer hätten vertrauen können. Selten ist in der Geschichte ein Konzept gründlicher gescheitert als Michail SergejewitschGorbatschows Neues Denken, demzufolge Ost und West die Menschheitsprobleme gemeinsam hätten lösen sollen.

Berger mag diese Konsequenz nicht ziehen. Sie bleibt bei ihrer Sympathie für sozialistische Reformer, deren Vorhaben tatsächlich niemals einen Ansatz von Realitätstauglichkeit hatte. Ein freiheitlicher Sozialismus direkt an der europäischen Systemgrenze besaß weder eine machtpolitische noch eine ökonomische Grundlage. Dies einzugestehen hieße freilich, die politischen Bemühungen der meisten in der Akademie aktiven Dichter zu verwerfen. Das Berger das nicht tut, erlaubt ihr eine Schilderung, die die Stimmung im letzten Jahrzehnt der DDR nachvollziehbar macht: die Verzweiflung an einer starren und oftmals hilflosen politischen Führung, die erst die hilflos-illusionären Reformideen attraktiv erscheinen ließ.

Mit diesem politischen Problem ist ein ästhetischer Konflikt verbunden, auf den Berger schon deshalb ausführlich eingeht, weil zwei ihrer Protagonisten die Hauptakteure waren. Es ist der Konflikt um die Romantikrezeption, der kein nur literaturgeschichtlicher war. Franz Fühmann führte Ernst Theodor Amadeus Hoffmann als Kritiker von starrer Staatlichkeit und Entfremdung ins Feld; Peter Hacks als Vertreter einer etatistisch verstandenen Klassik wertete daraufhin Friedrich Schlegel ab, politisch als einen opportunistischen Wendehals, ästhetisch als Feind der Gattungspoetik und überhaupt jedes gelungenen, vollendeten Werks – wobei der Angriff aufs Fragment auch einer auf den Staatsfeind Heiner Müller war, der das sinnvoll gegliederte Drama zugunsten modischer offener Formen ad acta gelegt hatte.

Berger skizziert den Gegensatz, die Beweggründe sowie die Hauptargumente der Kontrahenten zutreffend, spielt aber die literaturhistorische Bedeutung der in der Forschung bekannt gewordenen Auseinandersetzung herunter. 1976 kamen zu Fühmanns wie zu Hacks Vortrag nur Zuhörer im einstelligen Bereich; dem späteren Lesepublikum seien die politischen Implikationen der literaturgeschichtlichen Darlegungen kaum begreiflich gewesen; anders als mit dem 1984 gestorbenen Fühmann habe Hacks auch später mit Verteidigern der Romantik wie Stephan Hermlin oder Christa Wolf zusammengearbeitet. All dies stimmt sicher – doch harmonisiert es die Tatsache, dass damals tatsächlich politisch wie ästhetisch unvereinbare Positionen aufeinandertrafen, die noch heute eine Entscheidung fordern.

Harmonisierung wird indessen schwieriger, wo es um das Ende der Akademie geht. Anders als erhofft, bedeutete das Ende der oft repressiven DDR-Staatlichkeit für die Ost-Intellektuellen keine Befreiung. Vielmehr fanden sie sich auf der Verliererseite wieder. Polemisch geführte Auseinandersetzungen über Stasi-Kontakte wirken von heute aus betrachtet lächerlich: Wer, wie auch Christel Berger, berufsbedingt mit Geheimdienstlern sprach und dies wusste, konnte kontrollieren, welche Informationen verbreitet wurden. Wer heute ein gängiges Mail-Programm, sein Handy oder Facebook nutzt, kann dies nicht. Um 1989/90 aber konnte, was in den geradezu rührend unbeholfen angelegten Akten aus der Steinzeit der Geheimdienstarbeit stand, Existenzen retten oder zerstören.

So geriet während der Präsidentschaft des 1990 gewählten Heiner Müller die Akademie unter Rechtfertigungszwang. Müller seinerseits gab mittels einer Rücktrittsdrohung den Zwang an die Akademiemitglieder weiter: Qua Wahl sollte sich die Mitgliedschaft erneuern. Mit sehr viel Wohlwollen (das Berger aufbringt) lässt sich das als Versuch interpretieren, Künstlern aus der DDR Einfluss auch in einem vereinten Deutschland zu sichern; wobei der Hinweis, wer hinauszuwählen sei, ziemlich deutlich war. Weniger freundlich kann man von einer Säuberung sprechen, die in vorauseilendem Gehorsam vollzogen wurde und an das Versagen der preußischen Akademie der Künste 1933 erinnert. Wichtige Mitglieder wie Werner Mittenzwei oder Peter Hacks waren nicht bereit, sich diesem entwürdigenden Verfahren zu unterwerfen, und traten 1991 aus. Tatsächlich wäre es wohl besser gewesen, den Siegern von 1990 diese Arbeit nicht abzunehmen, sondern sie zur Brutalität zu zwingen: die Ost-Akademie als Ganzes abzuschaffen oder politisch missliebige Künstler auszuschließen.

Berger wusste früh, dass sie nicht unter den wenigen Mitarbeitern sein würde, die vom Westen übernommen wurden. Sie beschreibt die Abwicklung der Ost-Akademie mit Trauer, mit Verständnis für alle Handelnden und ganz ohne Verurteilungen. Man könnte sich zwar viele Passagen schärfer formuliert vorstellen. Doch hat sich Berger unverkennbar nicht zur Aufgabe gestellt, Kämpfe um historische Deutungen zu führen, sondern sie will eine bedeutende kulturelle Leistung in die Erinnerung zurückrufen. Dies ist ihr gelungen.

Titelbild

Christel Berger: Als Magd im Dichter-Olymp. Die Arbeit der Sektion Literatur und Sprachpflege an der Akademie der Künste der DDR in den achtziger Jahren.
Edition Schwarzdruck, Gransee 2013.
842 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783935194600

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