Kein glückliches Händchen
Achim Stegmüllers „Drei Finger für das Glück“ fällt der Explizitheit und der Konstruktion zum Opfer
Von Thomas Stachelhaus
Achim Stegmüllers Protagonisten Anne und Benn scheinen auf den ersten Blick nicht mehr wild durch das Leben zu navigieren, sondern ihren Bestimmungsort erreicht zu haben. Sie leben, wie es gleich zu Beginn in einer Regieanweisung heißt, in einem „Haus mit zwei Stockwerken an einem [verlassenen] Platz“. Und es ist nicht irgendein Haus: Nein, Anne hatte es „seit ihrer Kindheit [im Auge.]“ „Das war eine Gegend, wo niemand wohnen wollte. Wir spazierten umher, fanden hier und da wunderbare alte Bausubstanz, mochten die Kanäle und die Stahlbrücken. Für uns lag dieses Viertel im Dornröschenschlaf. Wir wollten die Ritter sein, die sich durch den Dornenwall schlagen, wir wollten die schlafende Schöne wach küssen“, gibt Benn in einer narrativen Passage zu verstehen. Gleich nach dem Kauf wurde das Haus von Grund auf saniert und renoviert, um Annes Wunsch(t)räume zu ihren Räumen zu machen. Jetzt liegt das Paar da, im gemeinsamen Ehebett, alles scheint so perfekt und ist doch unvollkommen. Schnell wird dem jungen karriereorientierten Architektenpärchen klar, dass zum persönlichen Glück mehr gehört als ein restauriertes Dach über dem Kopf. Der erste große Auftrag lässt auf sich warten und auch Annes Wunsch nach einem eigenen Kind bleibt zunächst unerfüllt. Damit nicht genug: Zu allem Überfluss erscheinen in der Nacht auch noch Gestalten (Herr und Frau Haberland), die sich als ehemalige Hausbesitzer ausgeben und Anspruch auf Wohn- bzw. Bleiberecht im und um das Haus erheben. Als Gegengabe brächten sie das Glück, verspricht der Obdachlose Midas [sic!], denn alles, was er anfasse, so seine Frau weiter, würde zu Gold. Anne glaubt nach anfänglicher Skepsis an die besondere Gabe der ehemaligen Hausbesitzer und gewährt ihnen Einlass in ihre Privatsphäre. Und siehe da: Es klappt. Sie wird schwanger und die Aufträge fliegen ins Haus. In ihrem Glauben bestätigt, überschüttet Anne den Obdachlosen Midas mit Geschenken, räumt ihm Bleiberecht ein, nicht zuletzt auch, weil er behauptet, dass die Vertreibung seiner Frau aus dem Hause zu ihrem Tod geführt habe.
Ob die zwei alternden Untermieter nun dreiste Schmarotzer oder Hausgeister sind, ob schon tot oder noch lebendig (Frau Haberland behauptet bereits zu Beginn, ihr Mann sei längst verstorben), lässt der Text offen: ein permanentes Spiel mit Wirklichkeits- und Traumsequenzen, ein Stück mit Märchen- und Parabelambitionen. Aber nichts davon geht wirklich auf, da helfen auch keine klug eingesetzten Lichteffekte zur Markierung der unterschiedlichen Traum- und mutmaßlichen Wirklichkeitsebenen im Rahmen der szenischen Umsetzung. Die unbestreitbar spannenden Fragen nach den Triebfedern menschlichen Strebens und nach dem eigenen Bestimmungsort erreichen die Zuschauer nicht wirklich. Die Künstlichkeit des Textes, die fehlende Tiefenstruktur der Charaktere und vor allem die unrealistischen Dialoge und Monologe verhindern eine ernsthafte Beschäftigung, auch mit einem anderen relevanten Thema des Stücks: dem Umgang der jungen karrieregeilen Generation mit ihrer alternden „Elterngeneration“.
Selbst das überzeugende Spiel von Silvia Weiskopf, die der Figur der Anne soviel Naivität wie nur möglich einzuhauchen versucht, oder Rezo Tschchikwischwilis Versuch, dem obdachlosen Midas eindeutig zuzuordnende Züge von Lebendigkeit oder Märchenhaftigkeit zu verweigern, scheitern an der Explizitheit des Textes. Es gibt keine Frage, die nicht auch formuliert wird, keinen Raum für eigene Assoziationen des Rezipienten.
Zurück bleibt ein einsamer und glückloser Benn, der von seiner Frau verlassen wird, als sie herausfindet, dass er aus Eifersucht oder Übermut die ‚Hausgeister‘ vertrieb. Ohne ihren Glücksbringer könne sie eben nicht bleiben.
„Da sitzt er nun und ist ganz allein“, könnte man in Anlehnung an Büchners Anti-Sterntaler-Märchen im „Woyzeck“ resümieren. Nur kann man mit dem armen und verlassenen, ja ebenso glücklosen Kind in Büchners Dramenfragment Mitleid empfinden, was bei Benn nicht mal ansatzweise gelingen will. Dies liegt nicht zuletzt an seinem beharrlichen Selbstmitleid, seiner mangelnden Empathie und seiner defizitären Vorstellung von persönlichem Glück. Und so resümiert und resigniert er dann im Abschlussmonolog „Ich habe mich damit abgefunden, dass sie nicht wieder kommt. Ich habe mich an das Leben […] gewöhnt. Wo sollte ich anders hin?“
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen