Toblerone, Schnee und Schmerz
Die Schweizerin Romana Ganzoni liest auf Einladung von Hildegard E. Keller in Klagenfurt
Von Kathrin Serong
Schon während ihrer Schulzeit schrieb sie Gedichte, studierte Deutsch und Geschichte an der Universität Zürich und war danach 20 Jahre lang Lehrerin an einem Gymnasium, bevor sie sich im Spätsommer 2012 wieder dem Schreiben widmete: Romana Ganzoni hat mehrere Erzählungen und ein Gedicht in Anthologien und Literaturmagazinen veröffentlicht, zum Beispiel in der Anthologie des „Literaturhaus Zürich“, in der Anthologie des „Würth-Literaturpreis“ (Universität Tübingen), in „Entwürfe“ (Schweiz), „Salz“ (Österreich), „Dichtungsring“ (Deutschland) und „Krautgarten“ (Belgien). Zu den online-Publikationen der Autorin gehört die Erzählung „Die Wanderung“, ein Beitrag für die Solothurner Literaturtage 2013. Darin beschreibt sie die Beziehung eines verheirateten Paares, die schmerzhaft zu Ende geht: „Wir sind verheiratet und du bist mein Freund, hiess dieser Griff. Mein Gott, wir schaffen das nicht, hiess der Griff. Gott, du hast uns verlassen, hiess der Griff. Wir müssen es den Kindern sagen, hiess der Griff“. Während einer Wanderung mit den Kindern in den Bergen, löst sich eine Geröllhalde und verletzt das Paar schwer. Die herabstürzenden Gesteinsmassen stellen symbolisch die Lasten des Alltags dar, die die Liebe verdrängt, wenn nicht gar zerstört haben: „Sie mussten sich losgelassen haben, als es kein Oben und kein Unten, kein Du, kein Ich mehr gab“.
Romana Ganzoni verarbeitet in „Die Wanderung“ das Thema Liebe als leidvolle Erfahrung eines Paares, das sich auseinandergelebt hat: „Der Schmerz war überall.“ Bezeichnenderweise gehen die Partner nicht mehr nebeneinander her, sondern laufen hintereinander: „Sie ging voran. Sie ging immer voran […]. Es war ein Rhythmus, den kein Mensch lange durchhält“. Die Frau hat weiter um die Ehe, die Liebe, gekämpft, obwohl sie bereits ahnte, dass es nicht für immer sein würde: „Sie wusste, dass sie es nicht zum Gipfel schaffen würden. Nie im Leben“.
Familie und Tod sind die großen Themen, die die Autorin in ihren Texten immer wieder aufgreift. Die Erzählung „Das Wunderei“ zeigt, wie wichtig Geborgenheit für die Entwicklung eines Kindes ist. Das Kind wird mit einer Figur in einem Kinder-Überraschungs-Ei verglichen, das von den Schokoladen-Hälften beschützt wird: „Das Kind im Ei wachte auf und stiess sich ab, es tippte die obere Hälfte des Ovals an, die obere Hälfte lag locker auf der unteren Hälfte, sie bewegte sich, das Kind roch süsse Dunkelheit“. In „Die Gewissheit“ erzählt Ganzoni von den Versuchen einer Familie, den Verlust des Sohnes zu überwinden, der in einem Fluss ertrunken ist. Da die Mutter als Augenzeugin des Unglücks in einen Schock fiel und nicht imstande war, einzugreifen und ihren Sohn zu retten, macht sie sich Vorwürfe, über denen die Familie zerbricht: „Der Mann sprach nicht mehr mit ihr. Die Tochter schaute sie mit großen Augen an, wenn sie das Foto des Sohnes wieder wegstellte“. Romana Ganzoni beschreibt die Folgen des Todes für die Hinterbliebenen, ohne viele Worte zu machen, zu psychologisieren oder zu kommentieren. Die Psyche der Figuren erschließt sich aus ihrem Handeln, das Ganzoni oft geradezu lakonisch registriert.
Geboren 1967 in Scuol (Unterengadin), lebt die mit den Sprachen Deutsch und Rätoromanisch aufgewachsene Autorin heute mit ihrer Familie in Celerina im Oberengadin. Stets ist in den Texten ihre schweizerische Heimat präsent – und sei es mit ihren banalen Exportschlagern: So erwähnt sie an mehreren Stellen in ihren Erzählungen die Schweizer Schokoladenmarke Toblerone, zum Beispiel in „Die Wanderung“ und „Das Wunderei“. Die Erzählung „Mein Leben im Schnee“ beschreibt die Kindheit der Autorin inmitten einer weißen Pracht: „Mein Leben riecht nach Schnee“.
Derzeit arbeitet Romana Ganzoni an einem Roman.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen