Ein Mangel an etwas

Die Figuren des Norwegers Bjarte Breiteig leiden unter rätselhaften „Phantomschmerzen“

Von Matthias FriedrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Friedrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Raymond Carver haben Kurzgeschichten, die sich auf wenige Figuren- und Handlungsskizzen beschränken, Hochkonjunktur. Gerade in dieser Konzentration liegt ihre Kraft, denn erst dadurch werden die Konflikte der Figuren spürbar. Bjarte Breiteig ist ein Autor, der diese Klaviatur der Kürze bis ins Detail beherrscht. Sein viel gelobtes Debüt, der Erzählband „Phantomschmerzen“, liegt jetzt auf Deutsch vor. Den Figuren der Texte ist gemein, dass es ihnen an etwas fehlt. Dieser Mangel ist Stoff für unerfüllbare Wünsche. Nur selten ist er an konkreten Dingen festzumachen wie in „Die Signale“. Darin leidet der Ich-Erzähler nach einer Handamputation noch immer unter Schmerzen, die seiner Ansicht nach „von einem verborgenen Sender“ stammen. Diese Beobachtung hat allerlei skurrile Wendungen zur Folge, denn er bezieht seine sinnlichen Eindrücke auf seine fehlende Hand.

In „Die Fliegenklatsche“ empfindet ein alter Mann eine heimliche Freude daran, eine surrende Fliege auf der Fensterscheibe zu betrachten – denn seine Frau, die neben ihm sitzt, weiß zunächst nichts davon. Es wird deutlich, dass sich die beiden durch subtile Techniken gegenseitig in den Wahnsinn treiben. Breiteig entwirft dafür jedoch keine grellen Gewaltbilder. Das Ehepaar ist seines Zusammenlebens müde; der Mann lässt seine Gedanken „surren“, die Frau wird wortkarg. Grundsätzlich führt die Kommunikationsunfähigkeit dazu, dass die Charaktere sich in ihrem eigenen Inneren verschließen. Breiteig wählt das Mittel der Aussparung, um auf diesen Sprachverlust hinzudeuten. Damit verweisen seine Kurzgeschichten mit ihrer Ästhetik auf Raymond Carver, in der Themenwahl auf Tor Ulven, allerdings nur in der Konzentration auf das Gefängnis des eigenen Bewusstseins als Thema.

Breiteigs Gefühl für die scheinbare Leere alltäglichen Sprachgebrauchs ist zu verdanken, dass seine Erzählungen dem Leser ein gewisses Vergnügen bereiten, denn so skurril einige der geschilderten Begebenheiten auch sein mögen, sie sind kurze Schlaglichter auf den Alltag der Figuren. Damit sind sie auch äußerst konventionelle Kurzgeschichten. Das ist auch ihre Schwäche, denn bei der perfekten Beherrschung der Form fällt es dem Autor manchmal schwer, diese Pfade zugunsten eines literarischen Spiels zu verlassen. Stellenweise erinnern die Texte zu sehr an Carver oder Ulven. Dennoch zeichnet sich jede Erzählung dieses Bandes durch ein gekonnt inszeniertes Figurenrepertoire aus.

Titelbild

Bjarte Breiteig: Phantomschmerzen. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel.
Luftschacht Verlag, Wien 2013.
136 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-13: 9783902844170

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