Verwerten des Verwertbaren

Zu Matthias Nawrats zweitem Roman „Unternehmer“

Von Britta CaspersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Britta Caspers

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Tantal und Wolfram, sagt Vater, werden uns besonders reich machen.“ So beginnt der (an Textseiten) dünne und bereits zweite Roman von Matthias Nawrat. Wie im Märchen sitzt Vater abends mit Tochter und Sohn um den Tisch, erzählt von fernen Tagen und dreht derweil „die Platinen und Prozessoren zwischen den Fingern.“ Gleich der zweite Satz also beendet den schönen Spuk, und bald schon begreift man, dass das glückliche Ende ausbleiben wird. Denn heil ist die Welt, in der der Autor seinen Leser in die Irre führt, von Anfang an nicht. Die Familie lebt im südlichen Schwarzwald – einem landschaftlichen Idyll, könnte man meinen. Und Nawrat erzählt sie auch, die Schönheit von Landschaft und Natur (ohne in die Beschwörung des Idylls zu verfallen) und er erzählt zugleich von Verwahrlosung und Zerstörung, die die wenigen noch dort lebenden Menschen, die mysteriösen „Gebiets-Veränderten“, wie auch die verlassenen Ortschaften der Region prägen. Zeit der Erzählung: eine post-apokalyptische Zukunft, schon unheilvoll nah.

Im Verfall begriffen ist auch die Familie, von der Nawrat aus der Perspektive der dreizehnjährigen Lipa berichtet. Als Unternehmer bezeichnen sie sich allesamt, der Vater und seine beiden Kinder; eigentlich sind sie Zwischenhändler für verwertbaren Elektroschrott, den sie mühsam aus aufgelassenen Industrieanlagen, Fabriken und einem stillgelegten Atomkraftwerk bergen. Berti, der Junge, hat auf der Suche nach Verwertbarem im Inneren einer Maschine schon einen Arm eingebüßt; doch bei diesem furchtbaren Verlust bleibt es nicht: Nun spürt Berti „Vögel, wo keine sind“ und brüllt ihn nachts durchs ganze Haus, seinen Vogelschmerz. Das Aufsagen traditioneller Arbeitstugenden wie Disziplin, Fleiß und Pflichtbewusstsein, die der Vater seinen Kindern eintrichtert, und das Hohelied des vermeintlich freien ‚Unternehmertums‘ machen nur noch deutlicher, wie sehr hier eine Familie um ihr Überleben kämpft.

Dieser Kampf ums Überleben zeigt sich nicht zuletzt in der Sprache. Es ist Nawrats besonderer Kunstgriff, für alles eine zugleich funktionalistische wie poetische Sprache zu finden. Der Familiencodescheint eine Mischung aus das Private und Geheime bergender Chiffre und technizistischer Fachsprache, er ist Ausdruck der sozialen und ‚unternehmerischen‘ Isolation der Familie – ein Idiom der Substantive, der Superlative und Passivkonstruktionen; in diesem Buch fungiert es als Spiegel, in dem sich die verhängnisvolle Falschheit der Verhältnisse offenbart. Eine Sprache, in der sie sich nicht selbst abhandenkommen, haben die Figuren des Romans nicht.

Das Prinzip der Verwertung ist die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und erstreckt sich auf die Produktion und Zirkulation der Waren. Es scheint überdies, so macht der Roman glauben, zur Ideologie zumindest all derer geworden zu sein, die in diesem System – wie der Vater, der sich in seiner Ohnmacht zum „Unternehmer-Chef“ stilisiert – den Kürzeren gezogen haben. Am Ende, so suggeriert der Roman, ist diese ‚Ideologie der Verwertung‘ das einzige, was die Katastrophe überdauert, auch wenn sie die Menschen, die ihr folgen, zu Grunde richtet. Ansonsten jedoch, und das ist kein geringes Manko dieses Romans, erfährt man wenig über die dystopische Gesellschaft, an deren Rändern der Autor die Familie ihr prekäres Dasein fristen und vom Auswandern nach Neuseeland träumen lässt. Überreste einer staatlichen Struktur sind zu erkennen, es gibt Schulen (wenngleich offenbar keine Schulpflicht), Krankenhäuser und Geld. Um Metalle und Elektroschrott hat sich noch in der am weitesten abgelegenen Schwarzwaldregion eine Verwertungsindustrie etabliert, die darauf hindeutet, dass es andernorts auf der Welt auch noch industrielle Produktion geben muss. Doch ob es letztlich der Vater ist, der der Lüge vom Unternehmertum aufsitzt (das einen Kapitaleigentümer voraussetzt, der Lohnarbeiter beschäftigt und dabei für den Teil der unbezahlten Arbeit Mehrwert abschöpft), oder gar der Autor selbst, bleibt offen.

Nawrat schafft eine fiktive Welt aus Versatzstücken – das mag man als erzähltechnisches Korrelat zum Erzählten interpretieren oder als Schwäche: Der Roman selbst scheint sich der Logik der Verwertung, welche die Figuren und ihre Denkweisen so stark prägt, nicht entziehen zu können. Anders gewendet, ist genau dies der Kunstgriff: Nawrats Sprache erscheint bisweilen wie der Versuch einer Verwertung von Sprachresten. Es ist eine Poesie, die sich im Bild erschöpft und erschöpfen soll und die dem Roman eine Stimmigkeit verleiht, die er hinsichtlich der erzählten Handlung nicht aufweist. Es ist eine Besonderheit dieser Sprache, dass sie sich – ebenso wie etwa die chemischen Prozesse, die beschrieben werden, wenn die edlen Metalle für den Weiterverkauf aufbereitet werden – im Moment des Entstehens verbraucht. „Es ist nicht leicht, die Herzen von den Hüllen zu befreien. In der Schwefelsäure schwitzen die Kupferspulen und Platinen Panzer aus Luftbläschen aus. […] Aber wie schimmert das schön, wenn die grünen und blauen Augen sichtbar werden. Und wie es knistert. Wenn das Sprudeln aufgehört hat, senkt Berti den Schmetterlingsrüssel ins Aquarium, der schmatzend sich verdreht und windet, bis er endlich röchelnd auf dem Glasboden liegen bleibt. Vater legt die öligen Herzen auf Backblechen aus und stellt den Herd an.“

Was entsteht, ist eine Art märchenhaftes Szenario, eine furchteinflößende kleine familiäre Welt innerhalb der großen, in der sich wie in einem Brennspiegel der ideologische Selbstbetrug gerade der Verlierer des Kapitalismus erschreckend deutlich zeigt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Matthias Nawrat: Unternehmer. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014.
144 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783498046125

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